Erwachsen werden mit seiner Musik

Seit mehr als drei Jahren schon treten "kettcar" in und um Düsseldorf auf, aber die große Aufmerksamkeit ist ihnen noch nicht zuteil geworden - weil sie eben noch kein Produkt, sprich eine CD, herausgebracht haben. Die Terz traf Jovan Stojsin, Florian Dürrmann und Manuela Barczewski und sprach mit ihnen über den erweiterten Country-Begriff, mittlerweile seltsame Texte, das Erwachsenwerden mit seiner Musik und die elektronische Irritation.

TERZ Wie seid Ihr zu eurem Country-Programm gekommen? Offensichtlich ist es mehr als nur ein kleiner Gag zu dem bestimmten Anlass des Festivals im letzten Frühjahr?
Jovan Wir haben immer schon gern Country bzw. Folk älterer und neuerer amerikanischer Prägung gehört, und als Andrew das Festival organisiert hat, wollten wir da mitmachen und haben ein Set zusammengestellt.

TERZ So schnell?
Jovan Das ging relativ flott.
Ela Sonst brauchen wir länger für unsere Stücke. Wir hatten den Kopf freier, weil es so Themen-bezogen war.

TERZ Man kann Country trashmäßig hochnehmen oder die Musik - wenn man ein guter Musiker ist - originalgetreu nachstellen. Ich finde beides problematisch.
Jovan Es gibt noch andere Annäherungsarten als die von Dir genannten. Bands z.B., die uns sehr nahe stehen wie "Souled American", spielen Country in einer sehr langsamen, fast schon ambientmäßigen Form. Da geht es mehr um Sounds. Bei Country sind die Harmonien supereinfach, da kannst du viel am Sound feilen. Das war bei der Arbeit am Set und an unserem Country-Tape auch das Interessanteste.

TERZ So einen Country-Rock-Brecher wie "Two Sides of The Story" habe ich aber doch eher als Gag empfunden.
Jovan Hhm, schwer zu sagen. Es kam ziemlich flott herausgepurzelt. Da ging es mehr um den Text. Das ist auch so eine Sache, die ich an Country schön finde, dass die Musik nur ein Träger ist für einfache, persönliche Inhalte, Probleme zwischen Männern und Frauen ...

TERZ Einige Stücke wie das instrumentale "Wandering Home" haben nicht viel mit Country zu tun.
Jovan Je nachdem, wie Du es siehst. Das ist ein Country-Bezug, der sich über Klischees ergibt - durch die Wüste latschen und tagelang auf der Suche nach Wasser sein z. B.. Es geht einfach um eine bestimmte Hitze, die du erzeugst mit der Musik. Wir haben das Stück deshalb ins Programm genommen, weil wir dachten, es würde einen anderen Aspekt, eine andere Idee mit reingeben. Wir trennen auch nicht so stark und sagen "Country - das ist Johnny Cash" und alles andere, Folk- oder Avantgarde-Elemente, hat darin keinen Platz.

TERZ Insgesamt gesehen gefällt mir euer Standard-Repertoire besser, weil es eine ganz eigene Welt schafft. Eure Stücke basieren ja meistens nicht auf Akkordfolgen und haben auch oft keine Refrains. Wie entstehen die einzelnen Songs?
Jovan Das ist unterschiedlich. Die Stücke sind nie so richtig auskomponiert. Die Harmonie-Abläufe stehen meistens schon, entwickeln sich aus einer Session heraus. Aber wir treiben es im Proberaum nicht dahin, dass es den alles öffnenden Super-Refrain gibt. Wir arbeiten nicht innerhalb des Schema eines klassischen Pop-Songwritings.
Florian Es geht halt viel um Dynamik, also innerhalb der Stücke mit Dynamik zu arbeiten, sehr leise zu spielen, das aufzubauen, nicht nur auf einem bestimmten Dynamik-Standard zu spielen.

