Forsche Töne zur Armutsverwaltung

Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!

Für die Boulevardpresse war die Meldung es wert, auf der ersten Seite präsentiert zu werden. "Stihl will den Faulen die Stütze kürzen", so triumphiert der Berliner Kurier am 2. September. Die Begründung ist genauso einfach wie einleuchtend für den braven Arbeitsmann: "Viele Sozi-Empfänger haben fast genau so viel Geld in der Tasche wie Malocher." (ebd.)

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages will so, wie es der Berliner Kurier charmant ausdrückt, "die soziale Schieflage wieder gerade rücken." Und dafür hat Stihl auch gute Gründe: Schließlich hat er sich vorgenommen, eine ganze Menge Arbeitsplätze im Leichtlohnsektor zu schaffen, die aber letztendlich nicht viel mehr in die Lohntüte bringen sollen als die Zahlungen der "Stütze". Bei der Durchsetzung seines ehrenwerten Anliegens befürchtet er folglich, dass die Sozialhilfezahlung die notwendige erpresserische Motivationskraft vermissen lässt, den "Sozi-Empfänger" zur Arbeit zu treiben.

Die zwingende Logik der zwangsläufig folgenden Stihlschen Argumentation hat der Berliner Kurier kongenial nachvollzogen: "Es gibt zwei Wege, dieses ungerechte Gleichgewicht aus der Welt zu räumen. Der wünschenswerte wäre, kräftig an der Lohnschraube zu drehen: Es ist immer besser, jemanden zu belohnen, als anderen etwas wegzunehmen. Doch das können wir uns nicht leisten. Deshalb zeigt Stihl in die andere Richtung: Die Sozisätze senken, damit sich Arbeit wieder lohnt."

Dass "wir uns" höhere Löhne nicht leisten können, braucht nicht näher erläutert zu werden. Denn das weiß schließlich jeder, dass Arbeit sich lohnen muss, nur eben nicht für denjenigen, der arbeitet, sondern für den, der für sich und seinen Betrieb arbeiten läßt.

Neusser Modell

Die Neusser sind einerseits für ihre Vorliebe für Glaube, Sitte, Heimat, Ordnung und Disziplin bekannt. Andererseits erweist sich die Stadt- und Kreisverwaltung immer wieder als Ideenschmiede, aus der richtungweisende Impulse für die ganze Republik hervorgehen. So war vor Jahren die Initiative aus dem Neusser Jugendamt vorbildhaft, die zum Ziel hatte, die Videotheken unter Staatsaufsicht zu stellen- natürlich zum Schutze der Jugend.

Nun kommen wieder Anfragen aus der Republik: "Neuss macht Schule: Kollegen aus dem Sozialamt in Worms erkundigten sich vor wenigen Tagen nach dem Neusser Modell der ‚verstärkten Zugangsprüfung für Sozialhilfeempfänger, um es möglicherweise auf das eigene Amt zu übertragen." (NGZ, 8.9.)

Was das Sozialamt unter seinem Chef Peter-Josef Oebel da ausgeheckt hatte, fand sich einige Tage zuvor im Lokalblatt. Just am 2. September, als bundesweit Herr Stihl vom DIHT seinen Generalangriff auf die Pauper verkündete, wusste die NGZ schon, wie dessen Ideen in die Tat umzusetzen sind: "Stadt Neuss kehrt die Beweislast bei den Sozialhilfeempfängern um: Erst intensive Arbeitssuche, dann Geld."

Wie das aussieht, wird im Folgenden näher beschrieben: "Diejenigen, die sich neu um Sozialhilfe bewerben, müssen einen intensiven Nachweis erbringen, dass sie sich ernsthaft um eine Arbeit bemüht haben. Dazu gehört das tägliche Erscheinen um sieben Uhr im Schnelldienst des Arbeitsamtes sowie das tägliche Vorsprechen bei zwei Zeitarbeitsfirmen."

Zunächst befürchtete der Sozialamtschef als Antwort auf die kleinen Sauereien verständlicherweise "heftigste Reaktionen der ‚Kunden ..." Aber nichts da. "Die Reaktionen waren insgesamt positiv. Vor allem, weil es alle betrifft, ist die Regelung akzeptiert worden", äußerte sich Oebel vor der Presse. So sind sie halt, die Leute, denen man das Rückgrat gebrochen hat: Widersruchslos erdulden sie, was man ihnen aufbürdet.

