Hans-Günther-Sohl-Straße kommt auf den Müllhaufen der Geschichte

In der Bezirksvertretung 2 (Flingern, Düsseltal) blies die CDU im vergangenen Oktober zu einem letzten Gefecht: Die Hans-Günther-Sohl-Straße, benannt nach dem NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, Wehrwirtschaftsführer und – nahtlos angeschlossen – Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, dürfe nicht umgewidmet werden. Auch im Düsseldorfer Rathaus blieb die CDU – mit einer Ausnahme – bei ihrer „Ehrenrettung“ des ehemaligen Nazis. Vergeblich. Die Tage des Straßenschildes sind gezählt.

Eine Alternative wurde bereits gefunden: Luise Rainer. Sie war eine deutsche Schauspielerin jüdischer Herkunft, geboren in Düsseldorf (12. Januar 1910) und gestorben im Alter von 104 Jahren (30. Dezember 2014) in ihrer Wohnung in London. Sie hatte Engagements in Düsseldorf, Krefeld und am Wiener Theater in der Josefstadt. Schon da war der Antifaschist und Regisseur Max Reinhardt an ihrer Seite. Dem Terror der Nazis konnte sie sich entziehen, indem sie bei Metro-Goldwyn-Mayer (MGM) 1935 einen Vertrag unterzeichnete. Sie war außerordentlich erfolgreich: In den 1930ern bekam sie zweimal den Oscar als beste Hauptdarstellerin. In Hollywood wurde sie mit einem Stern auf dem Walk of Fame geehrt. Später ging’s zurück auf die Bühne, wieder zu Reinhardt. Es dauerte bis 2011, dass auch auf dem Berliner Boulevard der Stars ein Stern für sie gesetzt wurde.

Während Hans-Günther Sohl als Wehrwirtschaftsführer dafür sorgte, dass Zwangsarbeiter*innen in Düsseldorf zu Tode drangsaliert werden konnten, kümmerte sich Luise Rainer zusammen mit Einstein darum, dass Jüdinnen und Juden aus dem Reich fliehen konnten. Trotz seiner Nazi-Vergangenheit war es Sohl Thyssen, der CDU und anderen Politikern 1991 wert, mit einem Straßennamen geehrt zu werden. Eine Umbenennung in Luise-Rainer-Straße kam für die CDU auch mehr als 25 Jahre später nicht in Frage.

Wehrwirtschaftsführer wurde in der Nazi-Zeit nicht jeder Konzernmanager. Und nicht jeder Konzernmanager ging so ausbeuterisch mit den Zwangsarbeiter*innen um wie Sohl. Berthold Beitz etwa gehörte nicht zu dieser Gruppe. Nach ihm ist allerdings keine Straße am Krupp-Standort Düsseldorf benannt.

Besonders pikant ist die unmittelbare Nachbarschaft der Hans-Günther-Sohl-Straße zum ehemaligen KZ-Außenlager Berta. Das Lager befand sich im Bereich der heutigen Neumannstraße 2, eingerichtet im Herbst 1943 und ab Sommer 1944 direkt dem Konzentrationslager Buchenwald unterstellt. Das blieb so bis zur Auflösung des Lagers am 3. März 1945. Die Zahl der Gefangenen schwankte. Am 25. November 1944 waren es 661 Häftlinge, darunter 430 aus der ehemaligen Sowjetunion und 165 aus Polen. Bis Februar 1945 stieg die Gesamtzahl auf 900 Häftlinge, darunter auch Deutsche, zumeist Kommunist*innen. (Quelle: Peter Henkel, Die Düsseldorfer KZ-Außenlager, Seite 42).

Sohl und Berta stehen hier für die Waffenproduktion der Nazis. Auch die Geschichte von Rheinmetall tangiert dieses Werk. Im Lager wurden Teile für die V2-Raketen von den Zwangsarbeiter*innen hergestellt. Die Häftlinge kamen aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich. Es waren auch Antifaschist*innen, Kommunist*innen und Sozialdemokrat*innen darunter. Es gab die Vorgabe, dass keine Gefangenen lebend aus dem Lager kamen. Es wurde gefoltert. Zwangsarbeiter*innen wurden erschossen, aufgehängt. Eine dezidierte Beschreibung lieferte Dr. Bastian Fleermann von der Mahn- und Gedenkstätte in der Bezirksvertretung 2.

