Antifaschistische Aktivitäten und Neues aus der Naziszene

Von Pierre Briegert

Neonazis marschierten in Essen

Erwartungsgemäß konnte der ursprünglich für Düsseldorf geplante Aufmarsch der nordrhein-westfälischen NPD "Gegen Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit" am 6. Mai in Essen nicht verhindert werden.

Die Stadt Essen hatte im Vorfeld noch nicht einmal einen Versuch gestartet, ein Verbot der Demonstration durchzusetzen. Ca. 2.500 eingesetzte PolizeibeamtInnen sorgten stattdessen dafür, daß nach über 30 Jahren wieder Neonazis durch Essen marschieren konnten.

NPD im Freudentaumel

Am Abend nach der Demo, an der ca. 500 Nazis teilnahmen, setzte der Jubel der NPD ein. Für die "Gegner der Freiheit der Völker", also "für die Linke", sei eine "Ära zu Ende" gegangen. Die Demonstration, der sich sogar "Bürger spontan angeschlossen" hätten, sei ein voller Erfolg gewesen. Weitere "Demonstrationen des Nationalen Widerstands in Essen und anderen Städten des Ruhrgebiets" würden folgen. Auf Polizeischutz sei man im übrigen nicht angewiesen, da man "sehr gut selbst in der Lage" sei, "Demonstrationen vor rotfaschistischen Gewalttätern zu schützen", wußte der NPD-Kreisverband Essen großkotzig hinzuzufügen.

Die Realität jedoch sah an diesem Tag etwas anders aus. Aufgrund der Gegenmobilisierung des von der "Unabhängigen Antifa Aktiv Essen" initiierten Essener "Bündnis gegen rechts", an dem sich u.a. autonome Antifagruppen, DKP, PDS, SDAJ, mehrere Hochschulgruppen und der DGB Essen beteiligten, mußte die NPD von der gewünschten Demoroute in der Innenstadt Abstand nehmen. Ausgestattet mit einer umfangreichen Liste an polizeilichen Auflagen, die zum Beispiel eine Fortbewegung als "marschartige Formation" und das Mitführen von Trommeln untersagte, verblieb der NPD eine winzige Demoroute durch relativ totes Gebiet rund um den Stadtgarten südlich des Hauptbahnhofs. In der weiter nördlich, jenseits der wie eine natürliche Grenze wirkenden Gleisanlage gelegenen Innenstadt demonstrierte das "Bündnis gegen Rechts" mit ca. 1.200 Leuten. Einige Menschen eilten nach Abschluß dieser Demonstration den sich südlich des Hauptbahnhofs aufhaltenden AntifaschistInnen zu Hilfe oder begaben sich über Umwege zum Südeingang des Hauptbahnhofs, so daß später der polizeilich geplante Abtransport der Neonazis über den Hauptbahnhof nicht mehr möglich war.

Kontaktpflege

Bereits um 9.00 Uhr kamen größere Gruppen von TeilnehmerInnen der NPD-Demonstration am Essener Hauptbahnhof an und wurden von der Polizei durch den südlichen Ausgang zum Auftaktkundgebungsplatz eskortiert. Viele Neonazis hatten ihre Autos an zuvor vereinbarten Plätzen außerhalb der Innenstadt oder auch in anderen Ruhrgebietsstädten geparkt oder fuhren mit der Bahn zu Vorabtreffpunkten, um von dort aus in größeren Gruppen zum Essener Hauptbahnhof zu gelangen. Die wohl größte, über 100-köpfige Gruppe, hauptsächlich bestehend aus Nazis aus Bochum, Dortmund, Witten und dem Kreis Recklinghausen, traf sich am Bochumer Hauptbahnhof, um von dort aus unter der Leitung des stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Wolfgang Henning (Bochum) und Wolfgang Kevering (Herten) sowie diverser Ordner nach Essen geleitet zu werden. Es wird aber auch von offensichtlich völlig wahnsinnigen Neonazis berichtetet, die in Kleinstgruppen oder gar völlig alleine die Anreise bewerkstelligen wollten, ihr Ziel aber angeblich nicht erreicht haben. Ähnlich dramatische Schicksale ereilte offensichtlich auch diverse "Kameraden" bei der Heimfahrt.

