bookAntisemitismus in der Linken

Eine Broschüre zum Thema ist erschienen, die Beachtung verdient.

Denn der Antisemitismus unter Linken stellt eins der finstersten Kapitel in deren Geschichte dar. Dies wird in der Broschüre erschreckend eindrucksvoll belegt. Nach dem 6-Tage-Krieg Israels 1967 machte die Neue Linke in der BRD einen Kehrtschwenk zu einer antizionistischen Propaganda, die zum Teil deutlich antisemitische Züge annahm. Merkmale dieses "linken" Antisemitismus können grob skizziert so zusammengefaßt werden:

  1. fehlende Auseinandersetzung mit dem eliminatorischen Antisemitismus der Nazis. Die radikale Linke in der BRD erklärte den Nationalsozialismus zumeist einseitig als reines "Produkt" eines autoritären Kapitalismus, ohne das völkisch-nationalistische Element und den antisemitischen Rassismus auch nur annähernd als zentralen Kern der NS-Propaganda zu verstehen. Daraus folgte ein inflationäres und teils auch geschichtsrelativierendes Faschismus-Verständnis, bei dem jede repressive und imperiale Form bürgerlicher Herrschaft mit Faschismus gleichgesetzt wurde. "Imperialismus = Faschismus" wurde verkündet, ohne sich näher mit dem deutsch-völkischen Sonderweg und dessen ideologischem Kern auseinanderzusetzen.
  2. ein platter "Antiimperialismus", der in monokausaler Logik nur zwischen "imperialistischen Machtblöcken" und "kämpfenden nationalen Befreiungsbewegungen" zu differenzieren in der Lage war. In diesem dualistischen Gut-Böse-Schema existierten nur die imperialistische "Bestie USA" sowie ihre "Satellitenstaaten" und auf der anderen Seite die unkritisch verherrlichten "kämpfenden Völker" gegen den Imperialismus. Jede - auch noch so nationalistische - Befreiungsbewegung diente dem Identifikationsbedürfnis deutscher Linker; Hauptsache, sie hatte einen antiimperialistischen Anstrich. Daraus resultierend entwickelte die radikale Linke in der BRD mehrheitlich
  3. einen linken Antizionismus, der sich antisemitisch generierte. Der palästinensische Widerstand gegen die israelische Siedlungspolitik wurde für deutsche Linke zum Anlaß genommen für antizionistische Propaganda, die mit antisemitischen Stereotypen operierte. Israel als "imperialistischer Brückenkopf der USA" betreibe einen "neuen Faschismus" und habe daher als "künstliches Gebilde keine Existenzberechtigung", so der krude antiimperialistische Jargon. Argumentationsmuster dieses völkisch hergeleiteten Antizionismus gehen zum guten Teil konform mit der Propaganda der Rechten.

Es blieb in der radikalen deutschen Linken leider nicht nur bei dieser fatalen Propaganda, sondern setzte sich auch in einer antisemitischen Praxis fort. Widerliche Beispiele solcher fatalen Irrwege waren z.B. ein versuchter Brandanschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus in Berlin anläßlich des 31. Jahrestages der "Reichskristallnacht"(!). Eine Vorläufergruppe des "2.Juni" wollte mit solch einer geschichtslos-faschistoiden Aktion gegen die israelische Palästinenser-Politik agieren. Ein Geiselkommando aus PFLP und deutschen Mitgliedern der "Revolutionären Zellen" selektierte bei der "Entebbe-Flugzeugentführung" gar unschuldige Menschen als "jüdische Geiseln" zur potentiellen Exekutierung aus. Erst in den neuziger Jahren wurde mehrheitlich offensiv versucht, diesen linken Antisemitismus durch Auseinandersetzungen aus den eigenen Reihen zu verbannen und sich kritisch mit den eigenen Fehlern auseinanderzusetzen.

Die Zeitschrift "calcül" hat sich dieser Aufgabe mit einer äußerst gut gemachten Broschüre gewidmet.

Auf 55 Seiten wird sich komprimiert mit den antisemitischen Irrwegen der Linken auseinandergesetzt. Sowohl mit verkürzter Kapitalismuskritik und dem Antizionismus als auch mit dem historischen Versagen des Bewegungsmarxismus in dieser Frage und mit aktuellen Entwicklungen wird sich dabei fundiert auseinandergesetzt. Eine Fülle von Beispielen belegen diese finsteren Ausformungen eines links-deutschen Antisemitismus. Es werden Hintergründe und Argumentationshilfen vermittelt und Anregungen zur weiteren und intensiveren Beschäftigung mit diesem Thema geboten. Damit verdient diese Broschüre eine massive Verbreitung in den diversen Antifa-Gruppen und linken Bewegungszirkeln. Sie stellt eine hervorragende Hilfe dar zur Diskussion, Schulung sowie Veranstaltungsvorbereitung und sollte als solche auch genutzt werden.

