CASCABULHO: "Hunger gives you a headache"

Diese Scheibe kommt unüberhörbar aus Brasilien. Mit den typischen Klängen, mit denen der Nordeuropäer Brasilien verbindet, hat diese feurige Musik jedoch wenig gemein. Brasilien, zigmal so gross wie Deutschland, hat eine ausserordentlich lebendige Musikszene, die von Folkmusik bis zu Heavy Metal reicht. Doch nur wenig davon erreicht den alten Kontinent. Cascabulho kommt aus Recifé, dem Nordosten Brasiliens. Hervorgegangen sind sie schon vor einigen Jahren aus der Subkultur der pulsierenden Stadt. Einigen Jugendlichen war das Klangkorsett, dass sie zu hören bekamen, zu eng. Sie suchten sich ihre eigene Mischung. Es entstand unter dem Label "the mangue beat movement" ein neuer Sound, dessen Ableger Cascabulho sind. In ihrer Musik vermischen sie unterschiedliche Musikstile miteinander. Deutlich hörbar ist der afrikanische Einfluss, besonders vom Westen des Kontinents. Sambarhythmen werden durchgenudelt und neu zusammengesetzt. Zwischendurch tauchen Choralgesänge auf, dann hört man ganz unvermutet ein Bandenon. Plötzliche Geschwindigkeitswechsel erzeugen eine elektrisierende Atmosphäre. Live dürfte dies ein ziemlicher Hammer sein. Eine sommerliche Musik, die auch im Winter Sehnsüchte erzeugen wird.

MEIKEL F


Welten im Zusammenbruch!

Ich bemühe mich ja darum, Zusammenhänge zu verstehen. Aber wie so oft bin ich mal wieder völlig verwirrt! Mölli will Kanzler werden und mein liebstes Fußballteam seitdem ich denken kann, nämlich die Holländer spielen bei der EM so wie....ich wage es kaum zu sagen....aber ich bin mir ziemlich sicher, daß meine holländische Familie keine Terz liest. Es muß einfach raus: Sie spielen so wie die Deutschen! Statt genialer Technik und Ballverliebtheit spielt man auf den Fehler des Gegners wartend und ansonsten mäßig. Ich bin erschüttert wie seit dem Mauerfall nicht mehr.

Bleiben wir noch etwas beim Thema Fußball. In Düsseldorf gibt es ja seit langem eine Kumpanei zwischen einer schlechten Band und einem maladen Fußballverein. Ein Artikel über diese Geschichte in der letzten Terz führte zu heftigen Reaktionen. Egal, was in der Terz zu Politik und Geschichte geschrieben stand, in meinem Umfeld wurde das allenfalls interessiert zur Kenntnis genommen, aber hier: Skandal! Ich glaube zwar auch nicht so ganz daran, daß Ulli Hoeness der geborene Verbündete im antifaschistischem Befreiungskampf ist, aber die Fakten über den FC Bayern sind doch wahrlich interessant. Ich wünsche mir mehr Leute, die andere in Ihrer Selbstgefälligkeit provozieren. Und anstonsten sei zum Thema Tote Hosen folgendes empfohlen: Wiglaf Droste lesen. In seinem erquickendem Essayband "Mein Kampf, Dein Kampf" finden sich drei Seiten: "Wenn Jusos lallen: Campino, eine tote Hose" und dort steht dann so das Wesentliche.

Ich lese nur noch selten Musikzeitungen. Aber ab und an tue ich mir es natürlich doch noch an, wenn z.B. eine CD dabei ist. Und dann bin ich immer wieder erstaunt, wie z.B: bei der letzten Visions. Natürlich gibt es auch eine ganze Menge Neues, aber die Haltbarkeit der Rocklegenden und Alternativbands o.ä. ist schon erstaunlich. Rollins Band, Pantera, Slayer, Iron Maiden, Bad Religion, The The, Perl Jam, The Cult...die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Gibt es denn keinen Break mehr, wie es Punk einmal war? Alle diese Musiker, die ich hiermit ja gar nicht kritisiere, sind von den Seventies geprägt, bestenfalls noch von den frühen Achtzigern. Die jungen Leute gehen offenbar lieber tagsüber ins Büro und am Wochenende in die Blödmanndisco und die 40jährigen gehen in Jeans zum Bad Religion-Konzert und wissen: Die spielen genauso wie vor 20 Jahren: Punk ohne Zähne. Schrecklich!

