Gestern noch am Abgrund, heute schon gewaltig weiter

In Reaktion auf so manchen linken Transpi-Slogan oder ein knackiges Statement aus linker Perspektive heißt es heute immer noch oft abschätzig: „Das sind doch nur Sponti-Sprüche“. „Gestern standen wir noch kurz vor dem Abgrund, heute sind wir schon einen gewaltigen Schritt weiter“ war einer davon, er fehlt in keiner Sammlung zur romantisierenden oder belustigten Rückschau auf „die Spontis“.

Damit ist der Bezugsrahmen, abgesehen von der Kritik an einigen bis heute – nicht immer im besten Sinne – bekannten Berühmtheiten mit Sponti-Vergangenheit aber zumeist schon erschöpft. Oder? Ein aktuelles Buch aus dem Hause „edition assemblage“ macht neue Schlaglichter zur Geschichte der Sponti-Bewegung auf.

Heute ist die landläufige Vorstellung, was denn wohl „die Spontis“ sind oder waren, vor allem mit dem Gedanken an ihre narzisstischen Figuren verbunden, die in der olivgrünen Partei Karriere machten, wie etwas Joschka Fischer (geb. 1948) oder Daniel Cohn-Bendit (geb. 1945). Der Freiburger bzw. Münchner Historiker Sebastian Kasper möchte mit seinem Buch eine andere Geschichte der Spontis schreiben, zumal eine solche aus linker Sicht bisher nicht wirklich vorliegt.

Die Spontis wollen „spontan“ sein, daher rührt auch der Name, und wenden sich gegen das verknöcherte Politikmodell sowohl der Sozialdemokratie als auch gegen das der Anfang der 1970er Jahre entstehenden kommunistischen Gruppen. Einige beziehen sich als Leitidee auch auf den in Italien wichtigen Operaismus. Sebastian Kasper erzählt die Entstehung der Spontis aus dem Abschwung, wenn nicht dem Ende der 1968er Bewegung, und kann doch zeigen, dass und wie lange sich „die Spontis“ noch auf „1968“ beziehen. Dabei referiert der Historiker Kasper (dem man seine Profession als Archiv-kundiger Mensch der historischen Wissenschaft in diesem Punkt durchaus anmerkt, ohne dass es langweilig ist) anhand vieler Quellen vor allem zwei Themen: Die Betriebspolitik („Fabrikintervention“) der Spontis in Köln, Frankfurt am Main und München – wie auch deren Scheitern. Zweitens die „Wende“ hin zu „alternativen“ Vorstellungen ab 1974/75. Jetzt lösen sich organisierte Gruppen – wie etwa die „Arbeitersache“ in München – auf. Auch das Konzept der Massenmilitanz ist an eine Grenze gekommen. Nun stehen – auch – die eigenen Bedürfnisse im Mittelpunkt: Politik soll Spaß machen, der eigene Bauch wird entdeckt und die Projekte der alternativen Ökonomie beginnen. Quer dazu liegt die feministische Frauenbewegung, die auch vor 1974 bei den Spontis eine große Bedeutung hat.

Die Ausdifferenzierung der undogmatischen Linken setzt sich dann fort: Von Esoterik bis zum Neo-Operaismus der 1978 gegründeten und bis 1985 erscheinenden Theoriezeitschrift „AUTONOMIE. Neue Folge“ (digitalisiert auf https://autonomie-neue-folge.org) öffnet sich ein weites Feld. Viele Spontis lassen nun diese Phase hinter sich, sie engagieren sich in Bürgerinitiativen oder eben bei den Grünen. Die Bewegung als solche verebbt vollends.

Als Geschichtsbuch und zum „einfach mal Lesen“ ist diese sehr preiswerte Veröffentlichung gut geeignet. Unter weitergehenden Ansprüchen ist sie jedoch in einigen wenigen, aber wichtigen Punkten kritisch zu sehen. Sich in der Beschreibung und quellenreichen Darstellung auf Frankfurt am Main und München als Schauplätze der Sponti-Bewegung zu beschränken – selbst wenn diese Städte unzweifelhaft ihre Hot­spots waren und es darüber hinaus auch arbeitsökonomische Gründe dafür gibt, in der Recherche auch lokale Eingrenzungen machen zu müssen –, wird der bundesweiten Bedeutung dieser Strömung, die ja bis in die Provinz reichte und dort mit ihren Ideen und Praktiken nicht zuletzt oft erst zeitversetzt ‚ankam‘, nicht gerecht. Leider kann Sebastian Kasper am Ende auch keine These dazu anbieten, warum sich die Spontis so unterschiedlich (auseinander-)entwickelten; dass aus ihnen sowohl intrigante Realo-Grüne oder erfolgreiche Firmengründer*innen wie auch kontinuierlich in der autonomen Bewegung engagierte Genoss*innen wurden. Wie konnte es geschehen, dass trotz des enormen intellektuellen Potenzials der Spontis, diese – zumindest im Nachhinein betrachtet – vor allem eine Frischzellenkur für den damals beginnenden neoliberalen Kapitalismus waren? Lag es an den Ideen, an den Menschen, an den Zeitumständen? Alle diesen Fragen sind weiter offen – und wären auch für heute politisch spannend. Denn „am Abgrund“, das ist definitiv nicht von gestern. Und ob wir zudem heute weiter sind? Zeit also für einen Rückblick, für morgen.

Bernd Hüttner

Sebastian Kasper: Spontis. Eine Geschichte antiautoritärer Linker im roten Jahrzehnt
edition assemblage, Münster 2019, 254 Seiten, 14 EUR.