Krieg? Welcher Krieg?

Die Ausstellung „Fotografinnen an der Front“

Der Kunstpalast will groß einsteigen in die Welt der Fotografie. Als erste viel beachtete Ausstellung werden etwa 140 Fotografien von acht Kriegsreporterinnen ausgestellt. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Sehenswert ist die Ausstellung trotzdem.

Ende letzten Jahres gelang dem Kunstpalast ein bundesweit beachteter Coup. Der Stadtrat genehmigte für den Ankauf einer Sammlung von 3.000 Fotografien insgesamt über 8 Millionen Euro. Die FAZ schrieb dazu: „Vermutlich wurde noch nie von einer deutschen Institution eine derartige Summe für Fotografie ausgegeben. Dieser Ankauf ist mehr als ein Coup. Er ist ein Bekenntnis.“ Nun ja, es geht vor allem darum, dass Düsseldorf unbedingt die Fotohauptstadt Deutschlands werden will. Am liebsten mindestens Europas. Auf Biegen und Brechen. Kleine Brötchen werden von der Stadt bekanntlich nicht gebacken. Ihre bisherigen Versuche scheiterten am Klein-Klein - unter anderem verursachten zwei Fototage mit unterschiedlichen Organisatoren viel Streit. Immerhin wurde die Stelle des Generaldirektors und künstlerischen Leiters des Kunstpalastes 2017 mit Felix Krämer besetzt, der in Frankfurt dafür bekannt war, Fotografie als gleichwertig zu anderen Kunstformen zu erachten. Bis heute keine Selbstverständlichkeit in der Kunstwelt Düsseldorfs und darüber hinaus. Nun also der erste größere Versuch des Kunstpalastes einer Fotoausstellung, deren Exponate nicht der oben erwähnten teuer eingekauften Sammlung entstammen.

Politik? Nicht so wichtig!

Bis heute ist oft nicht präsent, dass auch Frauen in den Krieg ziehen, um vor Ort zu berichten. Insofern schließt die Ausstellung eine ärgerliche Lücke. Mit den acht Fotografinnen werden Fotos aus 80 Jahren Krieg gezeigt. Angefangen von den Fotos Gerda Taros aus dem spanischen Bürgerkrieg, über den sogenannten Zweiten Weltkrieg, die verschiedenen Kriege der 1950er Jahre, Vietnam, Nicaragua bis hin zur aktuellen Zeit und dem Krieg in Afghanistan werden ganz unterschiedliche Blicke auf Krieg gezeigt.

Schon bei Eintritt wird das starke Bemühen der Aus­stellungs­macher*innen erkennbar. Anstatt die vorhandenen Räumlichkeiten zu nutzen, wurde ein Ausstellungsraum im Ausstellungsraum gebaut. Herausgekommen ist eine heutzutage etwas bieder anmutende Galerieausstellung. Hervorgehoben wird dadurch der museale Charakter der Fotos, wie auch der Leiter Felix Krämer mitteilt: „Die Ausstellung im Kunstpalast zeigt, dass in der Kriegsberichterstattung, wie in allen anderen Sparten der Fotografie, Bilder von zeitloser Relevanz entstanden sind. Sie liefern nicht nur wichtige Anregungen für vielfältige Diskurse, sondern ihnen gebührt auch eine angemessene museale Anerkennung.“ Damit umreißt er auch schon das große Problem dieser Ausstellung. Es sind ausnahmslos beeindruckende Fotos zu sehen, die aber nicht für ein Museum entstanden sind, sondern für Zeitschriften und Zeitungen. Das heißt, sie wurden nicht aufgenommen, um schön zu sein, sondern um den Krieg und die Aufstände zu zeigen und diese zu dokumentieren. In der Ausstellung wird jedoch nur kurz auf den Ort der kriegerischen Auseinandersetzung hingewiesen. Wer da gegen wegen kämpft und warum, bleibt außen vor. Wer bitte schön weiß, was die Polisario war bzw. ist? Die Frente Polisario, wie sie richtig heißt, kämpft bis heute um die Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonie West-Sahara, die heute von Marokko und Mauretanien besetzt ist. Die Fotos sollen für sich sprechen, das Politische bleibt ausgeblendet. Das wird den Fotografinnen nicht gerecht. Gerda Taro würde sich im Grabe umdrehen.

Propaganda? Na und?