Dieser hässliche Fleck passt letztlich nicht in die Erinnerungskultur und zu den von der CDU zu vertretenden Kapitalinteressen. Entsprechend wird der „NS-Mitläufer“ Sohl eher dem Vergessen anheim gegeben. Ebenso der von den Engländern nach dem Krieg internierte Sohl. Bei der CDU beginnt die Sohl-Vita gleichsam am 17. Mai 1947. An diesem Tag wurde Sohl aus dem Internierungslager Eselsheide bei Paderborn entlassen. In unmittelbarer Nähe von Eselsheide liegt übrigens der Sowjetische Ehrenfriedhof Stukenbrock mit 65.000 begrabenen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen.

In Düsseldorf gibt es von rechtskonservativer Seite – nicht nur von der CDU – traditionsgemäß Vorbehalte gegen die Umbenennung von Straßen, die dem völkischen Kulturerbe zuzurechnen sind. Im Süden der Stadt ist es bis heute nicht zu einem Austausch von Straßenschildern gekommen, mit denen Kolonialverbrecher wie Carl Peters geehrt werden. Das sei zu umständlich für die Anlieger*innen. Eine Änderung der Anschrift im Briefkopf sei mit Kosten verbunden.

Diese Argumentationen pro Sohl sollen auch jetzt wieder von der CDU und Anlieger*innen der Sohl-Straße aus der Schublade gezogen worden sein. Die WZ zitierte Anneliese Böcker, vormals Vorsitzende der Bezirksvertretung 2. Sie macht sich Sorgen, dass ein großes und bekanntes Ärztehaus (Medical-Center) an der Hans-Günther-Sohl-Straße 6-10 nicht mehr von den Patient*innen gefunden werden könnte, wenn genau dieses Gebäude an genau gleicher Stelle in Zukunft die Adresse Luise-Rainer-Straße 6-10 hätte. Doch allein der übersichtliche Internet-Auftritt von Prof. Dr. med. Hans Bojar mit Lageplan und Fotos lässt nicht daran zweifeln, dass Interessent*innen sein Haus auch in Zukunft finden werden.

Eine Alternative für die Benennung nach Luise Rainer wäre – ohne damit das Andenken an die Schauspielerin zu schmälern – Toni Fleischhauer gewesen. Er war für die illegale Lagerleitung und den Widerstand im KZ Buchenwald von großer Bedeutung. Von dort wurde er ins Außenlager Messe in Köln-Deutz und ins Außenkommando Berta nach Düsseldorf versetzt, wo er weiterhin im Widerstand gegen die Nazis aktiv war. Während nach Sohl 1991 eine Straße benannt wurde, war Toni Fleischhauer weder in Düsseldorf noch in Köln einer solchen Ehrung wert. Das gilt auch für den jugendlichen Kommunisten Willy Kutz aus Gerresheim, der wegen seines Widerstandes ins Gefängnis kam, oder für einen anderen Gerresheimer, Franz Boehm, ehemaliger Pfarrer von St. Katharina, der in „Schutzhaft“ im KZ Dachau starb.

Bleiben bei einer Umbenennung der Hans-Günther-Sohl-Straße die Kosten für die Änderung der Homepage und des Briefpapiers der Anlieger*innen. Es wäre vielleicht ein Zeichen antifaschistischen und bürgerschaftlichen Engagements von Prof. Bojar oder der TG Grand Arc Trägergesellschaft mbH & Co. KG, die finanzielle Belastung für die Einrichtung einer nazifreien Adresse auf sich zu nehmen. Es liegen jedenfalls keinerlei Informationen vor, dass Geschäftsführer Gerhard Preßer einen finanziellen Einbruch des Unternehmens befürchten müsste, wenn er neue Briefbögen ordern würde. Vielleicht ließe sich auch erst einmal ein Kompromiss mit der Stadt Düsseldorf dergestalt finden, dass die Ärzte und Ärztinnen ihr bisheriges Briefpapier übergangsweise verbrauchen können.

Eine Straßenumbenennung ist möglich. Das ging nach 1945 mit dem Adolf-Hitler-Platz (Graf-Adolf-Platz), es ging mit der Adolf-Hitler-Straße (Harold-Straße), es ging mit der Ernst-Poensgen-Straße (Ronsdorfer Straße) in Lierenfeld, es ging mit der Horst-Wessel-Straße (nördliche Kölner Straße). Offensichtlich gibt es interessierte Kreise, die in Sohl gar keinen Nazi (mehr) sehen wollen. Ähnlich wie bei Ernst Poensgen, der statt der Straße im Arbeitermilieu von Lierenfeld und Flingern-Süd später eine Ernst-Poensgen-Allee im großbürgerlichen Grafenberg bekam.

