Die AfD

oder:

Was ist rechte Kritik?

Worauf gründet das Denken der AfD? Auf welcher Basis entstehen ihre sozialen Ideen? Die Terz beginnt eine unheimliche Reise ins Innere eines rechten Kopfes.

Vor einem halben Jahr starteten die Anti­faschist*innen in Düsseldorf einen Frontalangriff gegen die AfD und ihren Frontmann in Düsseldorf, David Eckert, Studierender an der Heinrich-Heine-Universität und Gründer der AfD-Hochschulgruppe:

„Die Mitglieder der ‚Alternative für Deutschland‘ fallen regelmäßig durch rechtspopulistische und rassistische Hetze auf. Sie schüren nicht nur antimuslimischen Rassismus, indem sie Muslime kollektiv unter Verdacht des Sozialmissbrauchs stellen und ihnen antidemokratische Haltung(en) vorwerfen, sondern äußern sich auch frauenfeindlich und homophob, wie etwa die Warnung vor einer vermeintlichen ‚Schwulen-Lobby‘. Auch die Forderungen nach einem konservativen Familienbild und die Diskriminierung all jener, die diesem Weltbild widersprechen, spiegeln die reaktionäre Gesinnung der AfD. Ebenfalls fällt die AfD immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf …“[1]

Eckert wird als „geistiger Brandstifter“[2] geoutet und seine volle Adresse per Flugblatt der Öffentlichkeit preisgegeben.

Die Anklagepunkte gegen die AfD und Eckert kennzeichnen tatsächlich entscheidende Punkte des AfD-Programms, aber außer der moralischen Verurteilung der Anhänger*innen der alternativen Bewegung und einer praktischen Konsequenz haben die Kämpfer*innen der Antifa nicht viel zu bieten. Und das scheint für sie auch nicht nötig zu sein. Denn jede*r aufgeklärte, fortschrittliche und gute Deutsche ist bekanntlich tolerant gegenüber fremden Völkern und Religionen, weiß, dass die kläglichen Leistungen für Asylbewerber*innen keinen Sozialmissbrauch darstellen können und tritt als Mann mit Hochachtung Frauen und ansonsten auch Schwulen gegenüber. Und so ist das Urteil über die AfD fertig: Ihre Anhänger*innen haben eine „reaktionäre Gesinnung“ und passen nicht in unser modernes demokratische Gemeinwesen.

Dabei sind die Gedanken der AfD nicht Ausfluss des fiesen Charakters ihrer Mitglieder, sondern finden ihren Grund in einer besonders ausgereiften staatsbürgerlichen Gesinnung. Sie gründet auf der Idee der Volksgemeinschaft und soll im Folgenden näher erläutert werden.

Die Volksgemeinschaft

Wie jede andere, greift rechte Kritik Unzufriedenheit, auch soziale, auf, und gibt ihr eine nationale Wendung.

AfD-Vize Gauland am 05.06.2016 in Elsterwerda:
„Wir geben viel Geld anderen und haben kein Geld für unsere eigenen Renten, für unsere eigenen Kinder, für genügend Kindergartenplätze, das alles kann nicht bezahlt werden. (…) aber Geflüchtete dürfen es sein, so viel wie möglich.“

Gauland bezieht die gesellschaftlichen Notlagen erstens auf das große WIR, das Volk und zweitens auf die Geflüchteten. Damit ist für ihn alles klar.

Keine Bemühung zu ermitteln, warum Renten niedrig, Kitas knapp sind. Ihm sagt die Relation zu den Geflüchteten alles. Als ob die Rentner*innen und Kinderreichen das Geld zusätzlich bekommen hätten, wenn die Geflüchteten nicht gekommen wären, als ob ihre Ansprüche wegen der Fremden gekürzt worden wären.

Wäre seine Sorge die Armut in einem reichen Land, hätte er ganz andere Fragen und Anklagen. Aber ihm fällt unbewältigte soziale Not nur wegen der Geflüchteten ein. Ganz fiktiv vergleicht er das Geld, das für sie ausgegeben wird, mit der einheimischen Not und entdeckt nur durch den Vergleich, dass den Einheimischen etwas fehlt, also vorenthalten wird. Armut und Notlagen im Volk sind für ihn unerledigte Gemeinschaftsaufgaben – und die würden bestimmt erledigt werden, wenn die Regierung nicht anderen, Volksfremden, Gutes tun und die eigenen Leute vernachlässigen würde.

Höcke [3] erklärt dasselbe methodisch – und teilt unter der Hand mit, was das Volk, seine Berufungsinstanz, für eine Lüge ist:

„Die Soziale Frage der Gegenwart ist nicht primär die Verteilung des Volksvermögens von oben nach unten, unten nach oben, jung nach alt oder alt nach jung. Die neue deutsche Soziale Frage des 21. Jahrhunderts ist die Frage nach der Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen“ (Björn Höcke auf Facebook).

Vom Volk weiß Höcke offenbar ganz gut, dass es sich in Arme und Reiche scheidet, und dass diese, wie auch alle anderen Interessensstandpunkte – ausgerechnet Jung und Alt fallen ihm da ein – gegeneinander gerichtete Ansprüche haben. Also dass es die sozialen Nöte auch nur gibt, weil diese Gesellschaft von Konkurrent*innen keineswegs ein einig Volk von Brüdern bildet. Wenn er das Vorhandensein einer „sozialen Frage“, ein Oben und Unten in der Gesellschaft konstatiert, dann bezieht er sich auf Konsequenzen der Klassengesellschaft – aber gleich unter dem Vorzeichen, das sei heute nicht mehr das primäre soziale Problem.