Bis 11.00 Uhr hatten es ca. 500 "Kameraden" bis zum Treffpunkt am Saalbau geschafft. Der Abmarsch aber mußte immer wieder verschoben werden, weil die ziemlich un-ko-ordiniert agierende Polizei lange Zeit die Lage nicht in den Griff bekam und erst nach Abdrängen und Abkesselung einer größeren Gruppe von AntifaschistInnen grünes Licht für die NPD gab. Mehrmals war es bis dahin AntifaschistInnen gelungen, die Absperrungen zu überwinden, einmal sogar mit ca. 80 Personen, denen es aber aufgrund der polizeilichen Übermacht nicht gelang, sich auf der Demonstrationsroute festzusetzen. Dafür mußte sich derjenige aus der Gruppe der ca. 200 herbeieilenden und sich prügeln wollender Nazihools, der als erster "Kontakt" zu dieser Gruppe suchte, ins Essener Klinikum bringen lassen. Ob er vor Schreck in Ohnmacht gefallen war oder aus sonstigen Gründen seinen Einsatz fürs Vaterland beendete, konnte im Nachhinein nicht mehr festgestellt werden. Die NPD feiert diesen Vorfall im übrigen auf allen ihren Internet-Seiten als Beweis für ihre kämpferischen "Qualitäten". Man habe den "Spuk" durch "beherztes Eingreifen" beendet, eine stark geschönte Darstellung der Ereignisse. Obwohl keine Antifas, sondern nur Nazis beim "beherzten Eingreifen" zu Schaden kamen, muß aber trotzdem festgestellt werden, daß der Kern der NPD-Darstellung, daß also Antifas aus eigener Kraft vertrieben wurden, nicht falsch ist. Stark geschönt hat sich dieser Vorfall zwischenzeitlich bis in die letzte Nazihöhle in NRW vermittelt und wird natürlich Auswirkungen auf Folgeveranstaltungen haben.

"Gegen Demokraten helfen nur Soldaten"

Zur NPD-Demonstration angereist waren zu über 90% NPD/JN-lerInnen und "Freie Kameraden" aus NRW. Im Gegensatz zu den NPD-Demonstrationen im Oktober 1998 in Bonn und denen 1999 in Köln war kaum Unterstützung aus anderen Bundesländern ins Ruhrgebiet gekommen, was aber nach den Demonstrationen wenige Tage zuvor am 1. Mai auch nicht weiter verwundert. Von außerhalb NRWs reiste eine ca. 10-köpfige Abordnung der niederländischen NVU an, die von Constant Kusters angeführt wurde. Darüber hinaus war eine kleine Abordnung aus Hessen und eine Gruppe norddeutscher "Freier Nationalisten" um Tobias Thiessen (Hamburg), Peter Borchard (Kiel) und Steffen Holthusen (Bremen) mit ihrem obligatorischen "Anti-Antifa"-Team angereist. Ebenso waren einige Neonazis aus Sachsen-Anhalt vor Ort anzutreffen, die die Gelegenheit nutzten, ihre freundschaftlichen Kontakte zur JN Duisburg zu vertiefen.

Geleitet wurde die Demonstration u.a. von Wolfgang Henning. Als Ordner fungierten bekannte NPD-Kader wie z.B. Thorsten Crämer (Schwelm), Axel Hellmann (Schwelm) und der Herner NPD-Kreisvorsitzende Claus Crämer sowie "Führungskameraden" der "Freien Kameradschaften" wie Christian Malcoci (Jüchen), Ralf Tegethoff (Rhein-Sieg), Dirk Fasold (Minden), Carsten Köppe (Witten), Martin Scheele (Siegen), die SauerländerInnen Daniela Wegener, Andreas Becker und Michael Krick sowie der Düsseldorfer Sven Skoda.

Erwähnenswert ist noch die Teilnahme des "Bombenhirns" der Neonaziszene, des Sprengstoffexperten Peter Naumann aus Wiesbaden und seiner Mannschaft. Wie bereits am 22.5.1999 in Köln waren Naumann und Co. für den Lautsprecherwagen und für die Technik zuständig.

Die wohl größte Gruppe innerhalb der Demonstration stellte die "Kameradschaft Ruhrgebiet" dar, die mit einem eigenen Transparent auf sich aufmerksam machte, das sie erstmalig am 1. Mai 2000 in Berlin mit sich führte. Bei dieser "Kameradschaft" handelt es sich um einen regionalen Zusammenschluß von Ruhrgebietsnazis, die sich zwar als "freie Kameraden" verstehen, aber sehr eng an die NPD angebunden sind. Den Abschluß der Demonstration bildete ein Block "freier Kameradschaften", darunter auch die "Kameradschaft Düsseldorf", dem sich auch die niederländischen Nazis angeschlossen hatten. Vom Kern der "Kameradschaft Düsseldorf" waren neben Skoda u.a. der zwischenzeitlich auf die Moltkestraße verzogene Jörg Wagner, der heute auf der Koebenerstraße in Hilden lebende Udo Birr, Elke Assmann aus Bilk und Marco Schirmer aus Derendorf vor Ort anzutreffen. Aus dem Block der "Freien Kameradschaften" waren auch die meisten Unmutsäußerungen gegenüber der NPD zu vernehmen. Die Rede des NPD-Redners Ingo Stawitz aus Schleswig-Holstein, Mitglied des NPD-Bundesvorstands, wurde mit Sprechchören "Gegen Demokraten helfen nur Soldaten" kommentiert. Erst nachdem die NPD-Redner Bernd Kremer (Essen) und Ingo Stawitz das Wort an Ralf Tegethoff und Constant Kusters abgegeben hatten, kamen auch die "Freien" auf ihre Kosten. "Möchtegern-Goebbels" Tegethoff erntete im Gegensatz zu seinen Vorrednern schon nach wenigen Worten ("Deutsche Männer - Deutsche Frauen...") tosenden Applaus. Beinahe aber wäre seine Rede bereits nach einigen Minuten durch Leuchtspur beendet worden. Diese verfehlte aus über 100 Meter Entfernung nur um wenige Meter den Redner und bescherte stattdessen einem im Weg stehenden Jungnazi leichte Verletzungen. Noch bevor der Unglückliche vom "Braunen Kreuz" zur ambulanten Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden konnte, hatte ihn Tegethoff bereits zum Märtyrer erklärt.