Der seit einem Jahr praktizierte Umgang mit den Bittstellern zeitigt hervorragende Ergebnisse: "Gegenüber dem Vorjahr stellten rund 30 Prozent weniger einen Antrag auf Sozialhilfe. Das bedeutet: Die Stadt Neuss sorgt für eine Ersparnis von 1,2 Millionen Mark ..."

Die Botschaft, die uns von Seiten des Sozialamtes erreicht, ist klar und deutlich: Wer noch irgendwie funktionsfähige Arme und Beine hat, hat diese in der Form der Lohnarbeit für diejenigen einzusetzen, die Profit aus der Armut schlagen. Darüber hinaus verfolgt das Sozialamtes erzieherische Zwecke. Obwohl es genau weiß, dass nur ein Bruchteil der Antragsteller einen Job bekommt, hetzt es die "Kunden" vom Arbeitsamt zur Zeitarbeitsfirma und zurück. Eindringlich klar gemacht werden soll, dass eine Existenz nur dann berechtigt ist, wenn sie sich zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Vernutzung durch fremde Interessen bereithält.

Wer dieses Spießrutenlaufen nicht mitmachen will oder kann, ist aussortiert. Lakonisch wird festgehalten: " ... ‚und manche sind aufgrund der Zugangsprüfung nicht mehr wieder gekommen.' Bei ihnen wird vermutet, dass der Grad der Bedürftigkeit nicht so groß gewesen sein kann." (ebd.)

Düsseldorfer Armutsverwaltung

Solch grobe Töne wie auf der anderen Rheinseite in Neuss sind im Dorf an der Düssel nicht zu hören. Hier wird eleganter formuliert, dass man sich die Elendsgestalten vom Hals halten will. Im Geschäftsbericht des Sozialamtes für 1999 heißt es hierzu: "So wurden den Antragstellern/innen bereits bei der Aufnahme von Sozialhilfeanträgen im Rahmen der Erstberatung hohe Zeitanteile gewidmet, um die bestehenden Möglichkeiten einer Selbsthilfe durch bspw. eigene Kräfte, Geldmittel, Vermögenswerte, Arbeitskraft oder die Realisierung berechtigter Unterhaltsansprüche zu erarbeiten:" (S. 14) Also erst wenn der letzte Notgroschen aufgebraucht ist und es feststeht, dass man total mittellos dasteht, hat man die Chance, ein paar Mark von der Stütze zu erhalten. Zusätzlich sind die emsigen Agenten des Sozialamtes zusammen mit den Kollegen vom Ordnungsamt ständig unterwegs, um Schwarzarbeiter ausfindig zu machen; durch Datenabgleich will man den restlichen schwarzen Schafen auf die Schliche kommen. (ebd, S.15)

Umgekehrt werden Ansprüche des Sozialamtes gegen die zunehmende Anzahl der Pauper rigoros durchgesetzt. "Die sich kontinuierlich verschlechternden wirtschaftlichen Verhältnisse der Privthaushalte haben ... zu einem hohen Streitpotential geführt. So mussten insgesamt 162 Unterhaltsforderungen auf dem Klagewege festgestellt werden. ... Die schlechte Zahlungsmoral der Kunden/innen und die konsequente Erhebung der Forderungen führte im Berichtsjahr zu einem Anstieg der Zahl der durchzuführenden Zwangsvollstreckungsverfahren ... um 29 %." (ebd. S. 14)

Fazit

Wer einmal in die Fänge der staatlichen Armutsverwaltung geraten ist, hat nichts mehr zu lachen. Schikane, Kontrolle und permanentes Misstrauen gehören neben den paar Mark, die das dürftige Überleben gewährleisten, zu den täglichen Erfahrungen der Almosenempfänger. Dabei wird diesen immer wieder vor Augen geführt, sie seien entweder selbst schuld an ihrem Unglück, oder unglückliche Schicksalswendungen hätten sie ins Elend gestürzt. Dass sich die kapitalistische Gesellschaft eine ganze Klasse von Menschen hält, die lediglich soviel Lohn erhält, dass sie einerseits mal so gerade hinkommt und andererseits mit ihrer Arbeit die Taschen der Arbeitgeber füllt, aber nicht genug für die sogenannten Wechselfälle des Lebens zurücklegen kann, wird tabuisiert. Die Institutionalisierung der Fürsorge seit über 100 Jahren zeigt, dass die Armut immer schon zum festen Bestandteil der aufstrebenden reichen Industrienationen gehörte.