Eine Band habe ich gerade mit Absicht vergessen. Sonic Youth haben eine neue CD veröffentlicht und die ist für meinen Geschmack das beste, was sie seit langem, mindestens seit Daydream Nation gemacht haben. Ich mochte vor 15 Jahren den poetischen Lärm von Evol und Sister sehr gerne, und da sind sie jetzt fast wieder angelangt. NYC Ghosts & Flowers (Geffen) ist eine definitiv unkommerzielle Platte, Singleauskopplung wäre Blödsinn. Im Vergleich zu oben erwähntem Frühwerk ist es ruhiger. Die Platte geht über New Yorks düstere Geheimnisse und ist von Burroughs inspieriert. Viele Rückkopplungen, seltsame Geräusche, unheimlicher Lärm... schließlich geht es um Geister. Aber kaum normale Rockmusik. Schön!

Zum Abschluß sei noch auf die Spaßvögel von Ween hingewiesen, die mit White Pepper (Mushroom) ebenfalls eine neue draußen haben. Nach der Sonic Youth ist eine solch fröhliche und abwechselungsreiche Scheibe denn doch wieder eine Erholung. Mir ist sie aber etwas zu gefällig, es klingt tatsächlich des öfteren wie die Beatles, was ja an sich nicht so schlimm ist. Aber ihre beste Platte bleibt Chocolate & Cheese, die auch schon wieder sechs Jahre alt ist.

FEHRI

PS. Wenn Ristic Turbo Sven Demandt zurück zur Fortuna holt, dann steigt diese endlich wieder auf und holt sich in drei Jahren den Lothar, der dann seiner Karriere einen neuen Meilenstein zufügt! Wetten?!


FRANK LONDON'S KLEZMER BRASS ALLSTARS: "DI SHIKERE KAPELYE"

Auf dieser Scheibe wurden verschiedenste Musiker des Klezmer versammelt. Entstanden ist Klezmer in den jüdischen Ghettos Osteuropas. Die Fidel als wichtigstes Instrument der ursprünglichen Musik war bei Beerdigungen wie auch bei Hochzeiten immer dabei. Durch Auswanderung und Vertreibung Anfang des Jahrhunderts wurde die Musik in viele Länder der Erde verbreitet. Es entwickelten sich verschiedene Stile. Während in den USA sich die eher traditionelle Version mit Fidel und Klarinette weiterentwickelte, entstand bei den noch Lebenden und Überlebenden in Osteuropa eine Vermischung mit Blasinstrumenten wie Trompete und Tuba. Beide musikalischen Richtungen, normalerweise ohne Gesang, drücken die unterschiedlichsten Stimmungen aus, wobei die wehmütigen Klänge eindeutig überwiegen. Die Schrägheit der Musik, die vermeintliche Disharmonie, sind das Charakteristische dieser Musik. Es ist eine tanzwütige Musik, die einen in Trance versetzten kann. Die immer wiederkehrenden Grundmuster werden durch die unterschiedlichen Einsätze der Instrumente nie langweilig.

Jahrzehntelang nur von den Überlebenden des Holocaust in der Diaspora gehört und gepflegt, erlangte sie erst im letzten Jahrzehnt wieder Beachtung. Auf dieser Scheibe ist die Verschmelzung beider Musikstile zu hören. Nicht von ungefähr erinnert sie an bekannte Rhythmen: bspw. an Kusturica Filme oder an die Musik der Fanfare Ciocarla (auch Piranha). Schliesslich hat die osteuropäische Gypsie- und Klezmer-Musik nicht nur die gleichen Ursprünge. Beide Gruppen wurden verfolgt und vertrieben. Diese jahrhundertelange Repression drückt sich auch in der Musik aus, ohne dabei bloß schwermütig zu sein. Selbst die Beerdigungslieder drücken in ihrer Traurigkeit und ihrem Wehklagen eine gemeinsame Erfahrung aus, mit dem der Tod ein Stück weit erträglicher wird. Schnell, schräg und unkonventionell ist die Scheibe ein absolutes Aha-Erlebnis. Die Band wird demnächst wohl auch durch Europa tingeln. Ein Konzert, das mit Sicherheit ein grandioses Ereignis sein wird.

Mit den jiddischen Titeln wird auch daran erinnert, welche grossartige Kultur in Europa mit der Ermordung der jüdischen Menschen weitestgehend vernichtet wurde.

MEIKEL F