Terror in Düsseldorf

Vor wenigen Wochen wurde Düsseldorf von einer Terrorwarnung heimgesucht. Fahndungsbehörden hatten eine Terrorzelle ausfindig gemacht, die vermutlich, bewaffnet mit ihrer traditionellen Ausrüstung wie Sprengstoffgürtel und Sturmgewehren, Angst und Schrecken sowie Tod und Verderben in den Bereich der Düsseldorfer Altstadt hineintragen wollte.

Offizielle Stellen äußerten sich souverän zum Fahndungserfolg: Zwar könne man terroristische Angriffe auf unser Land nicht ausschließen, aber die zuständigen Staatsorgane hätten mal wieder hervorragende Arbeit zur Abwehr von Gefahren für die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens geleistet.

Oberbürgermeister Thomas Geisel äußerte sich gegenüber dem „Express“ unmittelbar nach der Aufdeckung des versuchten Terroranschlages zur Frage, warum sich die Attentäter gerade die Düsseldorfer Altstadt für ihre mörderischen Pläne ausgesucht hätten: Es „ist nicht erstaunlich, dass auch Düsseldorf gefährdet ist. Unsere Altstadt ist ein Paradebeispiel für ein pulsierendes Nachtleben. Und die Erfahrung von Paris hat ja gezeigt, dass die menschenverachtenden Terroristen genau solche Orte hassen“.

Pulsierendes Nachtleben

Die Altstadt, über die Grenzen von Düsseldorf hinaus bekannt als die längste Theke der Welt, genießt ein hohes Ansehen nicht nur bei den Menschen, die hin und wieder mal dem Alltagsstress entfliehen und bei einem gepflegten Düsseldorfer Altbier den Feierabend genießen wollen. Auch viele Gastronom*innen schätzen die Altstadt, und zwar darum, weil sie dort ein hervorragendes Geschäft machen. Sie wissen das Bedürfnis der Menschen nach Entspannung auszunutzen und verdienen sich eine goldene Nase daran. Und das nicht nur, weil die Preise bisweilen gesalzen sind, auch finden sich immer wieder in den Spül- und anderen Küchen der Gastronomiebetriebe Menschen, für die der staatlich vorgeschriebene Elends-Mindestlohn schon ein märchenhaft hohes Einkommen wäre.

Für Düsseldorf ist die Altstadt nicht nur ein Vorzeigeobjekt, mit dem die Stadt ihre Weltoffenheit – eingebunden in einen glorifizierten westlichen Lebensstil – demonstrieren kann, sondern auch über die Gewerbesteuer eine wichtige Einnahmequelle, die gepflegt sein will. So sorgt das Ordnungsamt mit seinen „Schwarzen Sheriffs“ für eine weitgehend von Bettler*innen, Obdachlosen und Junkies freie Vergnügungszone.

Das Publikum in der Altstadt ist so vielfältig wie das Spektrum der Gesellschaft. Neben der noblen Düsseldorfer Eleganz, die sich eher in den exklusiveren Betrieben aufhält, finden sich grölende Menschenhaufen, die den Sieg ihres drittklassigen Fußballvereins feiern. Betriebsausflüge, die von den Belegschaften eher als Zwangsveranstaltung empfunden werden, geraten für die Kolleg*innen zu einer teuren Übung, da sich der Betrieb die früher übernommene Finanzierung nicht mehr leisten will, weil sie in der Gewinnrechnung negativ zu Buche schlägt. So versorgt sich der eine oder die andere lieber mit der vorsorglich besorgten Flasche Jägermeister im Rucksack und prostet dem Chef nur zu, wenn dieser generös ein Bier spendiert hat.

Die Anspielung auf Paris kann nicht ausbleiben, wenn vom Terror in der Düsseldorfer Altstadt die Rede ist. Gerne vergleicht sich Düsseldorf mit der französischen Weltstadt, in der das freie und genussvolle Leben seinen Ursprung haben soll. Nur belegen die aktuellen Nachrichten aus Frank­reich etwas anderes. Die Masse der französischen Einwohner*innen ist bedroht von Arbeitsmarktreformen, die ihr geringere Einkommen, schlechteren Kündigungsschutz und längere Arbeitszeiten einbringen sollen, eine Erfahrung, die die hiesigen Eingeborenen schon vor über zehn Jahren mit den Hartz-Reformen machen durften.

