Antifaschistische Aktivitäten und Neues aus der Naziszene

Kurzberichte zusammengestellt von Pierre Briegert

Der "Freie Nationale Widerstand" in NRW

In der Berichterstattung über die Neonaziszene ist zumeist nur über die NPD/JN zu lesen. Dabei gibt es mit den sogenannten "Freien Kameradschaften" noch eine zweite, mindestens ebenso wichtige und gefährliche Strömung der militanten Neonaziszene. Im folgenden soll ein grober Einblick in die Entwicklung dieser Strömung und in ihre Strukturen gegeben werden.

Nach einer Welle neonazistischen Terrors nach der "Wiedervereinigung" wurden ab Ende 1992 diverse Parteien der militanten Neonaziszene in der BRD verboten. Immer häufiger war das "ausländerfreundliche Deutschland" in die Negativschlagzeilen der ausländischen Presse geraten. Die zuvor zur Verschärfung der "Asyldebatte" noch eiskalt genutzte, aber währenddessen nicht mehr kontrollierbare neonazistische Offensive wurde immer mehr zu einem Imageproblem. Es galt also staatlicherseits, weiteren Schaden am "Ansehen Deutschlands in der Welt" abzuwehren und dem Ausland zu vermitteln, daß die "wehrhafte Demokratie" in Deutschland das Problem zu meistern in der Lage sei. Angefangen mit der "Nationalistischen Front" (NF) und der "Deutschen Alternative" (DA), über die "Wiking Jugend", bis hin zur "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) wurden bis Anfang 1995 die wichtigsten Parteien und Organisationen der militanten Neonaziszene verboten. Diese Entwicklung machte eine Umstrukturierung der Neonaziszene notwendig. Eine Reihe von AktivistInnen der verbotenen Parteien fanden ihre neue politische Heimat bei den "Jungen Nationaldemokraten" (JN), und prägten nach und nach die gesamte NPD. Die NPD radikalisierte sich zunehmend, öffnete sich für das militant-neonazistische Spektrum und übernahm die Führungsrolle in der Szene.

"frei - sozial - national"

Im Rahmen der beschriebenen Umstrukturierung entstand auch der heutige "Freie Nationale Widerstand", ein neonazistisches Netzwerk, das sich lokal und regional als "freie" oder "autonome Kameradschaften" bzw. "Nationalisten" organisierte und sich nach und nach insbesondere auf der Straße und bei der Mobilisierung neonazistischer Skins als zweite Kraft neben der NPD/JN etablierte. Es handelt sich hierbei um eine Strömung, die sich in Abgrenzung zu der als zu unflexibel und zu wenig "revolutionär" kritisierten "Pöstchenschieberpartei" JN/NPD bildete. Als Zeichen ihrer "erbarmungslosen Kampfbereitschaft" und als Ausdruck der "Not im Reich" wählten die "Freien" als Symbol die schwarze Fahne. Hiermit wird auf die schleswig-holsteinische bäuerliche Landvolkbewegung der zwanziger Jahre und den nationalrevolutionären, also vermeintlich linken Flügel der NSDAP Bezug genommen. Die "Freien" verstehen sich explizit als nationalsozialistisch. Politisches Ziel ist nichts geringeres als die Wiederzulassung der NSDAP. Die "Freien" zogen es vor, sich nach den Parteiverboten nicht mehr in einer Partei oder sonstigen juristisch erfaßbaren Organisation zu sammeln, sondern sich durch Schaffung undurchschaubarerer und flexiblerer Strukturen gegenüber staatlicher Repression und antifaschistischer Intervention schwieriger angreifbar zu machen. Sie versuchten, Teile der Strukturen und Arbeitsweisen der autonomen Linken nachzuahmen. Der wohl wichtigste "Führer" der "Freien", die eng mit der kürzlich verbotenen Organisation "Blood & Honour" verwoben sind, ist der Hamburger Christian Worch, der das "Aktionsbüro Norddeutschand" leitet. Die wichtigste Zeitschrift der "Freien" ist das seit Januar 1998 erscheinende "Zentralorgan". Zwar ist es in den letzten Jahren immer wieder zu heftigen Streitigkeiten zwischen JN/NPD und den "Freien" gekommen, was aber die Fraktionen zumeist nicht daran gehindert hat, eng und arbeitsteilig zusammenzuarbeiten. Hierbei meldeten JN und NPD als legale Partei oftmals die Aufmärsche an und stellten ihre infrastrukturellen Möglichkeiten zur Verfügung, während der "Freie Nationale Widerstand" für den Großteil der Mobilisierung, zunehmend auch für den Ordnerdienst sorgte. Seit Mitte 1998 sind auch hochkarätige Redner der "Freien" auf NPD-Demonstrationen die Regel. Das Netzwerk der "Freien Kameradschaften" gewinnt zunehmend an Bedeutung, Attraktivität und Mobilisierungsfähigkeit. Bei vielen Jungnazis gelten die "Freien" als härter, militanter, "revolutionärer", als konsequenter im Kampf gegen "Volksfeinde" und "System", und damit als attraktiver. Zunehmend gelingt es den "Freien", aus dem Schatten der NPD/JN herauszutreten, die in letzter Zeit aus taktischen Gründen immer stärker auf Abstand gehende Parteiführung der NPD politisch anzugreifen und die Führungsrolle der NPD in der Szene in Frage zu stellen.