TERZ Ihr beschreibt eure Stücke selber als melancholisch, andererseits sind sie aber auch kühl, abgeklärt und distanziert.
Florian Das ist oft eine Gratwanderung. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, gleichzeitig aber vermeiden, das Leiden auszustellen.
Jovan Innerhalb der Band arbeiten wir auch alle unterschiedlich. Ela schreibt Texte, die persönlich sind und auf eigene Erfahrungen zurückgehen. Mit Florian und mir haben sie eigentlich nichts zu tun, aber sie hält es auf einem Level, dass sie erzählt, statt den Leuten den Blues um die Ohren zu hauen. Der Gesangsstil ist gerade, geht nicht hoch und runter, um einen emotionalen Effekt zu erzielen, sondern betont die Melodien, die klar rüber kommen. Dadurch entsteht eher so eine Distanz.

TERZ Durch die Texte wird das Abgeschlossene, Statische, Passive noch verstärkt. Oft wird darin eine reine Beobachter-Haltung eingenommen und erscheint ein Eingreifen unmöglich.
Ela Mein Schreiben kommt schon vom Beobachten her, hat aber etwas mit mir zu tun in dem Sinne, dass ich ein sehr visueller Mensch bin. Das zeigt sich etwa in "Turtle Shanty", wo ich mich mit einer Photographie beschäftige und das, was ich über das Bild sage, für mich eine ganz besondere Bedeutung hat.

TERZ Ganz seltsam finde ich den Text von "Kisss", wo es heißt: "Ich möchte eine Frau sein, die Röcke trägt / Ich möchte eine Frau sein, die rotgeschminkte Lippen hat".
Ela Ja, das ist mittlerweile seltsam. Das Stück ist schon ziemlich alt, der Text zumindest. Das war der erste Text, den ich geschrieben hab'.
Florian Wir spielen es inzwischen auch nicht mehr.
Ela Das war so eine Erfahrung, die ich als Frau gemacht hab'. Das passte Florian immer nicht so recht bei "kettcar" rein, weil es sehr persönlich war.

TERZ Im Grunde finde ich es wichtig, so zwiespältige Gefühle auszudrücken. Worum geht es da genau? Ein junges Mädchen, das sich danach sehnt, älter zu sein? Ela: Nicht älter zu sein, sondern eine Frau zu werden. Das war vor vier Jahren schon ein Thema für mich, mich als Frau bewusst wahrzunehmen oder zu sehen, was Frauen in der Gesellschaft wirklich für eine Rolle spielen. Es ist immer noch wichtig für mich, aber ich fasse es nicht mehr in so konkrete Bilder wie "rote Lippen".
Jovan Mittlerweile hat sich auch unsere Arbeitsweise geändert. Wir versuchen mehr Kontrolle zu erlangen über das Zusammenspiel. Wir wollen eine bestimmte Form erreichen. Dabei ist es dann manchmal so, dass ein Text, wenn er zu schwer ist, zu viel mit sich bringt, dich daran hindern kann, die Musik zu spielen.
Ela Manchmal - wie in "Seasons" - singe ich auch dieselbe Strophe drei- bis viermal. Dadurch wirkt der Gesang dann eher wie ein Instrument, und die Worte treten mehr in den Hintergrund.
Jovan Iggy Pop, der singt "1969 O.K. / War across the USA" oder die Who, die mit 35 noch "My Generation" spielen - das sind so Relikte der eigenen Jugend, die sie mit herumschleppen. Man fängt als Rockband an, weil man Bock hat, seinen Protest zu äußern gegen die Erwachsenen, wie das bei uns damals auch war. Aber irgendwann ist dieser Prozess abgeschlossen, und man hat einen Level erreicht, wo man einfach nur noch Musik machen und keine Kämpfe mehr führen will.

TERZ Du meinst die Periode mit der "kettcar"-Vorläuferband "Alan Metzger". Ist das für dich ganz ausgestanden, dass man mit lauter, aggressiver, schräger Musik etwas aussagen kann?
Jovan Nein, überhaupt nicht. Eigentlich geht es für mich sogar noch weiter, auch mit "kettcar", obwohl die Musik viel melodiöser ist als die von "Alan Metzger". Ich will mich bloß nicht mehr leiten lassen von dem Gedanken "Ich mach' jetzt genau das Gegenteil". Es ist eine wichtige Frage, wie man mit seiner Musik erwachsen werden kann.
Florian Es gibt Wege, so eine bestimmte Haltung gegenüber der Musik beizubehalten, ohne eine Krachband zu bleiben. John Zorn oder David Grubbs verfolgen das z. B..

