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Der Film “Speer und Er” lässt in den späten fünfziger Jahren eine illustre Runde Düsseldorfer Architekten zusammenkommen: Friedrich Tamms, Helmut Hentrich, Hans Dustmann, Hans Heuser und Karl Piepenburg - ihr gemeinsamer Freund Arno Breker ist leider verhindert. Allesamt hatten sie in Diensten Albert Speers gestanden und zu der von ihm 1944 zusammengestellten Gruppe zur “Planung des Wiederaufbaus deutscher Städte” gehört. Nun palaverten Hitlers willige Baumeister darüber, welche Aufgaben die junge Demokratie ihnen stellt. Darüber vergaßen sie aber ihren Mentor nicht. Tamms & Co. sammelten für die Familie ihres in Span-dau einsitzenden Meisters 180.000 DM und tarnten die Zuwendungen als Schulgeld.
“Jede Zeit sucht doch ihren Ausdruck. Jetzt haben wir ’ne neue Demokratie, die um ihre Form ringt. Und wir Architekten müssen diese Form suchen”, so definiert Düsseldorfs “Wiederaufbau”-Leiter Friedrich Tamms in Heinrich Breloers “Speer und Er” bei einem Treffen mit seinen Kollegen Helmut Hentrich, Hans Heuser, Piepenburg und Hans Dustmann die Aufgabe seines Berufsstandes. Mit Tamms, Hentrich, Dustmann und dem auch im Nachkriegs-Düsseldorf agierenden Schulte-Frolinde wollte Speer einst das “Neue Berlin” bauen. “Die besten Architekten des Landes habe ich zu Mitarbeitern gewonnen”, jubilierte er in Breleors Film. Seine besten Stücke mussten sich in der Nachkriegszeit allerdings umorientieren. “Von der großen Halle zur neuen Sachlichkeit”, hieß ihre Devise, und im Hintergrund sieht man schon das Modell für das Thyssen-Hochhaus. Ihre bundesdeutschen Kollegen trauten dem Braten aber nicht so recht. “Tatsächlich wird Düsseldorf zu einem Zentrum der ehemaligen Nazi-Prominenz”, formulierten sie in einer Denkschrift. In Tamms die Stadt großzügig durchmessenden Achsen und vielen anderen neuen Bauten machten sie einen “Reichskanzlei-Stil” aus. Und auch Speer selbst sah die Kontinuität gewahrt. Das “Bankhaus Trinkaus”, von Hen-trich entworfen, der einst zu meinen Architekten gehörte, mit den vierkantigen, durch Glasflächen ausge-fachten Doppelsäulen erinnert der Bau an die für Berlin geplante OKW-Fassade”, notierte er in seinen “Spandauer Tagebüchern”. Tamms & Co. wussten deshalb auch, was sie Speer schuldig waren. Bei ihrer Zusammenkunft beschlossen sie, die Familie ihres nun in Spandau einsitzenden Ex-Dienstherrn zu unterstützen. 180.000 DM sammelte die Runde und tarnte die Zuwendungen später als Schulgeld.
Nazi-Architekt wollte natürlich keiner von ihnen gewesen sein. Über ein Rasthaus-Projekt schreibt Hentrich in seinen Erinnerungen “Bauzeit”: “Die interessante Arbeit an diesen Bauten war immer nur sachbezogen und nie von politischen Aspekten gefärbt”. Er hält sich in seinem Buch sogar einiges darauf zugute, Funktionalist avant la lettre gewesen zu sein und darob in ein Spannungsverhältnis mit der “fast amtlich gewordenen Speer’schen klassizistischen Architektur” geraten zu sein. Der von Speer für die Weltausstellung 1937 in Paris gestaltete deutsche Pavillion fand deshalb nicht seine ungeteilte Zustimmung. “Er strahlte aber mit dem großen, auf dem Gesims hockenden Adler eine gewisse monumentale Ruhe aus”, konzediert er.