TERZ-Tip: Unbedingt empfehlenswert!

AL C.

"Dokumentation. Antisemitismus in der deutschen Linken."
zu beziehen über: Basisgruppe Geschichte
Rosa Luxemburg Haus
Goßlaerstr. 16A
37073 Göttingen Broschüre
1999, 54 S., 5 DM incl. Porto


bookDie Medizinische Akademie Düsseldorf im Nationalsozialismus

Diese Untersuchung erhielt nun den Wissenschaftspreis der "Düsseldorfer Jonges". Dies bedeutet allerdings nicht, daß ihr sie nun dehalb gleich verschmähen solltet. Im Gegenteil - denn dieser Sammelband stellt eine Pionierarbeit im Bereich der kritischen Aufarbeitung der NS-Geschichte der Medizinischen Akademie dar. Eine wissenschaftliche Neutralität existierte nicht an der Medizinischen Akademie: Forschung und Praxis waren integriert in die nationalsozialistische Terrormaschinerie. Dies belegen die kritischen HistorikerInnen anhand von dezidierten Untersuchungen zu Heilkunde, dem Hygienischen Institut, der Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten, der Psychiatrischen Klinik und den städtischen Krankenanstalten. Auch die Behandlung von ZwangsarbeiterInnen, von denen 4.400 auf Düsseldorfer Friedhöfen begraben sind, wird analysiert. Anhand der Karrieren des Direktors für Humangenetik und Anthropologie, Heinrich Schade, sowie des Psychiaters Friedrich Panse wird zudem verdeutlicht, wie Nazi-Rassenapologeten rassistische Forschung und Praxis in den bundesdeutschen Wissenschaftsbetrieb integrieren konnten.

Eine empfehlenswerte Untersuchung also, die nicht nur von MedizinerInnen gelesen werden sollte.

AL C.

M. Esch / K. Griese / F. Sparing / W. Woelk (hg):
Die Medizinische Akademie Düsseldorf
im Nationalsozialismus
Düsseldorf 1997, 365 Seiten


comixKrass #3 + #4
XX Nr. 2: Tigerschlüpfer
Kranke Comics #5

Peter Bagge, Comicguru der Grunge Ära, hat mit seinen vielbeachteten Comics schon seit drei Ausgaben eine neue Heimat bei Jochen Enterprises gefunden. Eine gute Wahl. Wer "Krass" noch nicht kennt, für den wird es aber Zeit. Langsam verliert der Gute allerdings etwas an Kraft, was nicht heißen will, daß die Comics schlechter werden, aber sie dümpeln doch etwas vor sich hin. Zwar auf hohem Unterhaltungsniveau, aber ohne große Höhen und Tiefen. Der olle Hänger Buddy treibt sich weiterhin in der spießigen Umgebung seiner engsten Familie rum. Wir erfahren von Autos der etwas anderen Art, Zukunftsideen, viel Bier und Alltagsproblemen mit Bruderherz und Freundin. Go on, Buddy. Dazu gibt es erfrischende Buddy-Adaptionen von u.a. Guido Sieber. Klasse.

Die teutschen, (naja, nicht ausschließlich) "Fräuleinwunder", die sich inklusive Alibimann in der zweiten Ausgabe der XX tummeln, sind da schon ein anderes Kaliber. Manchmal reichlich schwer verdaulich, manchmal schwer intellektuell, manchmal schwer poetisch, manchmal schwer egozentrisch, kommen sie schwer gefühlschwanger herüber. Gut, daß die Kurzgeschichten sehr unterschiedlich in Art und Form sind, daß lockert die Überschwere dann doch glücklicherweise etwas auf. Ansonsten würde man sich ja nur noch in sein kleines Kämmerlein verziehen wollen. Das wäre doch schade. Wie immer bestens: LGX Lillian Mousli; ganz toll auch Simone Schöler mit ihrem befreienden Comic "Ihr gestreifter Badeanzug". Dazu gibt es einen Bastelbogen und ein Würfelspiel.

