comicKlassenfahrt

Die einen liebten sie, die anderen haßten sie – die Klassenfahrt. Mal am Strand, mal im Wald, mal an den ödesten Orten der Welt wurden und werden die ersten Erfahrungen des Erwachsenwerdens gemacht. Besonderes Interesse weckt(e) die Entdeckung des anderen oder auch manchmal des gleichen Geschlechts. Auf jeden Fall ein Thema, das sich hervorragend anbietet, zeichnerisch umgesetzt zu werden. Der Berliner Zeichner ATAK ist in der Indieszene eine bekannte Gestalt und mittlerweile auch international bekannt. Im Rahmen einer Gastprofessur an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg erarbeiteten die SeminarteilnehmerInnen verschiedene Beiträge zum Thema Klassenfahrt bzw. besser gesagt sie verarbeiteten ihre Jugenderlebnisse. Für das Comic wurden die Geschlechterrollen vertauscht, so daß die Mädels die Geschichten der Jungens zeichneten und umgekehrt. Heraus gekommen sind zeichnerisch wie inhaltlich sehr unterschiedliche Geschichten, auch von der Qualität her sehr unterschiedlich. Hervorzuheben sind Pascal D. Bohr über die (Un)Tiefen einer Leseratte, Björn Brot über Erlebnisse im Pionierlager, Anne Bellstorf über die erste verschmähte Liebe und Judith Drews über ein paar gewichtige Entdeckungen. Bei einigen merkt man die Vorlieben für bestimmte Zeichner wie z.B. für Chris Ware oder Mawil deutlich an. Immer wird aber versucht eine eigene Linie hineinzubringen. Zumindest einige der Seminaristen zeigen ein gehöriges Potenzial für eine Comickarriere. Ein interessanter Einblick in den möglichen Nachwuchs.

Meikel F

Klassenfahrt, Hrsg. ATAK; Reprodukt; 128 S., 15.00 Euro


comicBarfuss durch Hiroshima II - Der Tag danach

Barfuss durch Hiroshima ist eines der besten und eindringlichsten Comicbücher, die in letzter Zeit auf Deutsch erschienen sind. Der Titel deutet es schon an, es geht um den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Der Autor Keiji Nakazawa hat diesen als sechsjähriger Junge selbst erlebt. Nur einen Kilometer vom Epizentrum entfernt, überlebte er nur durch glückliche Umstände. Die über ihm eingestürzte Schulmauer rettete ihm das Leben. Er verlor aber seinen Vater, seine große Schwester und seinen kleinen Bruder. Dieser zweite von vier Bänden beginnt direkt nach dem Abwurf der Atombombe. Vorweg gesagt, dieses Comic ist Hard Stuff und geht an die Nieren. Schon bei der ersten Seite möchte man das Comic wieder zuschlagen. Zombiehaften Gestalten fällt regelrecht die Haut vom Körper, während sie durch die Gegend torkeln und nach Wasser schreien. Verwirrte, die durch den Abwurf und das darauf Folgende verrückt geworden sind. Nichts deutete noch am Morgen des 6. August 1945 auf diese Katastrophe hin. Danach standen die wenige Tausend Überlebende der Großstadt unter Schock und wussten gar nicht, was mit ihnen passiert ist, was diese Bombe war. Die Folgen waren fürchterlich. Nakazawa zeichnet dieses Szenario so auf, wie er es als kleiner Junge gesehen und erlebt hat. Seine Mutter hatte nach der Explosion und dem Schock des Todes ihres Mannes und zwei ihrer Kinder eine Frühgeburt. Um Milch für das Baby zu besorgen, macht er sich, im Comic Gen genannt, auf die Suche durch die zerstörte Stadt. Überall liegen entsetzlich entstellte Tote, die zügig verbrannt werden, Verrückt gewordene irren durch die Straßen, die Mägen der im Fluß liegenden Leichen explodieren und verbreiten einen entsetzlichen Gestank, Gliedmaßen fallen den Lebenden einfach ab, Menschen werden regelrecht von innen zersetzt... Und das ist noch lange nicht alles. Schonungslos zeigt Nakazawa das Grauen, das diese Bombe besitzt. Dennoch sind die direkten Folgen auf den Menschen in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich unbekannt. Diese Informationslücke schließt dieses Comic.

Nakazawa reduziert die Geschichte aber nicht auf den Schrecken, sondern gibt einen detaillierten Einblick in die damalige japanische Gesellschaft. Besonders im ersten Band beschreibt er die widerliche nationalistisch-militaristische Gesellschaft, in der alles auf den Krieg und dem Überlegenheitswahn der “japanischen Rasse” ausgerichtet ist. Die Anderen sind die Teufel in Person, denen man sich nicht ergeben darf und so wird lieber Massenselbstmord praktiziert, als sich der US-Armee zu ergeben. Er beschreibt verständlich diesen im Westen wenig bekannten brutalen Krieg in Asien. Nakazawas Vater war gegen den Kriegswahn und das nationalistische Kaiserreich eingestellt. Des öfteren landete er dafür im Knast. Die ganze Familie war sozial geächtet. Für die Kinder war dies nicht immer nachvollziehbar. Aus der Sicht des kleinen Gen zeigt Nakazawa die gesellschaftlichen Zustände und die Schwierigkeiten, dies alles zu verstehen. Das Comic zeigt auch die Tiefen des menschlichen Wesens. Solidarität und gegenseitige Hilfe sind die Ausnahm in dieser Apokalypse. Während Gen soviel hilft, wie er kann, erfährt er nur selten Unterstützung. Seine Mutter beschließt, das sie zu einer Freundin flüchten, da alle Verwandten tot sind und das eigene Haus zerstört ist. Im Gegensatz zur Freundin freut sich der Rest ihrer Familie gar nicht über die zusätzlichen Esser, die als Schmarotzer bezeichnet werden und die keinerlei Anteilnahme am Schicksal der Geflüchteten zeigen. Nach dem Motto: Jeder ist sich selbst der Nächste, werden die Opfer ihrem Schicksal überlassen.

Nakazawa hat mit diesem Comic, das er schon 1972 zeichnete, auch sein eigene Geschichte verarbeitet. Nie lässt er Zweifel aufkommen, das die menschliche Güte Solidarität und Hilfe ausmachen. Seine Grundtenor ist gegen Militär und Nationalismus gerichtet. Eine Auffassung, die das Leben für ihn bis heute in Japan oft schwer macht, in der Japan momentan versucht, ähnlich wie Deutschland, Großmachtambitionen erneut aufkommen zu lassen. Da das Comic mittlerweile über 30 Jahre alt ist, wirken die schwarzweißen Mangazeichnungen seltsam antiquiert und so ganz anders als die heutigen Mangas. Der Intensität und der packenden Story merkt man dies aber in keinerlei Weise an. Es bleibt eins der packendsten Comics der letzten Jahre und ist wärmstens zu empfehlen.

Meikel

Barfuss durch Hiroshima Teil 2 - Der Tag danach, Keiji Nakazawa; Carlsen Comic; 252 S., 12 Euro