Freiheitsberaubung – Tod – Verantwortung

In NRW wird ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) die Umstände der unrechtmäßigen Inhaftierung, des Brandes in der JVA Kleve und des Todes von Amad Ahmad untersuchen: Polizei- und Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen und Hamburg müssen Rechenschaft ablegen zum Tod des 26-Jährigen!

Im September 2018 brach in der Justizvollzugsanstalt Kleve ein Brand in einer Einzelzelle aus. Inhaftiert war dort der syrisch-kurdische Geflüchtete Amad Ahmad. Er starb am 29. September, zwölf Tage nach dem Brand in seiner Zelle, an seinen Verletzungen.

Seitdem mehren sich beinahe wöchentlich die aktuellen Erkenntnisse zu den Ungereimtheiten der Inhaftierung, zur Brandursache und letztlich auch zu den Verantwortlichkeiten für die unrechtmäßige Freiheitsentziehung, für die Untätigkeit der Justizvollzugsbeamt*innen in der JVA bei Ausbruch des Brandes und letztlich für den Tod von Amad Ahmad.

Freiheitsberaubung

Heute ist klar: Amad Ahmad wurde am 6. Juli 2018 zunächst in Geldern in Haft genommen, wenig später in die JVA Kleve überführt. Seiner Festnahme war eine Anzeige wegen Belästigung vorausgegangen. Doch die freiheitsentziehende Maßnahme, die mehrmonatige Inhaftierung von Amad Ahmad, war falsch – vermutlich sogar in strafrechtlich relevantem Maße.

Bei seiner Verhaftung im Sommer 2018 hatte Amad Ahmad den Ermittlungsbehörden seinen vollständigen Namen, seinen Geburtstag und Geburtsort in Syrien zur Kenntnis gegeben. Mit ihrer Datenabfrage stellten die Polizeibeamt*innen auf der Wache fest, dass ein Mann ähnlich klingenden Namens von der Hamburger Staatsanwaltschaft per Haftbefehl zur Vollstreckung gesucht wurde. Ein Mann aus Mali wohlgemerkt, ein Land, das mit einem Blick in einen Atlas leicht als Land im Osten Afrikas hätte identifiziert werden können, knapp 8.000 Kilometer entfernt von Aleppo, von wo Amad Ahmad als kurdischer Syrer nach Deutschland geflohen war. Der von der Staatsanwaltschaft Hamburg Gesuchte ähnlichen Namens konnte – und das hätte auch den Polizeibeamt*innen vom Niederrhein klar sein müssen – kaum so aussehen, wie ein Mann aus Syrien. Ein Mann, mit der Muttersprache arabisch, der kein Wort französisch sprach und der, mit dunklen Haaren aber heller Haut, im Juli 2018 in Geldern vor ihnen stand. Trotzdem hielt die NRW-Polizei Amad Ahmad fest, verbrachte ihn wenige Tage später in die Justizvollzugsanstalt in Kleve. Die dortige Staatsanwaltschaft, die inzwischen ein Ermittlungsverfahren zur Festnahme, zum Brand in der JVA und zum Tod von Amad Ahmad führt, stellt heute – da es zu spät ist – unzweifelhaft fest, dass es sich bei der Inhaftierung Ahmads um eine „Verwechslung“ gehandelt habe und die Überprüfung der Personalien im Sommer 2018 unzureichend gewesen sei.

Rekonstruieren lässt sich heute, dass die Polizei in Kleve die Staatsanwaltschaft in Hamburg am 6.7.2018 über die Festnahme einer Person informiert hatte, die mit dem Namen „Amad Ahmad“, geboren in Aleppo, in Geldern aufgegriffen worden und wohl die Person sei, nach der die Hamburger Staatsanwaltschaft fahnde. Die Hamburger Strafverfolgungsbehörde ersuchte daraufhin die Klever Behörden auf dem Postweg um Auskunft über Näheres zur Personalienfeststellung. Wiederum per Post erhielt sie einen Monat später Rückantwort vom Niederrhein: Es lägen dort „keine Nachweise zur Identitätsfeststellung“ vor, notierte die Hamburger Staatsanwaltschaft handschriftlich am 6. August 2018. Doch trotzdem geschieht: Nichts. Amad Ahmad, der zu diesem Zeitpunkt bereits seit vier Wochen ohne jede Rechtsgrundlage in der JVA Kleve festgehalten wird, bleibt in Haft. Wie ein Rechercheteam des Norddeutschen Rundfunks am 29.1.2019 in einem „Panorama“-Beitrag herausarbeitete, hätte die Staatsanwaltschaft in Hamburg allerspätestens nach dieser Erkenntnislage die sofortige Freilassung von Amad Ahmad erwirken müssen. Der Panorama-Bericht spricht hier eindeutig von „Freiheitsentziehung“, von „Freiheitsberaubung“ sogar.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Kleve in diesem Zusammenhang auch gegen die Hamburger Kolleg*innen. Diese weisen jede Verantwortung von sich, verweisen auf die Zuständigkeit der Polizei.