Zu guter Letzt die fünfte Ausgabe von "Kranke Comics". Einige dürften sich noch an "Through that Beat in the Garbagecan" erinnern, eine lustige Band (klasse Konzerte), ich glaub irgendwo aus dem Süden der Republik. Der Frontmann Klaus Cornfield war damals schon für die Gestaltung der Cover zuständig. Irgendwo im Comicramsch gibt es sicherlich auch noch sein ansehnliches Comicwerk mit dem Bandnamen als Titel zu erstehen. Zu dem heutigen würde ich mal behaupten, daß der Name als Programm gilt oder so. Laut Info sollen sie eine gnadenlose Abrechnung mit der Pornofilm-Industrie sein und saulustig. Nun ja, wem's gefällt.

MEIKEL F

Krass #3, #4: jeweils 5,90 DM
XX Nr. 2 "Tigerschlüpfer": 5,90 DM
Kranke Comics #5: 6,00 DM
alle bei Jochen Enterprises


bookFaschistische Aktivitäten in Brandenburg

Wer wissen will, wie es in Brandenburger Neonaziszene aussieht, kommt an dieser gut gemachten Broschüre nicht vorbei. Zwei Mio. Doitschmark wurden zwar von der Landesregierung für die Kampagne "tolerantes Brandenburg" werbewirksam verpulvert, aber Imagekampagnen für den Standort ersetzen halt keine antifaschistische Selbsthilfe. Die Nazi-Aktivitäten sind trotz der Kampagne gestiegen. Dies gab die Veranlassung für eine erneute antifaschistische Recherche über die lokalen Neonazi-Strukturen, deren Ergebnis nun eine gründlich recherchierte Antifa-Broschüre ist. Das antifaschistische AutorInnenkollektiv gibt darin einen detaillierten Einblick in die Strukturen der Brandenburger Neonazi-Szenen und deren Arbeits- und Aktionsweisen. Neben dem Parteienspektrum der DVU, der NPD und der JN werden auch die diversen Flügel der militant-neonazistischen Bewegungsstrukturen beschrieben und analysiert. Ein Kapitel befaßt sich zudem mit der rechten Subkultur sowie mit Möglichkeiten, ihr offensiv zu begegnen. Exzellent recherchiert wird zudem ein "who is who" der Brandenburger Faschos präsentiert. Als antifaschistischen Handlungsanweisung dient ein Kapitel mit Tips und Tricks für Antifas.

Lesenswert also beileibe nicht nur für Ossis!

"Hinter den Kulissen... Faschistische Aktivitäten in Brandenburg"
Broschüre über Hinter- und Vordergründe der Brandenburgischen Neonaziszene
Berlin, 1999, 94 Seiten, 4 DM
zu beziehen über: AJF-Versand, Gneisenaustr. 2A, 10961 Berlin


comicDie Augen der Angst

Der Titel ist furchteinflößender als das Buch selber. Zumal es von LGX Lillian Mousli stammt. Das heißt viele Kulleraugen, viel Rundes, wenig Ecken, viele dunkle Ecken und viel Buntes. Mousli kratzt eher am Unterbewußtsein. Es entwickelt sich ein subtiles Unwohlsein, das sich schlecht bestimmen läßt. Ein Charakteristikum, das sich durch alle ihre Arbeiten zieht. "Die Augen der Angst" ist noch lange nicht fertig, dies ist erst ein erster Teil. Seit 1992 arbeitet sie in loser Folge an dieser Geschichte. Bis jetzt sind über 90 20x20 cm große Acrylgemälde entstanden, die im Buch etwas verkleinert wiedergegeben werden. Die Einzelbilder wirken, als ob man in einer irren Kamerafahrt durch die Stadt gejagt wird. In Zoomaufnahmen von der Totalen bis hin zu Details werden kleine Geschichten und Tragödien zwischen Angst und Liebe erzählt, die sich harmonisch zu einem Ganzen fügen. Trauer und Freude wechseln sich ständig ab. Und dann ist die Nacht erstmal zu Ende. LGX Lillian Mousli hat hier bisher ihr imposantestes Werk geliefert, liebevoll von Jochen gestaltet und ein richtiges Kunstwerk, das die künstliche Trennung zwischen Comic und Kunst überschreitet und damit beides verbindet. Wunderschön.