TERZ Als sich "Alan Metzger" aufgelöst hatten und ihr "kettcar" gegründet habt, dachte ich, es würde ein Electro-Projekt werden.
Jovan Am Ende von "Alan Metzger" haben wir die Gitarren ein wenig abgehängt und statt dessen kleine Keyboards benutzt. Aber das war eigentlich ein blöder Ausweg, einfach nur inspiriert von der Entwicklung, dass Techno sozusagen die Oberhand gewonnen hatte und Gitarren-Musik veraltet wirkte.

TERZ Techno hat Druck ausgeübt?
Jovan Natürlich, klar. In den letzten Jahren habe ich mich mehr damit beschäftigt, oder sagen wir, es hat mich mehr drangekriegt. Ich habe jetzt einen Zugang dazu, aber nicht unbedingt das Bedürfnis, die Musik auch zu machen. Vielleicht ergibt sich das bei uns einmal. Aber im Moment ist es für uns interessanter, an unseren herkömmlichen Instrumenten zu arbeiten. Auch aus der Erfahrung heraus, dass es nicht so ein allheilendes Mittel fürs eigene Musikmachen ist zu sagen: "Wir kommen jetzt von den Ideen her nicht weiter, nehmen wir einfach superviele Instrumente rein, Elektronik, Sampler usw." Ich kenn' mich mittlerweile damit aus, aber ich wüsste jetzt nicht, warum ich das reinbringen sollte bei "kettcar".

TERZ Habt ihr Hoffnungen auf eine Art von "Karriere" oder betrachtet ihr "kettcar" eher als Nebensache.
Ela Als Nebensache betrachten wir es nicht.
Florian Als "schönste Nebensache der Welt" - nein, es ist einfach so, wir haben auch mal versucht, dran zu ziehen, Tapes verschickt an Labels, aber die wollten uns nicht haben.
Ela Nachdem wir die ganzen Absagen, oder noch nicht einmal Absagen, bekommen haben, sind wir uns schon darüber bewusst, dass wir einen schweren Stand haben. V2 hat geschrieben, ihnen würde unsere CD mit den vier Liedern zwar gut gefallen, aber da das Label eher kommerziell ausgerichtet ist, würden wir da nicht reinpassen: "Viel Erfolg noch".
Florian Deshalb planen wir jetzt, selber etwas aufzunehmen und hoffen, dass es uns gelingt, einen Vertrieb dafür zu finden.

TERZ Warum habt ihr euren Auftritt bei der "Mut gegen Rechts"-Veranstaltung abgesagt?
Jovan Volker Neupert hatte mich angerufen, aber nicht genau gesagt, was Sache ist, weil er auch nicht genau wusste, wer teilnehmen wird. Wir haben ein paar Mal telefoniert und er sagte, es würden Bands spielen wie "Bolex" und "Der letzte Schrei". Er hat mir eigentlich nur die Musikgruppen genannt und irgendwann einmal erwähnt, dass Clement vielleicht kommt. Mir war es bis dahin nicht klar, dass es eine politische Informationsveranstaltung sein sollte und die Bands dazu da sind, zwischen den einzelnen Talk-Runden überzuleiten. Wir haben uns da im Endeffekt fehl am Platze gefühlt.
Florian Es ging bestimmt nicht darum, uns da spielen zu lassen, weil sie uns gut finden, sondern die haben von irgendjemand gesteckt bekommen "kettcar ist eine angesagte Band und ziehen junge Leute", was eh schon völliger Quatsch ist.
Ela Wir waren im "Rheinboten" als die türkische Jazz-Band "kettcar" angekündigt.
Jovan Wir wollten auch nicht in so eine partei-politische Taktiererei mit reingezogen zu werden. Das war schon Scheiße, dass die Antifa nicht eingeladen war, ich meine, wer arbeitet denn in Düsseldorf zu diesem Thema?