Warum starb Amad Ahmad

Viele Fragen wirft auch auf, wie es zu den tödlichen Verbrennungen in der Zelle in der JVA Kleve kommen konnte, die den zweifellos unrechtmäßig Eingesperrten im September 2018 das Leben kosten sollten. Peter Biesenbach, Nor0­drhein-Westfalens Justizminister von der CDU, hat sich hier ohne Frage vorschnell positioniert, sich zuletzt sogar widersprochen (WDR-Sendung Westpol vom 20.1.2019). Ein Brandgutachten, das für die Staatsanwaltschaft in Kleve erstellt worden war, nahm der verantwortliche Justizminister für bare Münze, trotz nach wie vor unklarer Faktenlage: Amad Ahmad, der den Brand in suizidaler Absicht selbst gelegt haben soll, sei demnach bei geschlossenem Fenster 20 Minuten in der brennenden Zelle gewesen, habe die Gegensprechanlage nicht benutzt und nicht nach Hilfe gerufen. Wie das Brandgutachten der Staatsanwaltschaft hier widersprüchliche Angaben machte (wenig später im Gutachten sei nach Recherchen des WDR-Fernsehmagazin „Westpol“ vom 10.2.2019 von einem offenen(!) Fenster die Rede gewesen), musste auch der Justizminister zurückrudern, gestand ein, dass der Inhaftierte wohl doch versucht hatte, mittels Gegensprechanlage auf sich aufmerksam zu machen – zu Hilfe kam ihm aber niemand.

Der WDR hat das staatsanwaltschaftliche Gutachten zum Feuer in der JVA-Zelle nun im Rahmen seiner Recherchen unabhängigen Brandexpert*innen vorgelegt. Diese ziehen den amtlichen Bericht eindeutig und aus nachvollziehbaren Gründen massiv in Zweifel. Handwerklich fehlerhaft habe der Gutachter zum Beispiel keine Proben auf Brandbeschleuniger genommen, sich stattdessen auf seine Erfahrungen zu Brandursachen dieser Art berufen. Auch habe der staatsanwaltschaftliche Gutachter nach Meinung der externen Brandexpert*innen seine Kompetenzen überschritten, als er darauf hinwies, dass Amad Ahmad sich habe selbst töten wollen und in dieser Selbstmordabsicht die Brandursache zu suchen sei. Justizminister Biesenbach hat diese These in den Landtag zurückgetragen, obwohl es keinen Anlass dafür gibt, sich überhaupt festzulegen: Wie der Brand in der Zelle ausgebrochen ist, ist auch heute vollkommen ungeklärt.

Aufklärung, sofort!

Im November 2018 hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen auf Antrag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) beschlossen. Eine erste konstituierende Sitzung dieses PUA „Kleve“ hat am 13.12.2018 stattgefunden. Der Landtag verlautbarte in einer Pressemitteilung einen Tag später, dass im nichtöffentlichen Teil dieser ersten Sitzung bereits Verfahrens- und Beweisanträge formuliert und Akten angefordert worden seien, um „nach der Weihnachtspause mit den Vorbereitungen für die Beweisaufnahme und Zeugenvernehmungen beginnen“ zu können. Bis heute ist jedoch noch kein weiterer Sitzungstermin anberaumt, es ist unklar, wann die Beweisaufnahme-Arbeit des Ausschusses beginnen wird. Man befände sich zu etwaigen Ausschuss-Terminen noch „in der Abstimmung“, heißt es bis zum 24.2.2019 auf der Seite des Landtages weiterhin.