Als nur noch sekundär wichtig, spricht er wie Gauland, soziale Gegensätze aber immerhin an, und die verbuchen Leute wie er als Zeichen einer fehlenden oder unterentwickelten Volksgemeinschaft. Nun ist nichts leichter, als angesichts von Konkurrenz und Gegensätzen festzustellen, dass da keine Gemeinschaft und keine gemeinsame Lebensbewältigung vorliegt (also der Bezug auf so etwas hier gar nicht hinpasst).

Den Rechten aber gilt ihre Fehlanzeige wie die Angabe einer Ursache; was niemals richtig ist: Nie ist das, was nicht ist, der Grund für das, was ist. Sie denken vom Gemeinschaftsideal aus und machen die Abwesenheit dessen, worum es ihnen geht, zum Vorwurf: Die Volksgemeinschaft, die sie eigentlich eben doch als existent und verbindlich unterstellen, werde missachtet, verletzt, zerstört. Und zwar von einer Politik, die ihr Volk ans Ausland verrät.

In Bezug auf das Ausland sind die Gegensätze im Inneren nicht weg, sondern unerheblich: eben „nicht mehr primär!“ Höcke will die Gegensätze gar nicht aus der Welt schaffen, sondern verlangt, dass Staat und Bürger*innen – mit Blick aufs Ausland – darüber hinwegsehen. Er redet von Volksvermögen: Solange er ans Inland denkt, müsste er bemerken, dass er da einen Kampf darum vor sich hat, wer sich das Volksvermögen bzw. wieviel davon gegen wen aneignen kann. Das Volk als kollektiven Eigentümer und sein Vermögen gibt es gar nicht. Gegen das Ausland soll es ihn plötzlich geben – und alles Elend, das es im Inland gibt, geht darauf zurück, dass eine internationalistisch gesonnene Regierung an Volksfremde verschleudert, was dem Volk gehört.

Höcke hetzt die Verlierer*innen der Konkurrenzgesellschaft, mit deren Misserfolgen die Geflüchteten ganz bestimmt nichts zu tun haben, die Habenichtse im Land gegen ihre „Enteignung“ auf, die erst dann, aber genau dann eintritt, wenn Geflüchtete Sozialhilfe beziehen.

Die Kritik der AfD an sozialen Missständen im Namen einer Menschengemeinschaft, die es positiv gar nicht gibt, stellt das wirkliche Verhältnis auf den Kopf: Der Haufen von Konkurrent*innen, die einander benutzen und schädigen, wird nur zusammengehalten von einer über ihnen stehenden Staatsgewalt, die das Aushalten der Gegensätze und damit überhaupt das Ausfüllen seiner kapitalistischen Rollen erzwingt. Der Staat zwingt den konkurrierenden Privatsubjekten nicht nur die nötigen Rücksichten auf ihre Konkurrent*innen und damit die Schranken ihrer Interessenverfolgung auf, sondern auch – per Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen – das Teilen und die Vorsorge für allgemeine Lebensbedingungen, so dass alle ihre kapitalistischen Rollen auch aushalten und bewältigen können.

Als Privatleute und Konkurrenzbürger*innen stehen die Leute in lauter Interessengegensätzen zueinander. Für das Kollektiv der Staatsbürger*innen darf das aber, so will es die AfD, nichts zu bedeuten haben: Ausgerechnet in der passiven Eigenschaft, dass sie alle den Gesetzen desselben Staates unterworfen sind und gehorchen, sollen die Bürger*innen im Urteil (nicht nur!) der Rechten eine positive, zusammenhaltende Gemeinschaft bilden, die sich einen Staat gibt, damit er sie zu der Gemeinschaftlichkeit zwingt, zu der sie von sich aus nicht bereit sind, und die jedem Mitglied des Volkes von oben zuteilt, was ihm zusteht. Diese Idealisierung der Zwangsgemeinschaft feindlicher Konkurrent*innen zur Volksgemeinschaft gibt sich als Ideal zu erkennen, wenn sie außer an nationalen Feiertagen, nur als Vermissten-Anzeige vorkommt, als Einklagen von Volkssolidarität und staatlicher Fürsorge, von der ihre Liebhaber*innen immer nichts merken. Nur negativ, ausgrenzend gegen diejenigen, die nicht dazugehören, erhält diese Gemeinschaft so etwas wie eine positive Beglaubigung: Das Fernhalten oder wenigstens die sichtbare Schlechterbehandlung von Ausländer*innen ist essentiell; der Prüfstein, ob der Staat seinem Volk dient und sich seiner Aufgabe als Schutzmacht seines Volkes annimmt. Die Wichtigkeit der Ausgrenzung geht in diesem politischen Weltbild weit hinaus über die staatsrechtliche Scheidung in In- und Ausländer*innen und die staatliche Kalkulation damit.

HENRICI

[1]   https://linksunten.indymedia.org/de/node/185244
[2]   ebd.
[3]   „Björn Höcke (* 1. April 1972 in Lünen) ist ein deutscher Politiker (AfD) und beurlaubter Gymnasiallehrer. Er ist einer von zwei Sprechern der AfD Thüringen und seit der Landtagswahl 2014 AfD-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag.“ Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Björn_Höcke