Keine Open-Source-Lösung:

Talib Kweli muss draußen bleiben

Am 17. Mai 2019 hat der Deutsche Bundestag den Beschluss gefasst, die Kampagne „Boycott, Divestment, Sanctions“ (BDS) als antisemitisch einzustufen. Die politischen Konsequenzen zeigten sich schon bald. So lud das Düsseldorfer Open Source Festival den sich zu BDS bekennenden Rap-Musiker Talib Kweli mit Verweis auf diese Entscheidung aus.

„Der Deutsche Bundestag hat am Freitag, 17. Mai 2019, einen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel ‚BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen’ angenommen. Unter anderem werden die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung als antisemitisch eingestuft. Da der Künstler Talib Kweli als BDS-Sympatisant bekannt ist und dies auf unsere Nachfrage bestätigt hat, bleibt uns nichts anderes übrig, als seine Einladung zum Open Source Festival 2019 zurückzuziehen“, mit diesen Worten begründeten die Macher*innen die Ausladung des Rappers.

BDS hingegen bekundet in seiner Selbstbeschreibung, „alle Formen von Rassismus, inklusive Islamophobie und Antisemitismus“ abzulehnen. Das hört sich zwar ganz gut an, hätte an dieser Stelle aber auch formuliert werden können, ohne die Islamophobie im gleichen Atemzug zu nennen und zudem eine Präzision vertragen, da Antisemitismus nicht einfach eine Spielart des Rassismus ist. Weiterhin stellt sich die Initiative auf ihrer Website in die Tradition der Boykott-Kampagne gegen das südafrikanische Apartheidsregime, das bis Anfang der 1990er Jahre bestand.

Talib Kweli nimmt diese Anlehnung an die einstige Anti-Apartheid-Bewegung wörtlich. So bezeichnet er Israel in seiner auf Facebook geposteten Antwort auf die Bitte des Open Source Festivals, sich zu erklären, als ein rassistisches Land. Und dieser Rassismus ist für ihn eine logische Konsequenz des Zionismus. Auftritte dort lehnt der Musiker aus Prinzip ab. Israel will seiner Ansicht nach die Westbank annektieren, um einen Staat zu errichten, „in dem hauptsächlich weißhäutige Juden über hauptsächlich dunkelhäutige Araber herrschen“. Als Angehöriger der schwarzen Minderheit in den USA identifiziert Kweli sich mit den Palästinenser*innen und schlägt die Israelis mal eben kurz in toto einem weißen Unterdrücker*innen-Kollektiv zu. Er schreckt nicht einmal davor zurück, sie in einem Atemzug mit dem Ku-Klux-Klan zu nennen. Diesen Vergleich bemühte er auch in seiner Privatfehde mit dem jüdisch-stämmigen Musiker Remedy, der einst zum Wu Tang Clan gehörte. Ihn verewigte er in einer Foto-Collage zusammen mit einer Gruppe von Ku-Klux-Klanern.

Wohlwollend betrachtet, erscheinen diese Analogie-Bildungen abstrus. Sie verfehlen Ursache und Verlauf des Nahost-Konflikts völlig. Und die Diskrimierung von Araber*innen, die es in Israel gibt, mit dem Begriff „Apartheid“ zu belegen, trifft die Sache ebenfalls nicht. Weniger wohlwollend betrachtet, erscheinen die Äußerungen mehr als grenzwertig. „Wir haben nach diesem Schreiben keine andere Handhabe, als unsere Einladung nicht aufrecht zu erhalten und den Auftritt von unserer Seite abzusagen“, erklärte „Open Source“-Mitorganisator Philipp Maiburg. Er betrachtete es als Fehler, die politische Einstellung des Musikers nicht im Vorfeld überprüft zu haben und kündigte an, in Zukunft Verträge mit einer BDS-Klausel aufsetzen zu lassen. Das hört sich dann allerdings schwer nach Kulturpolizei an.