Menschenverachtende Terroristen

Dass die mutmaßlichen Terroristen aus Syrien stammen, ist kein Zufall. Seit einigen Jahren tobt in diesem Land ein Krieg, in dem zahlreiche Tote und ein Millionenheer von Geflüchteten zu beklagen sind. Die Gründe für diese mörderischen Auseinandersetzungen liegen ziemlich klar auf der Hand. Baschar al-Assad, Präsident Syriens, ist zusammen mit seiner Regierungsmannschaft ein Dorn im Auge des Freien Westens. Assad kooperiert mit Russland, einem mit Atomwaffen gut bestückten Konkurrenten der USA und der EU. Zugleich findet sich in seinem Freundeskreis der Iran, dem der Westen auch nicht gerade wohlgesonnen gegenübersteht, weil er Politik nach eigenem Kalkül betreiben will.

Also war die Destabilisierung des syrischen Staates durch die freiheitsliebende alternative syrische Armee durchaus willkommen in den Augen des Freien Westens. Allerdings bildete sich im Schatten der förderungswürdigen Alternative eine Strömung heraus, die so gar nicht ins Konzept passte. Streng gläubige Islamist*innen gründeten einen eigenen Staat, der sich alleine auf religiöse Grundsätze aufbaut. Die Menschen, die sich diesem neuen staatlichen Gebilde unterwerfen, fühlen sich von den Veränderungen im Irak und Syrien, die in den letzten 15 Jahren stattfanden nicht ganz zu Unrecht bedroht oder erniedrigt. Allerdings sehen sie ihr Schicksal nicht als Resultat imperialistischer Kalkulationen im Nahen Osten, sondern als Angriff auf ihren Glauben. So schreiten sie zur Tat. Ihre weltliche Herrschaft solle sich nicht großartig von der Herrschaft des Himmels unterscheiden, die religiösen Gesetze sind gleichzeitig die irdischen, die religiöse Moral hat das reale Leben zu bestimmen.

Der Krieg, der gegen sie geführt wird, ist für sie der Krieg des Unglaubens gegen den Glauben, der Genusssucht gegen die Bescheidenheit, der atheistischen westlichen Lebensart gegen die göttliche Bestimmung. Und die Antwort des Islamischen Staates ist entsprechend: Der Unglaube muss bis zur Ausrottung bekämpft werden. Die Mittel des Kampfes entsprechen den bescheidenen Möglichkeiten des neugegründeten Islamischen Staates. Vor Ort behilft er sich mit erbeuteten oder gekauften Waffen. Um auch auf der internationalen Ebene Krieg zu führen, sind die dazu nötigen militärischen Mittel jedoch nicht vorhanden. Selbstmörderische Auftritte wie in Paris oder Brüssel sind dann das Mittel der Wahl, sich ähnlich gewaltmäßig wie ein durchgesetzter und anständiger Staat aufzuführen. Nur gelten in den Augen „anständiger“ Staaten solche Aktionen als „menschenverachtend“, während hunderttausende Tote in ihren regulären Kriegen lediglich bedauernswerte Kollateralschäden sind.

Schlussfolgerung

Oberbürgermeister Thomas Geisel nimmt den Fehdehandschuh der Terroristen auf. Er bestätigt die mutmaßlichen Attentäter, wenn er das „pulsierende Nachtleben“ der Düsseldorfer Altstadt beschwört. Doch seine Lobeshymne auf die Altstadt ist ebenso ideologisch und unsachlich wie die Kritik des Islamischen Staates am gottlosen, genusssüchtigen Leben in der westlichen Hemisphäre. Denn das Leben in den hiesigen Regionen wird bestimmt durch die Kalkulationen von Staat und Kapital mit seinen Bürger*innen und seiner Lohnarbeits-Mannschaft. Und dabei geht es um alles andere als ums pulsierende Nachtleben. Billig sollen die Arbeitskräfte sein, damit die Gewinnrechnung der Unternehmen stimmt, friedlich sollen sie zur Arbeit gehen unter Bedingungen, die sie vorgesetzt bekommen. Dann dürfen sie sich am Abend sogar noch ein Bier in der Altstadt leisten, wenn sie sich das leisten können.

HENRICI