Kein Weg als deutscher Jude

Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat einen biographischen Streifzug durch die Geschichte der Bundesrepublik veröffentlicht, der einen fesselnden Einblick in die Widersprüchlichkeit und Problematik jüdischen Lebens in dem Nazi-Nachfolgestaat ermöglicht. Als deutscher Jude, politisch Teil der 68er Revolte und später Mitglied der grünen Partei, schildert der Autor die Konflikte eines derartigen politisch engagierten Lebens in Deutschland. Freimütig und ohne Scheuklappen schildert Brumlik die eigenen Schwierigkeiten mit der jüdischen Identität und eröffnet dadurch zugleich einen Zugang zur offenen Auseinandersetzung mit jüdischem Leben in diesem Lande. Sein biographischer Rückblick ist zugleich ein Gang durch die Geschichte der BRD aus Sicht eines jüdischen Linken, und er verdeutlicht die nach wie vor vorhandene Verkrampfung im Umgang mit Juden. Nicht nur der immer noch virulente Antisemitismus, sondern auch viele sich philosemitisch gerierenden Kollektivzuschreibungen von Juden in Deutschland zeugen von dieser pathologischen Unfähigkeit, sich von der völkischen Identitätshuberei lösen zu können. Micha Brumlik durchbricht diese Zuschreibungen, indem er in spannenden Schilderungen seine eigenen Orientierungsversuche und deren Widersprüchlichkeiten sowohl im innerjüdischen als auch im Rahmen der allgemeinen Auseinandersetzungen in Deutschland lebendig macht. Als Jugendlicher ein glühender Anhänger des Zionismus wandert der Autor in einem israelischen Kibbuz aus. In Jerusalam kommt er in Berührung mit einem linksakademischen Antizionismus. Er löst sich von religiösen und zionistischen Riten, genießt Bob Dylan, Joints, heiße Diskussionen um Marxismus und Revolutionstheorien und beginnt, sich kritisch mit der Palästinenser-Problematik auseinanderzusetzen. Damit beginnt für ihn der Versuch der Loslösung von Zionismus, Judentum und Israel. Er reist nach Deutschland zurück. Angekommen am Todestag von Adorno engagiert sich Brumlik im Kontext des 68er Aufbruchs. Zunächt als "linker, binational gesonnener Antizionist nach Deutschland gekommen", wird Brumlik zunächst Mitglied der Frankfurter "Roten Zelle Bockenheim - Förderation Neue Linke", die neben bekannten SDS-Größen wie K.D. Wolff auch solch linksradikale Figuren wie das spätere Mitglied der "Revolutionären Zellen", Wilfried Böse, aufwies. Damit wird der antizionistische Jude Micha Brumlik zu einem Kampfgenossen deutscher Linksradikaler, von denen ein Teil kurze Zeit später Antisemitismus in Reinform praktiziert. Jener "Boni" Böse war Teil eines palästinensischen Fugzeugentführungs-komandos, das 1976 eine Maschine der israelischen Fluggesellschaft nach Entebbe entführte und dabei jüdische Passagiere selektierte, um palästinensische und deutsche Inhaftierte freizupressen. Brumlik dagegen nimmt wieder Kontakt zu früheren jüdischen Bekanntschaften aus seiner frühen deutschen Jugendzeitauf, die sich unter ihrem damaligen Cheftheoretiker Dan Diner zu einer zionistisch-linksradikalen Gruppe zusammengeschlossen haben. Selbst immer noch in kritischer Distanz zum Zionismus stehend, erlebt Brumlik zu Beginn des Häuserkampfes in Frankfurt 1972 erneut die Widersprüchlichkeit jüdischer Deutscher in der Linken. Während jene unter der Goebbels Parole "Die Schweine von heute sind die Schinken von morgen" gegen den "Spekulanten Bubis" durch die Straßen ziehen, besetzen Mitglieder der Jüdischen Gemeinde das Theater, um gegen den Antisemitismus in dem Fassbinder-Stück "Die Stadt der Müll und der Tod" zu protestieren. Brumlik selbst beteiligt sich mit einigen Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde an den Demonstrationen gegen die meist jüdischen Hausbesitzer. Hierbei wird ihm von einem seiner Genossen eröffnet: "Ach weißt du, Micha, ich muß es dir ja mal sagen, du bist doch ganz anders als die anderen Juden, die ich kenne." Angewidert und verwirrt verlässt Brumlik die Demonstration. Es sind Alltagsgeschichten wie diese, die verdeutlichen, wie begriffs- und geschichtslos auch die deutsche Linke im Umgang mit Antisemitismus geblieben ist. Brumlik schildert dies auch in Konflikten innerhalb des "Sozialistichen Büros" (SB), das - zusammen mit dessen Zeitschrift "Links" - zu einer weiteren politischen Heimat wurde, bis er im Zuge der Auseineandersetzungen um den zweiten Golfkrieg dort ausschied. Der Autor beginnt vorsichtig, sich politisch wieder der Jüdischen Gemeinde anzunäheren, veröffentlicht Artikel in der "Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung" und beginnt unter dem Eindruck der linken Geschichts-vergessenheit zunehmend, sich mit dem Holocaust und der deutschen "Vergangenheitsbewältigung" auseinanderzusetzen. Er betont selbst, daß ihm erst Ende der Siebziger Jahre die besondere "Bedeutung der industriellen Massenvernichtung für unser jüdisches Selbstverständnis" deutlicher bewußt wurde. Brumlik engagiert sich in der "Jüdischen Gruppe" in Frankfurt, einem Zusammenschluß von Linken, der 1982 durch öffentliche Anzeigenkampagnen gegen das Massaker an Palästinensern große öffentliche Aufmerksamkeit erhält. Über den Verlag "Neue Kritik" werden zugleich lesenswerte Beiträge veröffentlicht, die sich kritisch mit dem Antisemitismus in der Neuen Linken beschäftigen. Brumlik wandelt sich erneut vom internationalistischen Binationalisten zum Vertreter der Zweistaatlichkeit in Israel. Zugleich engagiert er sich gegen die Errichtung der geschichtsverfälschenden "Neue Wache" und die zunehmende Verdrängung der nationalsozialistischen Verbrechen. Die achtziger Jahre sind zugleich Auftakt kommunalpolitischen Engagements für die grüne Partei, die Brumlik als linkes Aushängeschild fortan begleitet. Seine vehemente Kritik an der Haltung der Grünen zum zweiten Golfkrieg führt vorübergehend zu seinem Parteiaustritt, während er in der Auseinandersetzung um Deutschlands Rolle beim Jugoslawienkrieg eine kritische Haltung einnimmt. Brumliks politisches Wirken, die offenen Schilderungen seiner biographischen Brüche, seine Beschreibungen der Konflikte in der deutschen Linken sowie die Erläuterungen zu innerjüdischer Zerrissenheit zu politischen Auseinandersetzungen zerstören das allgemein vorhandene, von Vorurteilen geprägte und oft antisemitische Bild über "die Juden" als einer Schimäre von einem homogenen und im Nirvana agierenden "Fremdkörper". Er eröffnet aus linker Sicht Zugänge zu jüdischem Selbstverständnis und bricht damit eine nach wie vor - auch in der deutschen Linken - vorhandene Verständigungsblockade auf, deren Fall die Voraussetzung ist für eine wirksame Bekämpfung des Antisemitismus.