Gerade bei ihr wird aber darauf hingewiesen, dass sie sich der Sache der Republik verschrieben hatte, was im Kontext bedeutet: Sie war nicht neutral. Ja, und? Fotografie ist nie neutral, kann es auch gar nicht sein. Anja Niedringhaus war embedded journalist in Afghanistan. Sind dies dann nicht auch Propagandafotos? Bezeichnenderweise werden u. a. Fotos von Niedringhaus ausgestellt, die einen verletzten US-Soldaten zeigen sowie einen Ausschnitt aus der BILD-Zeitung, die sowohl diese Fotos abbildet als auch zeigt, wie Niedringhaus den Soldaten nach seiner Genesung in den USA besucht. Fotos also, über die sich jedes Militär freut. Anja Niedringhaus war sich der Problematik des embedded journalism durchaus bewusst, wie aus Texten von ihr, aber auch aus den Fotos selbst hervorgeht. Meistens hat sie scheinbar Nebensächliches fotografiert, deren Ausdrucksstärke die Zensur, denn um nichts anderes handelt es sich bei embedded journalism, gar nicht wahrgenommen hat. Das Militär will die Kontrolle über Bilder zurück und beschneidet die Möglichkeiten von Fotojournalist*innen. Was das für die Fotografie im Krieg bzw. die Reportagearbeit insgesamt bedeutet, wäre eine spannende Diskussion im Rahmen der Ausstellung gewesen. Mit Anja Niedringhaus ist dies leider nicht mehr möglich: Sie ist bei einem Angriff der Taliban erschossen worden. Mit Gerda Taro ist sie die zweite der Ausgestellten, die in Ausübung ihres Berufes umgekommen ist. Allerdings erfährt man nichts über den Tod von Gerda Taro, die auf der Flucht bei einem Angriff der deutschen Flugstaffel Legion Condor vom Trittbrett eines LKW gefallen und von einem Panzer überrollt worden ist.

Sprachlose Darstellung

Besonders ärgerlich sind die fehlenden Texte bei Lee Miller. Sie war erst Fotomodel und danach Fotografin für die US-amerikanische Modezeitschrift Vogue. Es dauerte lange, bis sie die männliche Chefredaktion überreden konnte, sie nach Europa zu schicken. Die Generalmobilmachung gegen die Nazis machte auch vor Modezeitschriften nicht halt. Lee Miller traf direkt nach den kämpfenden Einheiten in den Orten ein. Sie fotografierte u.a. in Dachau und Buchenwald. Was sie dort sah, schockierte sie, wütend machte sie die Reaktion der Deutschen, die die Naziideologie tief verinnerlicht hatten und sich, und zwar nur sich, als Opfer sahen. Ihre ganze Wut und auch ihren Hass darüber äußerte sie in Texten, die die Vogue (manchmal auch abgemildert) abdruckte. Diese Texte fassen alles zusammen, was Nazi-Deutschland und die Deutschen ausgemacht hat. Sie sind eine einzigartige Bestandsaufnahme der Zeit direkt nach Ende der Naziherrschaft. Texte und Fotos gehören dabei unbedingt zusammen - doch leider fehlen erstere in der Ausstellung. Gerade einmal eine Vogue-Ausgabe mit einem Teil eines Textes von Miller wird gezeigt. Das ist vor allem auch ärgerlich, weil man ihre Fotos ohne dazugehörige Texte durchaus anders lesen kann: Beispielsweise das Foto aus Leipzig, das die Tochter des Nazi-Oberbürgermeisters zeigt, die Selbstmord begangen hat. Oder das der beiden SS-Männer, die in Zivilkleidung aus Buchenwald fliehen wollten und noch von den KZ-Insassen festgenommen wurden. Ihre von Schlägen gezeichneten Gesichter könnten Mitleid erzeugen - doch das Gegenteil war für Lee Miller der Fall. Sie fühlte Genugtuung und hatte durchaus Verständnis für Rache. Dieses Kontextwissen ist aber nunmal nötig, um das Motiv auch deuten zu können.

Die Entpolitisierung

Insgesamt ist es bedauerlich, dass von den Fotografinnen jeweils nur ein bis zwei Zeitungsausschnitte gezeigt werden. Dabei gehört auch die Darstellung und die Benutzung der Fotos in der Presse zum Werk der Fotografinnen, auch wenn sie meist über Auswahl, Beschnitt und Fototext nicht selbst bestimmen konnten. Auch hier zeigt sich wieder das museale Konzept der Ausstellung, das allein die Fotos für sich sprechen lassen möchte. Das funktioniert bei Pressefotos eindeutig nicht, bzw. anders ausgedrückt: Es findet eine Entpolitisierung nicht nur der Fotos, sondern letztendlich auch der Konflikte statt. Aber vor allem wird es den Opfern nicht gerecht. Was ist der Konflikt bzw. der Krieg, was sind die Hintergründe? Sie fallen einfach weg. Wo wurde das Foto aufgenommen? Haiti, Nigeria, oder doch Palästina? Ach, egal. Ist aber ein tolles Foto. Das unbestrittene Können der Fotografinnen und die beeindruckenden Fotos rücken in den Vordergrund. Auch der Katalog hebt dieses Manko leider nicht auf und bleibt meist in der Beschreibung stecken. Man würde einfach gerne mehr über die Fotos, über die Fotografinnen und ihren Impuls, in den Krieg zu ziehen, erfahren.