So ganz sang- und klanglos soll die Causa aber doch nicht an dem Festival vorbeigehen, das in diesem Jahr leider zum letzten Mal stattfindet. Am Vortag des Events wird es eine Diskussion zu dem Fall mit der Filmwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg, dem Musiker Ben Salomo und dem Antisemitismus-Forscher Jakob Baier geben. Aber viel besser als eine Geister-Diskussion ohne Talib Kweli über Talib Kweli, die es 2018 in ähnlicher Form während der Ruhrtriennale mit den BDS-Sympathisanten „Young Fathers“ als abwesende Anwesende gab, wäre eine Diskussion mit Talib Kweli selber gewesen. Dort hätte er dann Rede und Antwort stehen können, ist doch bei der gegenwärtigen politischen Lage nichts wichtiger als auch im Kleinen die Kontrahent*innen in Sachen „Israel“ an einen Tisch zu bringen.

Kritik am BDS-Beschluss

Das gilt umso mehr, als viele befürchten, die Bundestagsentscheidung zu BDS könne die Fronten verhärten und den Friedensprozess erschweren. „Leider haben sich manche Abgeordnete offenbar keine Gedanken darüber gemacht, was der Beschluss im Nahen Osten selbst auslöst“, sagt etwa Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung. Ihr zufolge haben die meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen in Palästina 2005 den BDS-Aufruf unterzeichnet. Eine Pauschalverurteilung hat schwerwiegende Konsequenzen für die Zusammenarbeit, konstatiert Unmüßig, die antisemitische Tendenzen innerhalb der Boykott-Organisation durchaus nicht in Abrede stellt. „Wenn am Ende der Spielraum für den Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen in Israel, Palästina und Jordanien immer kleiner wird, erweist uns der Bundestag damit einen Bärendienst“, erklärt sie. Und tatsächlich fand gleich nach Annahme der BDS-Resolution vor der deutschen diplomatischen Vertretung in Ramallah eine Demonstration statt.

Israelische und jüdische Wissenschaftler*innen hatten im Vorfeld ebenfalls vor einer Verabschiedung des Antrages gewarnt. 240 Akademiker*innen unterschrieben den „Aufruf an die deutschen Parteien, BDS nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen“. „Diese Vermischung ist falsch, inakzeptabel und eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Ordnung in Deutschland“, heißt es in ihrem Appell. Auch Eva Illouz, die in Jerusalem Soziologie und Anthropologie lehrt, gehört zu den Unterzeichner*innen. In einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ plädiert sie dafür, mit einem differenzierteren Antisemitismus-Begriff zu arbeiten, als es der Bundestagsbeschluss tut. „Wir sollten zwischen einem Antisemitismus, der eine bewusste Ideologie ist, die Juden hasst, und der verirrten Ideologie von Menschen unterscheiden, die im Namen der Menschenrechte nicht mehr zwischen Israel und den besetzten Gebieten unterscheiden können“, so Illouz. Den Antizionismus splittet sie in ähnlicher Weise auf. Als „einzigartig in seiner Verweigerung des Rechts eines Volkes – der Juden – auf einen Staat“ hält sie ihn für intellektuell und moralisch inakzeptabel. „Davon abgesehen“, gibt sie zu bedenken, „kann Antizionismus auch eine Kritik an einer spezifischen rechtlichen Zusammensetzung Israels sein, durch die den Juden ein Vorteil gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen verschafft wird, auch das nennt sich Antizionismus, aber im Grunde geht es hier um eine Kritik an der Art und Weise, in der jüdische Vorherrschaft im Staatsrecht verankert ist.“

Überdies weist Eva Illouz auf die politischen Interessen hinter dem Bestreben, BDS im Ganzen zu delegitimieren, hin, was sich auch in dem Aufruf der Wissenschaftler*innen wiederfindet. „Die Gleichsetzung von BDS und Antisemitismus wird von der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels gefördert“, hält dieser fest. Ein Mittel dazu ist es laut Illouz, eine bestimmte tautologische Logik zu etablieren: „Man darf Kritik an Israel nur äußern, wenn man nicht im Verdacht steht, ein Antisemit zu sein; aber äußert man Kritik an Israel, steht man von vornherein unter Antisemitismus-Verdacht“. In einer ersten Version wollte die Bundestagsresolution hier noch für Klarheit sorgen und keinen Zweifel daran lassen, dass sie eine Kritik an israelischer Regierungspolitik von der Meinungsfreiheit gedeckt sieht, in der endgültigen Fassung fehlt diese Passage aber.

