bookErzengel

Nach der Veröffentlichung einiger älterer Werke von Paco Ignacio Taibo II ist nun ein neues Buch herausgekommen. Der mexikanische Autor schrieb parallel zu seinen anderen Arbeiten 15 Jahre lang an diesem Buch. Er stellt 12 Persönlichkeiten vor, die teilweise Geschichte schrieben, teilweise auch nur Nebengestalten waren. Was ihnen gemeinsam war, ist der unerschütterliche Glaube an radikale politische Veränderung. Für den opferten sie sich auf und starben nicht immer friedlich. Sie stellten meist nicht den mainstream der vorherrschenden linken Linie dar, sie waren Abweichler, die ihren Überzeugungen treu blieben. In der Regel werden sie in der Geschichtsschreibung übergangen. Taibo hat sie nun aus dem Dunkel der Geschichte hervorgekramt. Die Dargestellten sind sehr unterschiedlich. Von einigen dürfte der eine oder andere schon einmal gehört haben, andere sind weitestgehend unbekannt. Und auch bei den bekannten, wie z.B. dem spanischen anarchistischen Revolutionsführer Durruti, suchte Taibo nach unbekannten Geschichten, die das Wesentliche des Wesens beleuchten. Da gibt es Wissenswertes von Escudero, einem Mexikaner, der sich in Acapulco mit den Herrschenden anlegte, über den österreichschichen Sozialdemokraten der Tat Friedrich Adler bis zur kurzlebigen mexikanischen Malergewerkschaft. Auch der deutsch-baltischen kritischen Kommunistin Larissa Michailowa, dem Spanier Sebastian San Vicente, der viel für die Linke in Spanien tat, dem unbeugsamen alten mexikanischen Anarchisten Librado Rivera und dem deutschen militanten Kommunisten Max Hoelz widmet sich "Erzengel ausführlich. Darüber hinaus erfährt mensch einiges über den Mann, der den Maoismus erfand, aber nicht Mao hieß, sondern P´eng P´ai, den Italiener "Malaboca", der im spanischen Bürgerkrieg kämpfte, aber vielleicht auch nie existierte und über den Kubaner Raul Diaz Argüelles, der in Angola südafrikanische Panzer aufhielt. Schließlich erzählt Taibo die Geschichte eines Drehbuchs über den Selbstmord des unbequemen Kommunisten Adolf Abramowitsch Joffes. Die Texte sind so unterschiedlich geschrieben, wie die Objekte der Betrachtung unterschiedlich sind. Man merkt Taibo seinen inneren Zwist zwischen Romancier und Historiker an, der oft zuungunsten des letzteren ausgeht. Gerade diese Verbindung macht neben dem Inhalt den Reiz der Geschichten aus. Da werden nicht trocken die Fakten runtergeleiert, sondern in einer leichtgängigen Sprache entsteht lebendige Geschichte. Es ist ein Buch voller Niederlagen und doch steht in jeder Zeile, daß die Personen mit ihrer Überzeugung Recht hatten. Insofern ist "Erzengel" ein aufbauendes, Mut machendes Buch, daß obendrein spannend und auch noch informativ ist.

MEIKEL F

Erzengel - Paco Ignacio Taibo II - Schwarze Risse/Rote Strasse 308 S.