Vielleicht war Sohl ein gütiger Familienvater? Vielleicht liebte er seinen Schäferhund – wenn er einen hatte. Sicherlich hat er persönlich gar keine Zwangsarbeiter*innen gequält, aufgehängt, erschossen. Nur dafür, dass viele Zwangsarbeiter*innen, deren Einsatz er verantwortlich organisierte, als Folge dieser Ausbeutung zu Tode kamen, dafür trägt er zweifelsfrei Verantwortung.

Das war vor dem 8. Mai 1945 im Rechtsverständnis der Nazis und ihrer Helfershelfer*innen in Industrie, Banken und Justiz kein Verbrechen. Und nach 1945? „Schwamm drüber“! Unzählige ehemalige NSDAP-Mitglieder begegneten sich in gegenseitiger Wertschätzung wieder im Industrieclub an der Elberfelder Straße. Sie verband – wie vor 1945 – das gemeinsame Interesse an optimalen „Ergebnissen“. Genau dafür war Sohl nach dem scheinbaren „Zusammenbruch“ der richtige Mann. Was Hermann Josef Abs für die Banken war, das war Hans-Günther Sohl für die Stahlindustrie. Hitler hatte ihn zum Wehrwirtschaftsführer gemacht. Unter Adenauer wurde nur die Silbe „Wehr“ gestrichen.

Ein solcher Mann hatte ob der Verbrechen in der Nazizeit im Nachkriegskapitalismus nicht mit Schimpf und Schande zu rechnen. Ganz im Gegenteil! Es regnete gleichsam Orden. Ausgerechnet während der aufkommenden „APO-Zeit“ bekam er 1969 das „Große Verdienstkreuz mit Stern“, 1973 das „Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband“. Der ehemalige Kriegsverbündete Japan verlieh ihm 1988 den „Orden des Heiligen Schatzes“.

Manche Verdienstkreuze halten unter ähnlichen Bedingungen nicht gleich lange am Revers der Träger. Heinrich Bütefisch wurde 1964 aus dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Sohl zeitweilig vorstand, für das Verdienstkreuz vorgeschlagen. Weder das Verfassungsgericht noch das NRW-Justizministerium erhoben Einspruch. Der Orden wurde überreicht. Aber nach gut 14 Tagen wurde das Metall wieder einkassiert. Das Ordensreferat hatte „übersehen“ oder „unterschlagen“, dass Bütefisch 1948 wegen „Ausbeutung der Arbeit von KZ-Insassen“ im I.G.-Farben-Prozess zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war. Zu Sohls Beritt gehörte das Lager Berta.

Nun sorgte der Rat der Stadt Düsseldorf am Donnerstag, 16. Dezember 2016, zu später Stunde für eine symbolische „Wiedergutmachung“ für die Opfer der „Vernichtung durch Arbeit“: Er kassierte – gegen die Stimmen aus der CDU-Fraktion – das Straßenschild „Hans-Günther-Sohl-Straße“, das durch Luise-Rainer-Straße ersetzt werden soll. Das geschah knapp 70 Jahre nach Sohls Entlassung aus dem Internierungslager Eselsheide. Zur Ehrenrettung sei angemerkt, dass der CDU-Ratsherr Pavle Madzirov sich nicht dem Votum seiner Fraktion anschloss. Er war der Einzige – die Fraktion besteht aus 31 Mitgliedern. 30 hielten Sohl die Treue.

Die Beschäftigung mit der (fast ehemaligen) Hans-Günther-Sohl-Straße ist noch nicht abgeschlossen, denn es bleibt die Frage, in welcher Form die Umbenennung vorgenommen werden soll. Aus der Mahn- und Gedenkstätte kam die Anregung, diese Arbeit in die pädagogische Verantwortung einer benachbarten Schule zu legen. Das sei ein Zeichen für die Zukunft. Eine Stele oder eine Gedenktafel könnten aufgestellt werden. Oder ein ganz anderes schüler*innen-bezogenes Objekt. Zur Beseitigung des Schildes „Hans-Günther-Sohl-Straße“ bedarf es nur einer funktionstüchtigen Kneifzange.

UWE KOOPMANN