Von Nazis erschlagen...

Jagdszenen in Sachsen

Am Morgen des 2. Oktobers wird der 17-jährige Lehrling Patrick Thürmer bei Hohenstein-Ernstthal, 20 km von Chemnitz entfernt, von Nazis erschlagen. Vorher gab es einen Überfall von Skinheads auf ein Punkfestival. Den erlebte auch die Düsseldorfer Band "Los Invalidos" hautnah mit.

Eingeladen von einer befreundeten Berliner Band, spielten "Los Invalidos" erst in Waldkirchen/Sachsen und dann beim 2. 99er Punkfestival im Jugendhaus "Off is" in Hohenstein-Ernstthal, ein kleiner Ort in der Nähe von Chemnitz, der Partnerstadt Düsseldorfs.

Dort werden schon nachmittags zwei junge Punkfrauen von Nazis zusammengeschlagen. Daraufhin ziehen einige Punks zur Discothek "La Belle", einem Treffpunkt der Nazis. Dort kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Türstehern. Die Lage beruhigt sich, und das nicht weit entfernte Punkfestival geht weiter. Das Festival findet im 1. Stock des Jugendhauses statt, dort bekommt man nichts mit. Kurz nach Mitternacht betreten dann "Los Invalidos" die Bühne. "Dann wurden das auf einmal immer weniger Leute vor der Bühne. Erst haben wir uns gefragt, sind wir so Scheiße...? Aber wir haben für die paar einfach weiter Party gemacht, bis auf einmal der Strom weg war." Suse, die Frontfrau von "Los Invalidos", geht zu dem vor dem Haus abgestellten Auto. "Links war eine Menschentraube, Punks, die sich mit Stöcken und Bierflaschen bewaffneten. Hinten an der Ecke sah ich dann so 100 Glatzen. Alles Kanten. Es war eine Sache von Sekunden... Ich wollte gerade wieder reingehen, als auf einmal alle Punks und Glatzen in Richtung Jugendhaus losrannten. Ich habe mich dann in eine Ecke verkrochen, während die Glatzen in das Haus hineinstürmten. Die waren alle bewaffnet mit Baseballschlägern, großen Stöcken, Tschakkos und haben alles, was sich bewegte, zusammengeknüppelt. Das war wie im Film. Neben mir wurde ein Punk von drei Leuten bearbeitet. Dann kam einer rein, sah mich und kickte mich weg. Ich rappelte mich dann wieder hoch und wurde von drei anderen an die Wand gehauen. Sie machten noch Drohgebärden und wendeten sich dann jemand anderem zu. Ich schaffte es dann nach oben, während unten das Gemetzel weiterging." Die Düsseldorfer Band kommt glimpflich davon, doch etliche Leute werden zusammengeschlagen, das Blut kann man noch am nächsten Morgen überall sehen. 15 Punks müssen sich in ärztliche Behandlung in ein Krankenhaus begeben. Die Scheiben vom Jugendhaus, von angrenzenden Geschäften und Wohnungen werden eingeschlagen und etliche Autos demoliert.

Irgendwann kam dann doch noch die Polizei. Eine Band, die lange vor "Los Invalidos" gespielt hatte, hatte bei der Abfahrt schon den Fascho-auflauf bemerkt und mehrmals die Polizei angerufen. Die ließ sich allerdings reichlich Zeit. Bei ihrer Ankunft eilten Punks zu ihr hin und informierten sie über das Geschehen. Die Beamten verhielten sich gegenüber den Punks allerdings äußerst aggressiv und griffen erst ein, als die Nazis abgehauen waren. Das Jugendhaus wurde umstellt und fast sämtliche anwesenden Punks zu ihrer vollkommenen Überraschung in Gewahrsam genommen. Zu Fuß wurden sie in die nicht weit entfernte Wache gebracht und kamen erst nach mehr als einer Stunde wieder raus. Währenddessen bedrohten die sich noch in der Nähe befindlichen Nazis weiterhin Leute. Nach der Entlassung aus der Haft machten sich die Punks langsam auf den Weg nach Hause, während die Bandmitglieder von "Los Invalidos" nach einiger Diskussion im Jugendhaus übernachten konnten.

Auf den Weg zu ihrem etwas weiter entfernteren Heim machen sich auch der Auszubildene Patrick und sein Freund. Zwischen drei und sechs Uhr hält neben ihnen ein Auto, vier oder fünf Skins springen heraus und schlagen mit Baseballschlägern auf die beiden Punks ein. Erst als der eine Bewußtlosigkeit vortäuscht, lassen die Nazis von ihm ab; auf Patrick hauen sie weiterhin ein. Gegen 7.30 Uhr wird er mit schweren Kopfverletzungen und nicht ansprechbar gefunden und ins Krankenhaus gebracht, dort stirbt der 17-jährige gegen 11.15 Uhr.

Nach Aussagen von anderen Punks gibt es in der Gegend häufiger solche Jagden von Nazis. Für die örtliche Politik und die Presse ist dies jedoch kein Thema. Sie sehen bei dem Mord keinen rechtsextremen Hintergrund. Für sie sind die Punks das Problem und ein Standortstörfaktor.

So sah dann auch die Presseberichterstattung aus, die eine regelrechte Hetze gegen die Punks war. Laut Presse sind die Punks an allem schuld und diejenigen, die die Verwüstungen angerichtet haben. Von Nazis ist kaum die Rede. Titel wie "17-jähriger nach Punk-Konzert erschlagen" (Sächsische Zeitung 4.10.99) suggerieren, daß die Punks den Mord begangen hätten. Der Rat von Hohenstein-Ernstthal will nun Einfluß auf das Programm des Jugendhauses nehmen und zieht sogar eine Schließung in Betracht. Punkkonzerte sollen dort auf jeden Fall nicht mehr stattfinden. Der Oberbürgermeister, Erich Homilius, sagte laut der "Freien Presse" noch in der Nacht, daß es "Veranstaltungen, wie jene im Jugendhaus, auf denen die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann, nicht mehr geben wird".

Die Opfer werden wie so oft zu Tätern gemacht, die als gemeingefährlich öffentlich gebrandmarkt werden, während von den Nazis kaum die Rede ist. Und natürlich fällt dem dortigen Auszubildendenhandwerk nichts besseres ein, als zu einem "Appell gegen Gewalt" aufzurufen und bloß nicht die örtliche Naziszene zu thematisieren, die einen ihrer Auszubildenen umbrachte. Die ortsansässigen Jugendvereine beschlossen, die Wände der Gemeinde zu reinigen, die bei einer Demonstration aufgrund des Mordes in Hohenstein-Ernstthal mit antifaschistischen Parolen besprüht worden waren. Schließlich herrscht dort ja eine schöne heile Welt. Nur das sächsiche Landeskriminalamt spielt nicht mit. Die haben zumindest einen rechtsradikalen Hintergrund erkannt und ihre Sonderkommision Rechtsextremismus (Soko Rex) beauftragt, die Vorfälle zu untersuchen - was noch nicht heißt, daß dabei wirklich etwas herumkommt, aber immerhin.

"Los Invalidos" werden dieses Erlebnis jedenfalls so schnell nicht vergessen.