comicAbwärts

Endlich mal wieder ein neues Album des Altmeisters Tardi. Ansonsten meistens verfangen im Colorit der Historie, kommt dieses Comic ganz modern daher. Tardi kann den Charme der alten Tage nicht ganz ablegen, das macht dem Comic aber nichts aus. Im Gegenteil; in seinem etwas altbackenen Stil wirkt er erfrischend rustikal. Wer dies nicht versteht, sollte ein Blick hinein werfen, und sofort wird klar, was damit gemeint ist.

Tardi und der Autor Pennac (von dem es mehrere Bücher auf deutsch gibt) widmen dieses Album, "all denen, die man ausgezählt hat", wie den Gefeuerten, den Gesundgeschrumpften, den Globalisierten, etc. Ein sehr sympathischer Zug. In Frankreich sind die Begriffe Globalisierung, Neoliberalismus und deren konkrete Bedeutungen wesentlich geläufiger als hierzulande, wo dies eher einem kleinen Kreis von "Eingeweihten" ein Begriff ist. Auch einige unserer Autoren zählen diese Begriffe zu ihren Lieblingswörtern. Zur Story selbst:

In einem Zoo taucht in einem Käfig eines Tages ein Obdachloser auf, der sich von Katzenfutter ernährt. Schnell avanciert er zu einem Medienstar und gilt als ein leuchtendes Beispiel für die zerstörerische Kraft der Globalisierung. Während sich die einen betroffen die Fernsehbilder anschauen, die anderen sich über die eigene schöne Reportage freuen, jubeln die Aktionäre des Katzenfutters über die kostenlose Reklame, über die Ausweitung des Kundenstammes und die steigenden Umsätze. Der Tierärztin Lili stinkt das erheblich. In einer schonungslosen Anklage bedeutet sie dem freiwillig Eingesperrten ihren Ekel über die Zurschaustellung der Ohnmacht. Anstatt die Zähne zu zeigen und zu kämpfen, suhlt er sich in seinem Leid. Am nächsten Tag ist der Obdachlose tot. Aufgehängt. Hat er sich selber getötet? Wer war er überhaupt? Wo ist der Gesellschafter der Katzenfutterfirma geblieben? Und was hat der Maler mit dem einen Arm mit der ganzen Geschichte zu tun? Warum ist die Welt überhaupt so schlecht? Fragen, die gar nicht so einfach zu beantworten sind. Aber Tardi gibt sich alle Mühe. Ein schönes Album, das man gerne liest.

MEIKEL F

Abwärts
Tardi/Pennac
Edition Moderne
80 S.
in Farbe HC für 34,80 DM


comicDer XX.Himmel

Eigentlich kommt dieses Comicalbum etwas zu spät. Es wäre der richtige Einstieg ins neue Jahrtausend gewesen. Der XX.Himmel ist ein interessanter Versuch, das Medium Comic mit dem Internet zu verbinden und gleichzeitig einen Rückblick auf das vergangene Jahrhundert zu geben.

Am 31. März 1998 erhält die fiktive Psychoanalytikerin Eva Stern eine email von @nonymous, datiert vom 31. Februar. Neben der mysteriösen Nachricht mit dem noch mysteriöserem Datum enthält die mail Fotos, die mit dem Leben der Psychoanalytikerin verbunden sind. Ist es ihr im 1. Weltkrieg verstorbener Bruder, der auf diese Art versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen? Doch warum tauchen dann weitere Fotos auf, aus dem spanischen Bürgerkrieg, aus Vietnam, vom Fall der Mauer. Und auch die junge Praktikantin Lucienne erhält nun emails von @nonymous, die sich mit ihrem Leben beschäftigen. So entspannt sich nicht nur ein Bilderbogen des vergangenen Jahrhunderts, gespickt mit bekannten Fotos, das Album gibt auch die Geschichten preis, die hinter diesen Fotos stecken. Es sind Geschichten der Unbeugsamen, auf der Suche nach Gerechtigkeit, Geschichten gegen den Krieg, Stories abseits der Geschichtsdaten. Dabei kommt das Comic äußerst modern daher. Der Versuch Computerästhetik aufs Papier zu bringen, kann als durchaus gelungen angesehen werden. Das schwierige Unterfangen der zeichnerischen Darstellung von Computergeschehen ist Yslaire gelungen. Intensiv setzt sich der Comicautor, mit bürgerlichem Namen Bernard Hislaire, seit Jahren mit dem Internet auseinander. In Deutschland bekannt geworden ist er insbesondere durch das Revolutionsepos "Sambre" (auch bei Carlsen). Mit dem XX. Himmel beschreitet er nun neue Wege, die noch Interessantes erwarten lassen. Den des Französischen mächtigen ist die Internetseite http://www.yslaire.be/ zu empfehlen, dort kann man sich schon vorab einen Einblick in das Album geben lassen und emails von @nonymous lesen. Einzelne Bilder von Yslaire werden von einem realen Psychoanalytiker analysiert. Die deutsche Seite http://www.xxhimmel.de/ hat noch nicht viel zu bieten. Vielleicht kommt das noch. Demnächst gibt es dann den 2. Band.

MEIKEL F

Der XX.Himmel
Yslaire
Carlsen Verlag
64 Seiten HC für 36,-DM