Micha Brumlik:
Kein Weg als
deutscher Jude.
Eine bundesrepublikanische Erfahrung.
Ullstein, 2000, 221 S.,
14,80 DM


Mein Leben als Buch

Dass der Inhalt von Büchern gefährlich sein kann, erkennt man u.a. am Verhalten aller despotischen Regime der Welt ihnen gegenüber. Die Zensur wird weltweit ausgeübt. Wirft man jemandem, sagen wir mal, den grossen Brockhaus an den Kopf, dann gibt es mindestens eine grosse Beule. Dem Antiquar Dietrich Oger passiert aber etwas ganz anderes. Er wacht eines Tages als Buch auf. Seinen Fähigkeiten ist er bis auf das Fühlen beraubt. Merke: schliesslich besitzt ja wohl jedes Buch eine Seele. Er kann sich fortan nur noch als Text mitteilen. Sofern ihn jemand zur Hand nimmt. Aber auch als Buch kann man jede Menge Abenteuer erleben. Er fliegt aus dem Fenster, ein Hund bepinkelt ihn, er wird geklaut, verramscht, von seiner Frau hintergangen, mit gutem italienischem Rotwein besudelt, letztlich einem Verleger zugespielt und wieder neu veröffentlicht.

Eine wirklich kunterbuntes Gemisch von verschieden Ebenen, von Verwirrungen und Gewusel. Aus diesem Knäuel webte Peter Jacobi eine durchdachte Geschichte, die auch noch wundervoll illustriert ist. Das, was dem Buch passiert. wird visuell in den Illustrationen umgesetzt, seien es die Rotweinflecken, die ausgerissene Seite, Küsse oder die vielen anderen Erlebnisse.

Das Buch ist eine wahre Hommage an das Lesen. In einer Zeit in der alles und jeder von Multimedia, Internet und 40 Fernsehprogrammen faselt, setzt Peter Jacobi dem Buch ein Denkmal. Diese schöne Groteske ist der beste Beweis, das es sich lohnen kann, ein Buch in die Hand zu nehmen.

Mein Leben als Buch - Peter Jacobi - Nautilus - 28 DM

Meikel F.