bookAntisemitismus in der radikalen Linken

"Wir sind die Guten", so lautet der Titel des neuen Buches aus dem linken Unrast-Verlag - eine ironische Anspielung auf einen Antifa-Demo-Spruch aus den Neunzigern, der lautete: "Ihr werdet's nicht vermuten - wir sind die Guten!" Es geht in dieser Aufsatzsammlung um eine kritische Innenschau zum Thema Antisemitismus, denn die AutorInnen sind allesamt der radikalen Linken zuzurechnen. Positiv hervorzuheben ist die Tatsache, daß sich hier Antifa-AktivistInnen selbst an das heikle Thema herangewagt haben, ohne sich mit bloßem Zitieren von "Klassiker"-Texten vor eigenen Analyseversuchen zu drücken. Das dokumentiert den Beginn einer "authentischen" und nicht bloß aufgesetzten Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus in Antifa-Kreisen und der radikalen Bewegungs-Linken im Jahrtausendwechsel. Dies ist deshalb bedeutsam, weil die bisherige Diskussion darüber sich auf die linken "Fachkreise" sowie die linke "Fach"-Presse beschränkt, ohne zu tieferen Diskussionen innerhalb der "Bewegungsszenen" des zwar völlig geschrumpften, aber immerhin noch vorhandenen Linksradikalismus zu führen. Zwar kommen in der Neuerscheinung mit den "Revolutionären Zellen" (alte RZ-Selbstkritik 1991) und der "gruppe demontage" ("postfordistische Guerilla") auch sog. "Fachleute" zu Wort. Der Schwerpunkt des Buches liegt jedoch auf den Aufsätzen von Leuten aus diversen Antifa-Gruppierungen, und das macht auch das Spannende und wirklich Neue an dieser Neuerscheinung aus. Denn um es gleich zu sagen: Das Buch ersetzt nicht die schon vorhandenen und inhaltlich wesentlich tiefergehenden Analysen zum Thema "linker Antisemitismus" (so z.B. Poliakov, Haury, Geisel, Claussen, Strobl, Elsässer, Küntzel, die Sondernummer der Zeitschrift "calcül" sowie kontinuierlich in beißendem Ton "konkret" u.v.a.m.). Aber was helfen die klügsten Thesen und Analysen, wenn sie sie nicht diskutiert werden? Die Neuerscheinung belegt diesen Nachholbedarf in der bundesdeutschen Antifa-Linken. Auslöser für das Buchprojekt war der Versuch einer Entgegnung auf den politischen Dammbruch durch die berüchtigte Walser-Rede und dem weitläufigen Schweigen dazu in den diversen Antifa-Zirkeln. Dabei wurde "gemerkt, daß wir uns solange mit fundierter Kritik im Kreis drehen und uns im Kern nicht von Walser unterscheiden, wie wir mit dem Finger auf andere zeigen und uns selber für die Guten halten", so die HerausgeberInnen im Vorwort der Neuerscheinung. Daraus ist eine Art von selbstkritscher Reflexion als Buchprojekt entstanden, die als durchaus produktive Anregung zur Diskussion in Antifa-Kreisen sowie darüber hinaus dienen kann. Ein solches Projekt beinhaltet natürlich zugleich einen Einblick in den szeneüblichen Diskussions- und Selbstdarstellungshabitus diverser Antifa-Gruppierungen, der in vielen Facetten noch an die klassische Betroffenheits- und Moralrigidität der Autonomen erinnert. Schon bei denen führten die manchmal gewonnenen Reflexionsergebnisse, doch nicht immer die "Guten" und besseren Menschen zu sein, zu manch skurrilen gruppendynamischen Prozessen und Abgrenzungsriten anstatt zu gereifter politischer Diskussionskultur. So sind auch einige Aussagen der AutorInnen kritisch zu hinterfragen; etwa, wenn im Vorwort behauptet wird: "Unser Antisemitismus ist nicht schlimmer oder harmloser als der anderer gesellschaftlicher Gruppen, wir sollten uns mit unserem Antisemitismus jedoch besser auskennen." Was sagt uns das? Die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus und der eigenen politischen Haltung dazu führt bei den AutorInen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Eine Autorin schildert, wie sie in Diskussionen eine unausgesprochene Sonderrolle erhält, da sie aufgrund ihres Namens für eine Jüdin gehalten wird. Ihre Auseinandersetzung mit dem Nicht-Verhalten von Antifa-Kreisen zum Antisemitismus führt zu einer Aufforderung, dieser linken Sprachlosigkeit durch ein diskursives Aufbrechen von Auseinandersetzungstabus zu begegnen. Nabelschau der unglücklichen Sorte wird dagegen in einem Beitrag betrieben, der sich mit den Wirkungen der NS-Erziehung auf die heutige Zeit und damit nicht zuletzt auf die linken "Nachgeborenen" auseinanderzusetzen versucht. Dort werden derart unsystematisch die eigenen Erfahrungen aus persönlichen und politischen Gruppenprozessen mit den Lernprozessen aus der eigenen Diplomarbeit zum Thema NS-Erziehung zusammengewürfelt, daß die Aussagen nicht nur nebulös erscheinen, sondern auch leider einer gewissen Peinlichkeit nicht entbehren. Aber auch mißlungene Reflexionen können Erkenntnisse vermitteln und sei es die, daß neben den vielkritisierten "Streetfightern" und Organisierungs-Strategen auch die sozialpädagogisch geprägte "Gruppendynamik"-Fraktion einiges an Konfusion in Antifa-Zirkeln anrichten kann. Ein Highlight des Buches ist dagegen die intelligente Auseinandersetzung eines 25-jährigen Autoren mit der autonomen Antifa-Politik in Bezug auf Antisemitismus, in der es auch an lehrreichen Beispielen nicht fehlt. Etwa wenn geschildert wird, wie Marburger Antifa-Leutchen anlässlich eines Nazi-Aufmarsches gegen die "Wehrmachts-Ausstellung" zuerst dem Alt-Nazi Röder ordentlich was auf den braunen Schädel gegeben haben, um dann ohne Mucks auf einer angeblich kritischen Diskussionsveranstaltung zum Thema den Relativierungen eines ehemaligen SS-Mannes zu lauschen, während ehemalige NS-Verfolgte empört den Saal verließen. Insgesamt bietet das Buch also zahlreiche Anknüpfungspunkte für offene Diskussionen, die (nicht nur) in der Antifa bisher noch viel zu wenig geführt wurden!