"Freie" in NRW

Auch in NRW bildeten sich in den letzten Jahren nach und nach eine Reihe "Freier Kameradschaften". Aus der Region Bonn/Rhein-Sieg kommt die "Kameradschaft Rhein-Sieg" um Ralf Tegethoff. Im Raum Köln agiert die "Kameradschaft Walter Spangenberg" um die Kölner Paul und Thomas Breuer und den Berg-heimer Axel Reitz, der zugleich als "Gausekretär Rheinland" des "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) fungiert, dessen Kölner "Stützpunkt" personalidentisch mit der "Kameradschaft" sein dürfte. Beim am 1.5.99 gegründeten KDS handelt es sich um eine bundesweite Organisation mit starker Anbindung an die NPD/JN und "Freien", die sich auf den 1991 verstorbenen Neonazi-Führer Michael Kühnen bezieht und der "weltweiten Verschwörung von Politik und Kapital" einen "auf die nationalen Erfordernisse zugeschnittenen deutschen Sozialismus entgegen"setzen möchte. In der Region Düsseldorf ist die "Kameradschaft Düsseldorf" um Sven Skoda, Jörg Wagner und Marco Schir-mer aktiv, die auch das "Nationale Infotelefon Rheinland", die "Stimme des Freien Nationalen Widerstands in Nordrhein-Westfalen", betreibt. Im Ruhrgebiet sind eine ganze Reihe von "Freien Kameradschaften" anzutreffen. Zu den gefestigsten und aktivsten zählen die NPD-nahe "Ruhrpottkameradschaft Dortmund/Witten" um Carsten Köppe (Witten), die "Freie Kameradschaft Essen/Bochum" um Dietmar Breyl, die "Kameradschaft Dortmund" um Siegfried Borchardt und die Duisburger "Kameradschaft Heinrich Bauschen" um den KDS-"Gausekretär Ruhr" Michael Thiel und den "Volksdichter" Peter Kuckels. Vereint treten die "Freien" im Ruhrgebiet unter der Bezeichnung "Kameradschaft Ruhrgebiet" bzw. "Gau Ruhr" in Erscheinung. In Ostwestfalen sind die "Kameradschaften" von Bernd Stehmann, Meinhard Otto Elbing (beide Bielefeld) und Dirk Fasold (Minden) anzutreffen, die auch zu einem wesentlichen Teil die "Blood & Honour Sektion Westfalen" bilden. Im Sauer- und Siegerland stößt man auf die "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) und die "Kameradschaft 2/130" um Daniela Wege-ner, Andreas Becker (beide Olsberg) und Martin Scheele (Siegen), die über den KDS-"Gausekretär Westfalen" Mirko Droszella eng an die KDS-Struktur angebunden sind. Über die genannten Gruppen hinaus sind in diversen weiteren Städten und Regionen Ansätze von "Kameradschaften" zu finden, so zum Beispiel im Kreis Wesel, im Raum Aachen, im Kreis Mettmann, im Bergischen Land und im Münsterland.

Zu den drei wichtigsten Kadern der "Freien" in NRW zählt neben den bereits erwähnten Bernd Stehmann und Ralf Tegethoff der 37-jährige Christian Malcoci aus Jüchen, der schon Mitte der achtziger Jahre in der FAP aktiv war und auch im "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers" (KAH), einer Nachfolgeorganisation der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten" (ANS/NA) mitwirkte. Ebenfalls eine wichtige Rolle spielt seine von ihm getrennt lebende Frau Maria-Luise ("Malu") Malcoci, die in Heinsberg den "Thule Multimedia-Verlag" betreibt.

Die wichtigste Zeitschrift der "Freien" in NRW ist die von Bernd Stehmann herausgegebene Postille "Unsere Welt". Darüber hinaus gibt es unregelmäßig erscheinende kleinere Blättchen wie das "Sprung auf ... marsch, marsch!!!" (ehemals "Siegener Bärenruf") von Martin Scheele, das SAF-Blättchen "Sauerländer Stürmer" und der "Düsseldorfer Beobachter" von Sven Skoda, die teilweise auch im Internet vertreten sind - wenn die Seiten nicht gerade auf Betreiben von AntifaschistInnen gesperrt sind.