Für Susan Meiselas Fotos war es ihre erste Kriegsreportage, in deren Geschehnisse sie eher zufällig hineingeraten war. Für ihre Fotoserie über Kämpfer*innen der nicaraguanischen Revolution wurde sie ausgezeichnet. Mehrere Jahre später ging sie auf die Suche der Fotografierten und der Orte ihrer Aufnahmen. Ein dazugehöriger Videofilm wird in der Ausstellung gezeigt. Die meisten der Porträtierten waren da schon desillusioniert. Jahrelange Kämpfe der sogenannten Contra-Guerilla, die von den USA unterstützt wurde, gegen das sozialistische Regime hatte die Menschen mürbe gemacht. Von der hoffnungsvollen und mitreißenden Stimmung der Revolution, wie sie auf den Fotos von Meiselas zu sehen sind, war nicht mehr viel übrig. Man taucht bei Ansicht ihrer Fotos regelrecht in das Geschehen ein. Dies ist nur möglich, weil sich Meiselas von dem revolutionären Elan mitreißen ließ und ein Teil dessen wurde. Diese Anteilnahme zeigte sie bei den meisten ihrer Arbeiten. Sie vermittelt in ihren Aufnahmen die Kraft und Energie der vermeintlichen underdogs und gibt ihnen eine unglaubliche Würde. Kein Wunder, dass einige ihrer Fotos zu Ikonen der Revolte geworden sind.

Krieg ist böse

Es fehlt der Platz, um auf alle Fotografinnen einzugehen, dennoch soll auf eine Fotografin noch besonders hingewiesen werden, die vielleicht dem musealen Anspruch am ehesten entspricht. Die Aufnahmen der Französin Christine Spengler, besonders aus dem Vietnamkrieg, erinnern an mittelalterliche Schlachtenbilder, einige an Gemälde aus der Kunstgeschichte. Sie legte den Fokus vor allem auf Kinder und Frauen und ihren auf den Krieg geprägten Alltag. Wie selbstverständlich hält die madonnenhaft erscheinende Frau der Frente Polisario nicht nur ihr Kind im Arm, sondern auch ihre Waffe. Der Mensch rückt stark in den Vordergrund. Auf den ersten Blick ganz entspannt und surreal erscheint die Szenerie, in der ein britischer Soldat in Nord-Irland Kinder der katholischen Seite durchsucht, die Karneval feiern wollen. Bitter und gar nicht mehr lustig wird die Szene, wenn man weiß, dass britische Soldaten etliche Kinder im Nordirland-Konflikt erschossen haben. Auch hier ärgert die mangelnde Information über den Konflikt. Die Botschaft, dass Krieg einfach nur böse ist und alle darunter leiden, ist nicht nur zu simpel, sondern auch keine Positionierung und wird den Beteiligten, den Fotografinnen wie den Protagonist*innen der Fotos, nicht gerecht.

Offene Fragen

Dennoch ist die Ausstellung trotz aller Kritik auf jeden Fall sehenswert und setzt den Fotografinnen und den abgebildeten Menschen ein Denkmal, wenngleich einige das vielleicht so gar nicht gewollt hätten.

Was bleibt, ist die unbeantwortete Frage, wie und ob man realpolitische Kunst in einem Museumsrahmen darstellen kann, ohne sie gleichzeitig politisch zu entwerten. Das gilt nicht nur für Fotoarbeiten, sondern zum Beispiel auch für die kürzlich im NRW-Forum gezeigte Arbeit der Gruppe „forensic architecture“, die wertvolle Aufklärung im NSU-Prozess geleistet hat. Ist das Kunst? In Zeiten, in denen Künstler*innengruppen diejenige Ermittlungsarbeit machen, die Polizei und Staatsanwaltschaft nicht leisten (wollen), bleibt die Frage: wohin damit? Ist nur das Museum der geeignete Ort, um viele Menschen zu erreichen? Was folgt dann daraus? Auch diese Ausstellung wird viele Menschen erreichen. Das ist erstmal gut und wichtig, allein um die Fotografinnen und ihre wertvolle Arbeit bekannt zu machen. Ein Nachdenken über Krieg oder gar dessen Ursachen leistet die Ausstellung nicht. Es ist eine vertane Chance. Das ist nicht nur schade, das ist ärgerlich.

Fotografinnen an der Front
Von Lee Miller bis Anja Niedringhaus


bis 10. Juni 2019 im Kunstpalast Düsseldorf

Mit Fotografien von Gerda Taro (1910–1937), Lee Miller (1907–1977), Catherine Leroy (1944–2006), Françoise Demulder (1947–2008), Christine Spengler (*1945), Susan Meiselas (*1948), Carolyn Cole (*1961), Anja Niedringhaus (1965–2014)