„Wir können auch anders“

„Das Junge Rheinland“ im Kunstpalast

Mutter Maria versohlt das Jesuskind, der Heiligenschein des Knaben liegt bereits auf den Boden. „Wir können auch anders“ steht unter diesem Ölbild von Max Ernst. Dies ist eins der Plakate, die für „Das Junge Rheinland“ im Museum Kunst Palast werben. Im Monat nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründet, steht „Das Junge Rheinland“ für eine gegen Militarismus und Patriotismus gerichtete Haltung, für das Rebellische, den Widerstand. Das Antifrömmlerische hat in Düsseldorf Tradition. Bereits 1832 wurde in einer Rezension einer Berliner Ausstellung beklagt, dass „kein Jesus, keine Mutter Gottes aus Düsseldorf gekommen“ sei. Dem Akademiedirektor Wilhelm Schadow wurde vorgeworfen, eine Schule gegründet zu haben, welche „dem sinnlichen Heidenthume huldige.“ Im gleichen Monat hatte Heinrich Heine von Paris aus den Dichter, Regisseur und Theaterintendanten Carl Immermann, der zu den Düsseldorfer Malern enge Beziehungen pflegte, aufgefordert, für das Journal „L'Europe littéraire“ eine Artikelserie über Malerschulen in Deutschland zu schreiben, um den „Münchener Tendenzen“ etwas entegegn zu setzen. Denn dort wird, so Heine, „in der Wissenschaft so in der Kunst alles Schlimme gebraut.“ Schelling habe „die Philosophie an die kath. Kirche verrathen.“

Der Bäckerladen (the whole fucking bakery)

Das Haus auf der Ratinger Straße 45, in dem Carl Immermann 1840 starb, sollte zur Keimzelle des Jungen Rheinlands werden. Hier, in unmittelbarer Nähe der Akademie, befand sich der zur Legende gewordene Bäckerladen der Johanna Ey. Die Maler*innen, „die im „Ey“ aus- und eingingen, waren wohl alle Mitglied dieser fortschrittlichen Künstlergruppe“, konstatiert die Kunsthistorikerin Anna Klapheck. Dass die später zur „Mutter Ey“ Verklärte zum Anlaufpunkt der Maler*innen wurde, mag nicht allein ihren besonders dick belegten Broten und dem starken Kaffee zu verdanken sein, sondern sicherlich auch der „Carl Immermann“-Gedenktafel am Laden. Der Mitbegründer des Kunstvereins für die Rheinlande und Westphalen (1829) und des Düsseldorfer Theatervereins (1832) habe mit seiner „starken Personlichkeit“ ein Zentrum für rheinische und westfälische Dichter gebildet, konstatiert Friedrich Engels in einer Rezension von Immermanns posthum erschienen „Memorabilien“. Ausstellungen in Düsseldorf wurden im renommierten Kunst. Blatt aus dem Hause Cotta positiv erwähnt, weil sich dort „alle Klassen, und Menschen von jedem Stande und Alter sich um die Werke der Kunst zu versammeln pflegen.“ Der Immermannsche Geist sorgte noch lange für frischen Wind in der Düsseldorfer Szene. Vier Jahre nach seinem Tod entstand Wilhelm Hübners Gemälde „Die Schlesischen Weber“ (heute in der ständigen Sammlung des Kunstpalasts), das offen die Ausbeutung thematisierte und welches „has made a more effectual Socialist agitation than a hundred pamphlets might have done“, wie Friedrich Engels am 13. Dezember(!) 1844 in der britischen frühsozialistischen „New Moral World“ schrieb, wo er zudem Heines Weberlied in englischer Übersetzung abdrucken ließ. Auch wenn das alles im Jahr 1910 nicht mehr in dieser klaren Form präsent gewesen sein mag, hatten doch sicher viele etwas über den legendären Immermann vom Hörensagen erfahren.

Geniekult

„Das Junge Rheinland“ trat nicht nur mit Bildern und Skulpturen an die Öffentlichkeit, sondern auch mit Flugblättern, Aktionen und Schriften. Gemeinsam mit den Drednern und Berlinern hatte es sich zu einem „Kartell fortschrittlicher Künstlergruppen“ zusammengeschlossen, in dessen erster Sitzung der „Antrag zur Abschaffung der Akademien“(!) einstimmig angenommen wurde.

Als Protest gegen die alljährlichen Ausstellungen im Kunstpalast, wo „die ältesten Akademiker in ihrem Kitsch schmoren“, organisierte das Junge Rheinland 1922 die Ausstellung im Kaufhaus Tietz. „Sie brachte zum ersten Male die moderne europäische Kunst nach Düsseldorf“, unterstreicht Anna Klapheck. „Das Junge Rheinland“ wollte aber nicht nur offen sein für die fortschrittlichen und avantgardistischen Künstler*innen, sondern zum Beispiel auch für die zum Teil äußerst konservativen Landschaftsmaler*innen. Die aktuelle Ausstellung im Kunstpalast setzt bedauerlicherweise in der Konzeption allein auf das konservative Element. Die quirlige Vielfalt, der Mix von realistisch bis surrealistisch, von gegenständlich bis abstrakt und dies in den wildesten Mischformen, manchmal in ein und demselben Werk, machte die Qualität des „Jungen Rheinlands“ aus. Also ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die Welt und dies auf engstem Raum zusammengedrängt. Doch dadurch, dass im Museum Kunstpalast zwölf „Spitzenkünstler“ dieser Vereinigung präsentiert werden, wird einer sich am Geniekult orientierenden Kunstgeschichtsschreibung gehuldigt. Indem in mancher Koje nur ein einziges Bild an einer Wand hängt, wird eine künstliche Aura rund um das Werk erzeugt, welche „Das Junge Rheinland“ gerade vermeiden wollte. Dies als Vorwort zu einer Ausstellung, die noch einer eingehenderen Kritik bedarf.

Thomas Giese