AL C.

Irit Neidhardt/Willi Bischof (hg.):
Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken.
Unrast-Verlag, 2000, 188 S., 26,80 DM


bookStatus: Quo?

Im Mai 1998 feierte der Staat Israel sein fünfzigjähriges Bestehen, was auch in der BRD zu zahlreichen Publikationen zum Thema führte. Die Alte Synagoge Essen nahm eine Kooperationsveranstaltung mit der Essener Universität zum Thema "Status: Quo? 50 Jahre Israel" zum Anlass, die dort gehaltenen Vorträge in überarbeiteter Form zu publizieren. Herausgekommen ist eine bunte Sammlung von Aufsätzen unter sehr unterschiedlichen Blickwinkeln, die einen vielfältigen Einblick geben in die Geschichte, Kultur, Politik, Wirtschaft und die Konflikte in und um Israel. Den konfrontativen Anfang zu dieser Auseinandersetzung in dem Sammelband macht der Historiker Michael Wolffsohn mit einer thesenartigen Entgegnung auf die angeblichen "Legenden" um den Staat Israel. Die Leiterin der Alten Synagoge, Edna Brocke, gibt einen Einblick in das bis heute nicht völlig eindeutige Verständnis von jüdischer Existenz sowie die Rolle der religiösen Interpretation bei der Definition des Staates Israel als "jüdischem Staat". Während der Historiker Moshe Zuckermann einen kritischen Überblick über die israelische Außenpolitik und deren innenpolitischen Ursachen gibt, entwirrte der Historiker Moshe Zimmermann das komplizierte israelische Parteiengeflecht mit dem Rückgriff auf dessen gesellschaftspolitischen Zuordnungen. Der Journalist Hans Jakob Ginsburg, einigen TERZ-LeserInnen schon aus einer letztjährlichen Podiumsdiskussion bekannt, widmet sich mit seiner Analyse des Wandels in der israelischen Wirtschaftspolitik (dabei auch dezidiert der Entwicklung der Kibbuzim) einem in der allgemeinen Diskussion bisher weitestgehend unterbelichteten Thema. Dies kann wohl ebenso zum Aufsatzthema der Literaturprofessorin Anat Feinberg-Hütte gesagt werden, das sich der Entwicklung der modernen hebräischen Literatur widmet. Der Historiker Dan Diner zeigt den Wandel und die Problematik des israelischen Staatsverständnisses auf und beleuchtet dabei die politische Bedeutsamkeit sowie Gegensätzlichkeit zwischen einem säkularen und einem mythisch-religiösen Staatsverständnis. Chana Schütz von der Neuen Synagoge Berlin gibt zum Abschluß des Sammelbandes einen kurzen Einblick in das deutsch-israelische Verhältnis und dessen Wandlungsprozessen.

Endgültige Antworten auf den status quo Israels werden demnach nicht gegeben. Auch auf die Fragen nach dem wohin können sie nicht erfolgen. Das Buch hilft jedoch dabei, sich überhaupt einen Zugang zu der Bedeutung dieser Frage zu verschaffen.

AL C.

Alte Synagoge (Hg.): Status: Quo? 50 Jahre Staat Israel. Klartext-Verlag, 1999, 136 S., 19,80 DM