Während der Zwischenkundgebung gab es immer wieder Versuche von AntifaschistInnen, die braune Versammlung zu behindern. Nach diesem Vorfall gelang es der Polizei aber, die NPD-Demonstration im Spalier sicher zum Abschlußkundgebungsplatz am Saalbau zu führen. Hier allerdings mußte der "nationale Widerstand" erfahren, daß eine Rückreise über den Hauptbahnhof nicht möglich sei, da der Südeingang aufgrund der Präsenz zahlreicher AntifaschistInnen geschlossen werden mußte. Rund eine Stunde mußten die sichtlich genervten "Kameraden" ausharren, bis sie unter Polizeischutz mit städtischen Bussen zu ihren Autos bzw. zum S-Bahnhof in Essen-Kray abtransportiert wurden.

Einschätzung und Ausblick

Wagt man eine Gesamteinschätzung der NPD-Demonstration, so läßt sich auf jeden Fall eine Steigerung der Mobilisierungsfähigkeit in NRW feststellen. Ca. 450 Neonazis aus NRW übersteigt die Zahlen der bisherigen vier Demonstrationen deutlich. Hier stellt auch der bislang größte Aufmarsch in NRW am 24.10.1998 in Bonn keine Ausnahme dar. Nur max. 250-300 der insgesamt 1.000 TeilnehmerInnen kamen damals aus NRW. Es läßt sich weiterhin festhalten, daß sich das Fußvolk immer weiter verjüngt und daß es immer mehr gelingt, rechte Hools einzubinden. Letztere sind zwar kaum von den NPD-Ordnern zu disziplinieren, haben aber beim Schutz der Demonstration eine nicht unwichtige Funktion. Nach wie vor stellt die Teilnahme an Nazidemonstrationen ein nicht geringes Risiko dar, das von Polizeiseite zu einem großen Teil, aber eben nicht völlig abgefedert werden kann. Doch die Nazis lernen hinzu. Je sicherer die Teilnahme für jede/n einzelne/n wird, um so mehr SympathisantInnen lassen sich auch dazu bewegen mitzumarschieren. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen. Es ist darüber hinaus zu erwarten, daß die NPD versuchen wird, an die Demonstration in Essen anzuknüpfen und noch in diesem Jahr einen weiteren Aufmarsch im Ruhrgebiet zu organisieren. Als Orte kommen am wahrscheinlichsten Dortmund, Bochum oder erneut Essen in Frage. Unterm Strich kann die NPD, insbesondere ihre Ruhrgebietsstrukturen, ihre Demonstration am 6. Mai zurecht als Erfolg werten, wenn auch nicht als großen.

Gemessen an den Möglichkeiten und Bedingungen vor Ort ist der 6. Mai für die Antifa sogar noch recht günstig verlaufen. Eine massivere Unterstützung von Antifagruppen aus weiter entfernt gelegenen NRW-Städten und von außerhalb NRWs wäre dringend erforderlich gewesen. So läßt sich festhalten, daß mit nur 200 bis 300 Leuten gegen eine Übermacht Polizei und inzwischen auch eine Übermacht Nazis nicht viel zu machen ist. Die routinemäßige hermetische Abschottung der Naziaufmärsche mit einem riesigen Polizeiaufgebot ist auch in NRW zum Standard geworden. So bitter notwendig es für die Antifa in NRW auch ist, ihre Handlungsfähigkeit zu erhöhen, so wenig erfolgreich wird es auch in Zukunft sein, mit wenigen Leuten und mit durchsichtigen Konzepten zu versuchen, immer größere und besser geschützte Naziaufmärsche zu verhindern. Wer diesen Satz jedoch als Aufruf verstehen möchte, die nächsten Jahre damit zu verbringen, die Nazis marschieren zu lassen und statt dessen in Klausur zu gehen, um das Problem theoretisch in den Griff zu bekommen, muß allerdings enttäuscht werden. Immerhin bedarf es auch heute schon eines riesigen Aufwandes für Polizei und Nazis, die Sache einigermaßen glimpflich über die Bühne zu bekommen. Ihnen ihr ekelhaftes Treiben weiterhin so schwer und teuer wie möglich zu machen, ist das geringste, was von AntifaschistInnen weiterhin gewährleistet werden kann und muß. Mehr ist dringend notwendig, aber in weiter Ferne.