Wo unklar ist, wie lange der Landtag die Aufklärungsarbeit noch in der „Vorbereitung“ verharren lässt, haben andere schon längst gehandelt. Die „Initiative Amad Ahmad“ hat Mitte Dezember in Geldern mit einer Demonstration die richtigen, die drängenden Fragen gestellt: Warum musste Amad sterben? Wie viel Rassismus steckt in der deutschen Polizei? Wer trägt die politische Verantwortung?

Und auch in der praktischen Solidarität sind wichtige Schritte gemacht. Denn die Familie von Amad Ahmad trauert um ihren Sohn. Und fordert Aufklärung. Um sie zu unterstützen, haben verschiedene Akteur*innen, etwa die „Initiative schwarzer Menschen in Deutschland Bund e. V.“ (ISD-Bund e. V.), das Bündnis „Tribunal NSU-Komplex auflösen“ und die Vereinsvorsitzenden des „Haus der Begegnung – Beth Hamifgash“ in Kleve einen Rechtshilfefonds ins Leben gerufen. Die Familie und Freund*innen von Amad Ahmad wollen mit einem Klageverfahren Einsicht in die Akten zur Inhaftierung und zum Tod ihres Sohnes und Freundes erhalten. Das kostet Geld – Geld, das die Familie nicht alleine aufbringen kann.

Ihr Zweifel, dass von staatlicher Seite nicht mit lückenloser Aufklärung zu rechnen sein wird, ist dabei durchaus berechtigt. Nicht zuletzt weist die Geschichte von Amad Ahmad Ähnlichkeiten mit dem Tod von Oury Jalloh auf, der am 7. Januar 2005 in Dessau in einer Gefängnisszelle bei lebendigem Leibe verbrannte. Es liegt nahe, dass Oury Jalloh im Gewahrsam der Polizei ermordet wurde. Die Justizbehörden weigern sich jedoch bis heute, zu den offenen Fragen zum Tod des in Dessau Inhaftierten auf Basis dieser inzwischen mehrheitlich unstrittigen Annahme zu ermitteln. Müssten sie doch auch die Rolle der Polizei in diesem Zusammenhang beleuchten und nach deren Beitrag zum Tod von Oury Jalloh fragen.

Darum heißt es im Spendenaufrauf der Crowdfunding-Kampagne für den Rechtshilfefonds zur Aufklärung des Todes von Amad Ahmad: „Der Fall von Oury Jalloh hat gezeigt: Gerade wenn Polizeikräfte in einen Tod verwickelt sind und angesichts von Ermittlungsfehlern der Staatsanwaltschaft müssen die Angehörigen, die Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit Ermittlungen und Gerichtsverfahren kritisch begleiten.“

Nicht zuletzt wird es auch mit Beginn der Beweiserhebung im PUA „Kleve“ eine kritische Öffentlichkeit brauchen, damit wir erfahren, was die Parlamentarier*innen zu fragen haben, wo sie sich mit einfachen Antworten zufriedengeben wollen, ihren Kopf aus der Schlinge ziehen möchten oder ... bestenfalls aufrichtig und konsequent dazu beitragen wollen, den Tod eines Menschen aufzuklären, der in Deutschland anzukommen versuchte, nachdem er vor Tod und Verheerung geflohen war. Ein Mensch, der in einem deutschen Gefängnis starb, im Herbst 2018. Amad Ahmad wurde 26 Jahre alt.

Unterstützung des Rechtshilfefonds unter „https://gofundme.com“ unter dem Stichtwort: „Rechtskosten: Amads Tod aufklären!“

Zum Support der Unterstützer*innen und -Freund*innen-Gruppe „Initiative Amad Ahmad“ finden sich Informationen unter https://facebook.com/initiativeamada.
Künftige Termine zum „Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) III Kleve“ sind auf der Seite des Landtags NRW abrufbar unter: https://landtag.nrw.de (Menüpunkt „Ausschüsse und Gremien“).
Ein PUA tagt in in der Regel öffentlich. Die Ausschussbeobachtung ist wichtig – zeigen wir Präsenz!