Drei Meldungen zu Rassismus, Nationalismus und Kapitalismus

1.

Ein 12-jähriger Junge hatte Pech. Er wurde Ende November am Neusser Busbahnhof von etwas älteren Jugendlichen verprügelt. Eigentlich eine alltägliche, banale Meldung, bestünde nicht der Verdacht, dass der Junge wegen seiner griechischen Herkunft von jugendlichen Rassisten angegangen wurde. Und die, das weiß seit einigen Monaten jeder, haben in unserer weltoffenen Republik nichts mehr zu suchen. Darum kümmert sich jetzt auch der Polizeiliche Staatsschutz beim Polizeipräsidium Düsseldorf um die Sache. (Stadtkurier aus Neuss, 9.12.00)

2.

Knapp 1000 Meter entfernt sind zirka 80 Frauen im Abschiebegefängnis an der Grünstraße eingeknastet. Ihr Verbrechen besteht darin, einen falschen Pass zu besitzen und hier als unnütze Ausländer das Bleiberecht verwirkt zu haben. Stephan Thönnessen von der Telefonkette Neuss, die seit Jahren die Abschiebehaft kritisiert, beschreibt die Bedingungen im Knast gegenüber der Neuss-Grevenbroicher-Zeitung: "Die Frauen sind nach wie vor in weniger als neun Quadratmeter große Einzelzellen zu zweit eingesperrt. Sie haben dort nur kaltes Wasser, die Toilette befindet sich ebenfalls in der engen Zelle ..." (NGZ, 13.12.00)

3.

3. Von ein paar tausend Kilometer weiter erreicht uns eine andere Meldung: "Fast elf Millionen Kinder sterben jedes Jahr weltweit noch vor ihrem fünften Geburtstag an Hunger, Gewalt, Aids und Kriegen." (RP, 13.12.00)

Alle Nachrichten haben einen gemeinsamen Kern. Hier sind Menschen Opfer von Auslese geworden: Im ersten Fall war das Kriterium die Nichtzugehörigkeit zur deutschen Volksgemeinschaft, im zweiten die Unbrauchbarkeit und im dritten hat die Aussortierung schon längst vor der Geburt stattgefunden. Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied. Während von offizieller Seite der Rassismus im ersten Fall mittlerweile geächtet ist, werden Meldungen über Abschiebung und verhungernde Menschen höchstens mit einem herzzerreißenden "leider" begleitet.

1. Die Nazis

Für die Rechtsradikalen steht die "deutsche Sache" an erster Stelle. Von diesem Standpunkt aus betrachten sie die "soziale Frage". Die Nazis stellen fest, dass das Volk von den Regierenden schlecht behandelt wird und machen das fest an der hohen Zahl der Arbeitslosen, ein Skandal, der durch die Anwesenheit der vielen Ausländer noch gesteigert wird. Ihr nationaler Antikapitalismus richtet sich gegen die Auslesekriterien der kapitalistischen Konkurrenz und setzt dagegen den Standpunkt der Volksgemeinschaft, der bekanntlich denen, die laut Nazi-Definition nicht dazugehören, schlecht bekommt.

Das heißt jedoch nicht, die Rechten hätten was gegen den Kapitalismus; nur soll sich deren Rechnung den völkischen Interessen unterordnen.

(Nebenbei bemerkt: So lässt sich die Karriere eines Horst Mahlers erklären - vom Apo-Anwalt, über die RAF zu den Maoisten und dann bei den Nazis - , der Mann hat seine Ansichten nicht geändert, lediglich die Etiketten ausgetauscht - er war immer ein sozialer Nationalist.)

2. Die Regierung

Dass für die Regierenden die nationale Sache an erster Stelle steht, bezweifeln lediglich rechtsradikale Kritiker. Kaum übersehbar sind für den anständigen Deutschen die wirtschaftlichen und militärischen Erfolge der Nation in den letzten Jahrzehnten. Damit die Geschichte auch so weitergehen kann, hat sich die Regierung überlegt, dass die "Ewiggestrigen" nun endlich von der Bildfläche zu verschwinden haben. Sie stören mit ihrem völkischen Getöse eine "vernünftige" Handhabung des "Ausländerproblems". Und die sieht so aus: Die Brauchbaren holen wir uns ins Land, der Rest muss weg. Die damit verbundenen Brutalitäten - viele "Schüblinge" erwartet Hunger, Folter oder Tod - lassen sich durchaus mit dem mörderischen Vorgehen der Nazis vergleichen. Aber entgegen den mit martialischem Gehabe auftretenden Nazis schaffen es die Abschiebungsexperten aus den Regierungsetagen, ihr Tun als Vollstreckung eines Sachzwangs zu verkaufen: Es bleibe "die bittere Erkenntnis, daß bei vielen menschlich anrührenden Schicksalen nicht geholfen werden kann. Viele Antragsteller (bei der Härtefallkommission, d.V.) sind abgelehnte Asylbewerber. Das Bundesrecht läßt hier keinen Spielraum. Die Ausländerbehörden sind zwingend an die Entscheidungen des Bundesamtes und der Verwaltungsgerichte gebunden." (Innenministerium NRW im Internet)

Es scheint, als seien die Gesetze und Verordnungen, an die sich die Behörden "leider" halten müssen, vom Himmel gefallen sind.

3. Die Kapitalisten

Oft werden die zivilisatorischen Leistungen des Kapitals gelobt. Dieses setze sich über nationale Schranken hinweg und kenne keinen Rassismus. Richtig ist, dass der Unternehmer tatsächlich in der Regel kein Rassist ist. Er hat nämlich ein anderes Sortierungskriterium: Vorurteilsfrei prüft er das Angebot an Arbeit, und ein billiger und williger Ausländer kommt da oft genug besser weg als ein waschechter Deutscher. Kann der Arbeiter der Verwertung seines Kapitals dienen oder nicht? - lautet die verdammt sachliche Frage, die sich der Kapitalist stellt. Und diese Sachlichkeit, die auf den ersten Blick wirklich humaner aussieht als die handfeste Durchsetzung völkischer Vorstellungen, kann sich durchaus in den Konsequenzen mit den Untaten der Nazis messen.

Dass in den kapitalistischen Kernländern bittere Armut neben unermesslichem Reichtum existiert, ist ebenso bekannt, wie der Sachverhalt, dass das Elend in der sog. Dritten Welt auf deren Unbrauchbarkeit für kapitalistische Verwertungsinteressen zurückzuführen ist.

In "konkret" 1/01 bemerkt der Herausgeber Gremliza: "Aber wenn ein Schwarzer in Deutschland nur deshalb überlebt, weil sonst Daimler in den USA ein Auto weniger verkauft, ist es doch besser, als wenn er totgeschlagen wird." Gremliza hat Recht. Stimmt aber nicht dennoch die Umkehrung der Gremlizschen Feststellung: Fallen nicht täglich in den Ländern der Dritten Welt zehntausende Leichen an, weil es dort keinen Markt gibt, auf dem unsere Produkte rentabel verscheuert werden können?

Den Frieden mit dem Kapital zu schließen, weil die Nazis offensichtlich so brutal sind, ist bestimmt falsch.