Seehofer sieht rot

Das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ von Innenminister Seehofer tritt rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen und versucht die als „Anti-Abschiebe-Industrie“ diffamierten Flüchtlingsberatungsstellen, Unterstützer*innen und Anwält*innen zu kriminalisieren.

Am 1.2.2019 wurde der Referentenentwurf vom Bundesinnenministerium (BMI) zum „Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“, auch schönfärberisch „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ genannt, öffentlich. Das vorgelegte Papier enthält u.a. massive Verschärfungen für geduldete Geflüchtete, die nach Ansicht des Bundesinnenministers Seehofer „vollziehbar ausreisepflichtig“ sind.

Pro Asyl und der Bayerische Flüchtlingsrat haben den Gesetzesentwurf unter die Lupe genommen und die Verschärfungen herausgearbeitet.

Zur Zeit wird eine Duldung erteilt, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Der Referentenentwurf will nun die Duldung verweigern, wenn die Unmöglichkeit der Person „zuzurechnen“ ist, beispielsweise weil keine Reisedokumente vorgelegt oder Passbeschaffungspflichten nicht erfüllt werden. Die Praxis zeigt jedoch, dass oft nicht nachzuvollziehen ist, warum den Betroffenen fehlende Mitwirkung zu Passbeschaffungspflichten vorgeworfen wird. So gibt es zum Beispiel erhebliche Probleme bei afghanischen Staatsangehörigen, die lange im Iran gelebt haben, oder bei der Anerkennung somalischer Dokumente. Abgeschoben werden können sie dann nicht, sollen aber mit diversen Sanktionen bestraft werden.

Nun will das BMI eine „Bescheinigung über die vollziehbare Ausreisepflicht“ neu einführen, die faktisch eine Duldung zweiter Klasse ist (Entwurf zu § 62b AufenthG). Wer sie erhält, darf nicht mehr arbeiten oder eine Ausbildung aufnehmen.

Um zu verhindern, dass sich Geduldete der Abschiebung entziehen, soll eine Inhaftierung der Betreffenden ohne richterliche Anordnung möglich werden. Doch das Grundgesetz schreibt ausdrücklich vor, „über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden“ (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG). Dieser Gesetzentwurf aber ignoriert diesen historisch gewachsenen, zwingend anzuwendenden Richtervorbehalt. Bis zu 10 Tage soll eine Inhaftierung am Flughafen oder in einer nahe gelegenen Unterkunft möglich sein, ohne dass ein Gericht darüber entscheidet (Entwurf zu § 62b AufenthG). Der bisher schon unter bestimmten Voraussetzungen mögliche, bis zu zehntägige Ausreisegewahrsam erfordert selbstverständlich eine richterliche Anordnung. Durch die Umbenennung der Neuregelung in „Reisebeschränkung in das Inland“ will man diese Anforderungen nun umgehen. Voraussetzungen für Inhaftierungen, wie die richterliche Anordnung oder der Nachweis eines Haftgrundes, werden darin ignoriert.

Abgelehnte Asylbewerber*innen, die nie eine Straftat begangen haben, werden damit wie Straftäter*innen behandelt. Für eine Inhaftierung muss ein Grund vorliegen, der der betroffenen Person nachgewiesen werden muss. Der neue Gesetzesentwurf nennt hier als einen Grund die Fluchtgefahr und führt Fallgruppen auf, wann genau „widerleglich vermutet“ wird, wann diese Gefahr vorliegen soll (Entwurf zu § 62 Abs. 3 AufenthG). Durch diese Vermutungsregelung erfolgt eine Beweislastumkehr, die haftrechtlichen Grundprinzipien widerspricht. Nicht mehr die Behörde müssten das Vorliegen der Gefahr nachweisen, sondern die Betroffenen müssten nachweisen, dass keine Gefahr vorliegt.

Der Entwurf nennt weitere Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr und geht dabei so weit, dass jemand festgesetzt werden kann, der nicht zu einer Rückkehrberatung gegangen ist (Nr. 7).

Zudem vermischt der Gesetzentwurf Abschiebungshaft mit Strafhaft. Doch Abschiebungshaft ist keine Strafhaft. Jemand, der in Abschiebungshaft genommen wird, muss nicht einmal jemals einer Straftat verdächtig gewesen sein oder als Gefährdung für die öffentliche Sicherheit gelten. Aus diesem Grund gilt das Trennungsgebot von Straf- und Abschiebungshaft, und Betroffene dürfen grundsätzlich nicht in Strafhaftanstalten untergebracht werden. Hier greift die europarechtliche Rückführungsrichtlinie (Art. 16 RL 2008/115/EG), die mit dem § 62a Abs. 1 AufenthG auch in deutsches Recht umgesetzt ist. Das Bundesinnenministerium will diesen Absatz streichen.

Für die betroffenen Flüchtinge bedeutet dieser Gesetzentwurf eine weitere Entrechtung und öffnet das Tor für Behördenwillkür. Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden können, müssen mit Knast rechnen.

Monitor-Redaktionsleiter Georg Restle kommentiert dazu: „Seehofer schafft einen neuen Menschentypen: den Rechtlosen“.

Gegen Ende des Refentenentwurfes holt das BMI aus zum Schlag gegen die Zivilgesellschaft, die sich für Flüchtlingsrechte engagiert und Geflüchtete unterstützt und berät. Beratungsstellen wie STAY!, Anwält*innen und anderen Unterstützer*innen wird unterstellt, ihre Klient*innen zu rechtswidrigen Taten anzustiften. Der Gesetzentwurf sieht Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren für jede/n vor, der die Vollstreckung einer Abschiebung beeinträchtigt, indem er/sie etwa „geplante Zeitpunkte oder Zeiträume einer bevorstehenden Abschiebung veröffentlicht“. Das heißt im Klartext, dass wir – sofern der Gesetzentwurf durchkommt - mit Haftstrafen rechnen müssen, wenn wir zukünftig in der Beratung, im Newsletter oder in den sozialen Medien darüber informieren, dass in den nächsten Tagen voraussichtlich Abschiebeflüge in die Herkunftsländer unserer Klient*innen stattfinden.

Wir sehen in diesem Gesetzesentwurf einen deutlichen Angriff auf jene Teile der Zivilgesellschaft, die Menschen in Not zu helfen versuchen. Wir werden uns von diesem Versuch der Kriminalisierung unserer Arbeit nicht einschüchtern lassen. Geflüchtete haben ein Recht auf Information über ihr Asyl- bzw. Abschiebeverfahren, sie haben ein Recht auf juristischen und auch auf menschlichen Beistand. Wir werden weiterhin alles in unserer Macht stehende tun, unseren Klientinnen und Klienten diesen Beistand zu leisten.

Der Gesetzesentwurf verletzt das Recht auf Informationsfreiheit, greift die Pressefreiheit an und zielt in eine ähnliche Richtung, die in Ungarn bereits Realität ist. Dort ist praktisch jede Unterstützung von geflüchteten Menschen unter Strafe gestellt und Menschenrechtsorganisationen werden systematisch an ihrer Arbeit gehindert.

Wir werden uns gemeinsam mit anderen Flüchtlingsunterstützer*innen gegen diese geplanten inhumanen Gesetzesänderungen zur Wehr setzen und hoffen dabei auf breite Unterstützung.

STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative