Vom Dickicht und Blues der Städte

Ein kluges, gewichtiges – und bislang in der Tat ‚fehlendes‘ – Buch hat in der Sommerpause die TERZ-Redaktion begeistert: In „Blues der Städte“ von Roman Danyluk schließt sich eine Lücke zur sozialrevolutionären Geschichte der „Bewegung 2. Juni“. Lest dieses Buch! Es ist gut!

1972 gründet sich in Berlin die „Bewegung 2. Juni“. Acht Jahre wird es sie dem Namen nach geben, bis 1980. In oberflächlicher Betrachtung wird sie nicht nur von Jüngeren, nicht erst seit gestern und auch von Linken häufig in enge Verbindung zur „Roten Armee Fraktion“ gestellt, mitunter sogar in einem Atemzug genannt oder als weniger radikale kleine Schwester der RAF apostrophiert. Dabei war die Bewegung 2. Juni wesentlich anders aufgestellt – in Selbstverständnis, Konzepten und nicht zuletzt Praxis. Roman Danyluk hat sich nun für sein fünftes, wie die Vorgänger im Verlag Edition AV erschienenes Buch Zeit und Seiten genommen, um diese doch durchaus differenzierte Geschichte der Bewegung 2. Juni nachzuzeichnen und mehr als nur den groben Unterschieden Rechnung zu tragen. Versteht sich die Bewegung 2. Juni doch – im Gegensatz etwa zur RAF – vom Moment ihrer Gründung an bzw. aus ihrem Entstehungszusammenhang heraus als sozialrevolutionär. Viele ihrer Aktivist*innen kamen aus dem „proletarischen“ Milieu des Berliner „Blues“ und der „Haschrebellen“. Die „Revolutionären Zellen“ (RZ) gründeten sich erst später, im November 1973.

Wo sich die Bücherregal-Bretter etwa zur Geschichte der RAF inzwischen mit manchmal mehr, eher aber weniger guten Büchern regelrecht biegen, gab es zur Bewegung 2. Juni bisher kaum Literatur. Der 1961 geborene Roman Danyluk hat nun mit seinem preiswerten wie seitenstarken Buch einen wichtigen Beitrag gegen die Geschichtsvergessenheit der radikalen Linken geleistet. Dass er Arbeiter, kein Akademiker ist, ist dabei nur von Vorteil.

In der ersten Hälfte des Buches erzählt Danyluk die Vorgeschichte zu seinem eigentlichen Gegenstand, der Geschichte der Bewegung 2. Juni, die mit Absicht den Tag der Ermordung von Benno Ohnesorg im Sommer 1967 in ihren Namen aufnahm und damit die Jugend- und Studierendenproteste und die widerständige Subkultur ab Mitte der 1960er Jahre. Ebenso geht Danyluk auf die militanten „Vorläuferorganisationen“ der Bewegung 2. Juni ein. Hier wird durch die sympathisierende Art der Darstellung das Lebensgefühl aus Musik, Drogen und globalem wie persönlichem Aufbegehren jener Jahre mehr als deutlich, das die militante Organisierung im weiteren Verlauf wohl erst ermöglichte – mit ihren je unterschiedlichen Abzweigungen und Schwerpunkten.

Spaltung und bewaffneter Kampf

In der zweiten Hälfte seines Buches erzählt Danyluk dann die einzelnen Etappen und die bekannteren Aktionen der Bewegung 2. Juni, von denen die von der Band „Ton, Steine Scherben“ in ihrem „Lorenz-Lied“ besungene Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975 die erfolgreichste ist. Freilich werden im Lauf der Jahre viele Aktive verhaftet und zu Haftstrafen verurteilt.

Die Bewegung 2. Juni bleibt von strategischen Differenzen und zähen Debatten nicht verschont und stellt 1978 ihre Aktionen mehr oder minder ein. Ende der 1970er Jahre, als einige Mitglieder Kontakte zu Geheimdiensten unterhalten und sich der RAF anschließen, wiederum wenige andere den Revolutionären Zellen, kommt es zur „Spaltung“. Danyluk verteidigt die ‚Entscheidung‘ zur Aufnahme des bewaffneten Kampfes auch aus heutiger Analyseperspektive als richtig, kritisiert aber die theoretischen Fehler der Bewegung 2. Juni, und vor allem die der RAF. Beispiele wären hier etwa der Antisemitismus und auch die unreflektierte Übernahme politischer Vorbilder aus dem globalen Süden.

Die Bewegung 2. Juni konnte sich schließlich der vom Staat forcierten und erzwungenen Militarisierung des politischen Konfliktes nicht entziehen – und scheiterte am Ende gemessen an ihren Gründungszielen im Kontext ihrer Praxis.

Abstriche müssen Leser*innen bei der Lektüre von „Blues der Städte“ dort machen, wo sie etwa zur Vertiefung oder zur Suche in den über fünfhundert Seiten eher ‚technische‘ Unterstützung brauchen: So fehlt dem Buch leider ein Register. Da darüber hinaus die Zitate nicht mit genauen Quellenangaben versehen sind, ist eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema nur umständlich über das Literaturverzeichnis möglich. Danyluk bietet aber in einem umfangreichen Abschnitt Kurzbiographien aller mit der Bewegung 2. Juni verbundenen Personen an, was in der ausführlichen Darstellung wohltuend praktisch ist, gerade dort, wo der Umfang des Buches den Überblick über die Akteure und Akteurinnen schwierig machen könnte. Obwohl das Buch am Ende in der Tat sehr umfangreich ist, wird es nie langatmig oder redundant. Unbedingt lesen!!

Bernd Hüttner

Roman Danyluk: Blues der Städte. Die Bewegung 2. Juni – eine sozialrevolutionäre Geschichte
Verlag Edition AV, Bodenburg 2019, 546 Seiten, 20 EUR