MEIKEL F

LGX Lillian Mousli:
Die Augen der Angst
Jochen Enterprises, 39,90 DM


comicDonjon

Ok, ich kann meine Bewunderung für Lewis Trondheim kaum verbergen. Seine infantilen Figuren mit ihren erwachsenen Charakteristika sind in ihrer Art vollkommen konträr. Ein Wechselspiel, das den eigentlichen Reiz der Comics von Trondheim ausmachen. Trondheim treibt es zur Perfektion und entwickelt Comics, die für Groß und Klein gleichermaßen ihren Reiz haben. Dieser Reiz entsteht durch die unterschiedlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten, was eigentlich allen anderen Funnies leider fehlt. Geradezu prädestiniert ist aber auch die Geschichte, die Joann Sfar entwurfen hat. Bisher eher für Kinderkram zuständig (bspw. "Die Potamoks" und "Merlin", beide bei Carlsen) sind sie hier ein ideales Dreamteam. Er entwarf eine Fabelwelt mit Dämonen, Geistern, liebenswerten und starken Dinos sowie skurrilen Geschöpfen, die nur am schnöden Mammon interessiert sind. Und dann gibt es auch noch den furchtlosen Abakar Oktopuss, eigentlich Herbert, der Enterich, der da in eine wilde Geschichte reinrutscht. So muß er die Trutzburg, den Donjon, vor bösen Kapuzenmännern retten. Eine heikle Angelegenheit, die Trondheim gekonnt in Szene setzt, mit vielen Überraschungen und einem recht trockenen Humor. Eine gelungene Parodie auf diesen ganzen Scheiß- Fantasy-Krempel.

MEIKEL F

Joann Sfar & Lewis Trondheim
Donjon 1
Carlsen Verlag, 19,90 DM


comicMonsieur Jean

Die beiden Bände "Die Liebe und die Consierge" und "Seine schlaflosen Nächte" von Dupuy und Berberian sind, trotz ihres traditionellen Aussehens, eigentlich ziemlich modern. Wie es auch in der Literatur und im Film gerade hip ist, das Banale des Alltäglichen darzustellen, so findet man auch hier die kleinen uninteressanten Alltags-geschicht-chen wieder, in denen nichts Weltbewegendes passiert. Monsieur Jean ist ein in den Tag lebender Schriftsteller, der nur allzuviel Zeit hat, in Erinnerungen an verflossene Lieben und in Tagträumen zu schwelgen. Da verliebt er sich in die gut aussehende Meinungsforscherin, um dann im nächsten Moment zu verzweifeln, da sie so einen Hippie knutscht. Das sind die kleinen Katastrophen, glaubt er doch im Grunde an die altmodische, romantische Liebe. Dieses Überkommene kontrastiert mit dem Chaos der modernen Welt, die er kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt. So flieht er in sein Zuhause, dort wo die Welt scheinbar in Ordnung ist - wäre da nicht die Liebe, seine Freunde und die Consierge. Dieses Wechselspiel zwischen erhoffter Ordnung und hereinbrechendem Chaos macht das Liebenswerte der Comics von Monsieur Jean aus. Zwischen Realität und Alpträumen geschüttelt, zwischen Retrozeichenstil, der an die 50/60er Jahre erinnert, und der modernen Welt sind sie eine Lektüre, nach der man herrlich einschlafen und die Welt in schönen Träumen vergessen kann.

MEIKEL F

Dupuy / Berberian:
Monsieur Jean
- Seine schlaflosen Nächte
- Die Liebe und die Consierge
Salleck Publication - Eckart Schott Verlag


comicDer Tengu

Die französische Künstlergruppe L'ássociation ist eine wahre Fundgrube an Comicgenies, die ganz unterschiedliche Arbeiten vorlegen. Als neuester Ableger erscheint auf deutsch "Der Tengu" von David B. Er ist einer der Aktivsten der Gruppe, hier jedoch fast gänzlich unbekannt. Das liegt vielleicht an seinen phantastischen Geschichten, die hier recht ungewöhnlich sind. Auch beim vorliegenden Comicbuch gibt es kaum etwas Vergleichbares auf dem hiesigen Markt. Es ist eine Art Epos aus der japanischen Legenden- und Fabelwelt in europäischem Stil. Ein west-östlicher Versuch einer Symbiose. Die Räuber, der Pilz und der sich verwandelnde Fuchs werden von der Polizei und einem gar nicht so reinen Mönch gejagt. Dann gibt es auch noch Parashurama, der aus Rache alle Samurais vernichten will, und natürlich den Tengu, ein zu allen Späßen aufgelegter und dafür ausgestoßener Berggeist, der Yashu, einem überlebenden Samuraischüler, hilft, den Mörder dessen Meisters zu finden. Natürlich überkreuzen sich alle Wege; die Einzelstränge werden geschickt miteinander verwoben. Das Ganze kann man zeitlich um die Jahrhundertwende einordnen. Westliche Neuerungen, wie Eisenbahn und moderne Waffen, bringen die ganzen eingespielten Traditionen durcheinander. Ein bebilderter Roman, der auch gut im Bücherschrank stehen könnte.

MEIKEL F

David B.: Der Tengu
Edition Moderne, 39,90 DM