Israels BDS-Politik

Bereits seit einigen Jahren gehört es zur Außenpolitik Netanjahus, auf eine Isolierung von BDS und anderen, in seinen Augen zu kritischen Organisationen hinzuwirken. Das Strategie-Ministerium hat dafür sogar eine spezielle Marsch-Route erarbeitet. So häufen sich dann diesem Plan gemäß die Interventionen von israelischer Seite, wovon auch die Kultur nicht verschont bleibt. Im Dezember 2018 schrieb Netanjahu einen 7-seitigen Brief an Angela Merkel. Darin äußerte er unter anderem seinen Unmut über die Jerusalem-Ausstellung des Berliner Jüdischen Museums, die sich seiner Meinung nach zu sehr die „palästinensisch-muslime Sicht“ auf die Stadt zu Eigen mache, und forderte die Bundeskanzlerin auf, die Einrichtung nicht länger finanziell zu unterstützen. Gleiches wollte er auch für NGOs wie „Brot für die Welt“ die „Heinrich-Böll-Stiftung“ wegen ihrer Zusammenarbeit mit bestimmten palästinensischen Organisationen verwirklicht sehen. Andere Staatschefs erhielten ähnliche Schreiben. „Der Premier-Minister hat verschiedende führende Persönlichkeiten der Welt auf die Frage der Finanzierung israelischer und palästinensischer NGOs aufmerksam gemacht, die die israelischen Truppen als Kriegsverbrecher darstellen, den palästinensischen Terrorismus unterstützen und den Boykott des Staates Israel fordern“, erklärte er dazu. Die Bundesregierung nahm zu diesem „konstruktiven Diskurs zwischen der israelischen und der deutschen Regierung“ Stellung und sah keine größeren Defizite: „Bei der finanziellen Ausstattung von NGOs werden Aspekte wie die Untergrabung des Existenz-Rechts Israels als Heimat des jüdischen Volkes und Aktivitäten zum Boykott Israels berücksichtigt.“

Das Jüdische Museum steht von Seiten des israelischen Botschafters in Deutschland und des „Zentralrats der Juden in Deutschland“ nicht nur wegen der Jerusalem-Ausstellung in der Kritik. So musste das Museum den schwulen pälestinensischen Friedensforscher Sa’hed Atshan, der über die Homophobie im Westjordanland berichten wollte, wegen dessen Nähe zum BDS wieder ausladen. Auch zur Berufung von David N. Myers in den Beratungsbeirat kam es nicht. Hier erhob die deutsche Kulturadministration Einspruch. Der in Los Angeles Jüdische Geschichte lehrende Historiker vermutet als Grund sein Engagement beim New Israel Fund (NIF).

Diese Organisation ist Netanjahu ein besonderes Dorn im Auge, nicht zuletzt, weil sein Intimfeind George Soros sie finanziell unterstützt. Ofer Waldman von der deutschen NIF-Sektion schildert die Folgen dieser Verächtlichmachung: „Uns und allen kritischen Organisationen wird von der israelischen Regierung BDS-Nähe vorgeworfen, und auch wenn das eine unwahre Unterstellung ist, so laden uns in Deutschland Gemeinden, Bildungseinrichtungen und Ortsverbände vorsichtshalber gar nicht mehr ein.“ Darum lehnt er die Entscheidung vom 17. Mai ebenfalls ab. „Der Bundestagsbeschluss verknüpft die völlig richtige, automatische deutsche Verneinung des Antisemitismus mit dem instrumentalisierten Gebrauch des Begriffs durch die israelische Regierung und das hat eine Netanjahuisierung Deutschlands zur Folge“, so Waldman. Eine unmittelbare Folge für das Jüdische Museum hatte diese Netanjahuisierung bereits: Weil es per Twitter auf einen taz-Artikel über den Aufruf der 240 Wissenschaftler*innen hingewiesen hatte, musste dessen Leiter Peter Schäfer gehen.

Dabei gäbe es eigentlich jenseits von Pop und BDS noch ganz andere Themen zu Musik und Antisemitismus. Den soll es in dieser Kultursparte nämlich schon vor 2005 gegeben haben. So schreibt ein notorischer Judenhasser in einem Brief etwa, „dass ich die jüdische Race für den geborenen Feind der reinen Menschheit und alles Edlen in ihr halte: dass namentlich wir Deutschen an ihnen zu Grunde gehen werden, ist gewiss“. Der Absender heißt Richard Wagner. Ihm werden Ende Juli wieder Angela Merkel und der halbe Bundestag in Bayreuth huldigen.

Jan