Die "Freien" in NRW treten gemeinsam als "Nationales Bündnis Westdeutschland im bundesweiten Bündnis Freier Nationalisten und Aktionsgruppen" in Erscheinung, das in Duisburg als Sammelanschrift ein Postfach betreibt. Auf der NPD-Demonstration am 6.5.2000 in Essen marschierten die "Freien" aus NRW hinter einem Transparent mit der Aufschrift "Sturm 8/12". Dieses bezeichnet laut SA-Handbuch von 1939 den 8. SA-Sturm im I. Sturmbann der 12. SA-Brigade.

Seit ca. zwei Jahren hat sich als Bezeichnung für die NRW-Struktur der "Freien" immer stärker "Widerstand West" durchgesetzt. "Widerstand West" ist heute mit einer eigenen Home-page im Internet vertreten, die von der "Kameradschaft Düsseldorf" gepflegt wird und von Gerhard ("Gary") Lauck in den USA angemeldet wurde. Lauck ist seit 1973 Redakteur und Verleger des "NS-Kampfruf", Organ der NSDAP/AO (NSDAP-Auslands- und Aufbauorganisation) mit Sitz in Lincoln (Nebraska, USA). 1995 wurde er in Dänemark verhaftet, in die BRD ausgeliefert und dort u.a. wegen Volksverhetzung zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Währenddessen ist er wieder auf freiem Fuß. Die von den USA aus agierende und in Deutschland verbotene NSDAP/AO versteht sich als "politische Frontorganisation des Nationalsozialismus und bildet dessen illegalen Arm. Die NSDAP/AO ist in Deutschland verboten und arbeitet deshalb im Untergrund propagandistisch gegen das NS-Verbot und für die Neugründung der NSDAP".

Ungefähr halbjährlich führen die "Freien" NRW-weite Koordinationstreffen und zusätzlich anlaßbezogene Saalveranstaltungen durch, die in den letzten Jahren u.a. in Düsseldorf, Minden, Duisburg, Hirschberg/Warstein, Willingen und den Niederlanden unter Beteiligung von bis zu 100 Personen aus NRW und den Niederlanden stattfanden. Zu den niederländischen "Kameraden" um Constant Kusters von der militant-neonazistischen "Nederlandse Volks-Unie" (NVU) gibt es gute und regelmäßige Kontakte.

"Freie Kameraden" aus NRW sind heute auf jeder Neonazi-Demo im gesamten Bundesgebiet und in den Niederlanden anzutreffen. Starken Zulauf haben sie insbesondere im Ruhrgebiet. Neben vielfältigen lokalen Aktivitäten sind außerdem regelmäßige gemeinsame Aktionen anläßlich des Todestages des am 17.8.1987 verstorbenen Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess und des Todestages der am 22.11.97 bei einem Autounfall verstorbenen Sauerländer Neonazi-Kader Thomas Kubiak, André Zimmermann und Harald T. Mehr zu beobachten. Weitere regelmäßige Aktivitäten finden am Geburtstag des am 20.4.1889 geborenen "Führers" Adolf Hitler, am Jahrestag des "Marsches auf die Feldherrenhalle" am 9.11.1923 sowie am Volkstrauertag ("Heldengedenktag") am vorletzten Sonntag vor dem 1. Advent statt.

Demos in Dortmund und Düsseldorf

Die 500-köpfige Demonstration der "Freien" "gegen die verleumderische Berichterstattung und Hysterie der Medien gegen rechts" am 21.10. in Dortmund hat gezeigt, daß diese auch ohne Unterstützung der NPD aktionsfähig sind. Versucht wird derzeitig, auch in NRW aus dem Schatten der NPD herauszutreten und deren Führungsrolle in der Szene in Frage zu stellen. Aufgrund der derzeitigen Aktionspause der NPD sehen die "Freien" jetzt ihre Chance, sich auch in NRW durch eigene Aktionen zu profilieren.

Das Echo, das die Anschläge in Düsseldorf durch Politik und Medien erfahren haben, veranlaßt die Neonazis also keineswegs, zurückhaltender zu agieren. Die Mordanschläge auf Flüchtlingsheime in Wuppertal und Oberhausen sowie zahlreiche Angriffe in den letzten Wochen zeigen im Gegenteil, daß sich die Neonazi-Szene durch die Düsseldorfer Anschläge eher bestärkt fühlt. Gerade wegen der bis heute unaufgeklärten Anschläge wurde dem Aufmarsch in Düsseldorf ein sehr hoher Symbolgehalt beigemessen.

PIERRE BRIEGERT