Hentrich hatte aber keine Probleme, von der berüchtigten “Organisation Todt” Aufträge anzunehmen. Auch hatte er keine ethischen Bedenken, auf seinen Baustellen Zwangsarbeiter zu beschäftigen, nur ihre mangelnde fachliche Kompetenz bereitete ihm Sorge. Zudem war Hentrich ein Ari-ierungsgewinner, wie Herbert Schmidt in seinem Buch “Der Elendweg der Düsseldorfer Juden” nachweist. Er kaufte einer zum Verlassen Deutschland gezwungenen jüdischen Familie 1933 ein Haus mit einem 747 Quadratmeter großem Grundstück für 42.000 RM ab. “Der Einheitswert, der weit unter dem effektiven Wert lag, betrug damals 73.000 RM, so Schmidt. Der Verkäufer sprach deshalb auch von “Nötigung”. Nach dem Krieg zahlte Hentrich der Erbengemeinschaft 10.000 DM, damit sie auf ihren Rückerstattungsanspruch verzichtete. Den Umbau seines Büros konnte er in der Nazi-Zeit ebenfalls preiswert mit “Sperrgeldern” realisieren. Mit “Sperrgeldern” bezeichneten die Faschisten die konfiszierten Vermögen von Juden. 1935 starteten sie ein Programm zur Investitionsförderung, das Ausländern ermöglichte, eine Sperrmark für 25 Reichspfennige zu kaufen. Und das machte der Besitzer des Hauses, in dem Hentrich sein Büro hatte, und konnte dank des Tips des Architekten die nötigen Baumaßnahmen für ein Viertel der anvisierten Kosten durchführen.
Nach dem Motto “Jede Zeit sucht ihren Ausdruck” baute Hentrich später auch in Südafrika. Dort verlieh er dann der Apartheid den passenden baulichen Ausdruck und stattete das Verwaltungsgebäude einer Bank hinter der modernen Fassade schön brav mit getrennten Toiletten für Schwarze und Weiße aus. Die Stadt Düsseldorf belohnte seine lebenslang demonstrierte Anpassungsfähigkeit schließlich damit, ihn zum Ehrenbürger zu ernennen.
Jan
Wer interessiert sich eigentlich noch für Südosteuropa und seine jüngste Geschichte? Anscheinend nur noch Ex-Jugoslawen wie Emir Kusturica selber. Er nimmt sich aufs Neue das Bosnien des Jahres 1992 vor und entwirft in der für ihn typischen “Pulverfass Balkan”-Ästhetik ein ausladendes “drôle de guerre”-Panorama. Da verlustieren sich Soldaten mit deutschen Telefonsex-Damen, da gibt es auch mal Angriffe auf Kriegsgewinnler in den eigenen Reihen, da behindert ein liebeskranker Esel den Gefangenen-Austausch und da enden selbst zivile Massenveranstaltungen vorzugsweise im Chaos.
Kusturica muss so ein derbes, pralles Volksstück aufführen und sich dabei noch der Mithilfe eines halben Zoos vergewissern, um den Leinwandplatz zu füllen, den die nicht mehr zu Filmhelden geborenen Menschen frei lassen. Das Leben ist für diese wahlweise ein Wunder oder eine Katastrophe - immer aber ihrer Verfügungsgewalt entzogen. Seine Protagonisten wie den Eisenbahn-Ingenieur Luka betrachtet der Regisseur deshalb als arglose, ein wenig kindische Wesen, ohne sich jedoch über sie zu erheben. Von Belgrad in die bosnische Provinz versetzt, soll Luka die Planungen für ein die Landesteile verbindendes Schienennetz vorantreiben. Die Zeichen stehen allerdings eher auf Entflechtung, was der Eisenbahn-Narr lange nicht wahrhaben will. “Hier sind die Leute vernünftig”, meint er und findet sich doch bald in den Kriegswirren wieder. Während er die Stellung an seiner Bahnstation hält, gerät sein Sohn Mirko in die Hände kroatischer Truppen. Im Gegenzug wird der Ingenieur dazu auszusehen, in seinem Haus die muslimische Gefangene Sabaha zu hüten. Er will sie gegen Mirko austauschen, verliebt sich aber nach einer Weile in sie.
Den Krieg nehmen die beiden zumeist als fernen Donnerhall wahr, und auch Emir Kusturica beschäftigt sich nicht näher damit, wer anfangen hat und wer mehr im Recht ist. “Der Balkan ist voller talentierter Menschen, jeder für sich, aber sobald sie sich miteinander in der Gesellschaft auseinandersetzen sollen, klappt nichts mehr”, lautet seine schlichte Analyse im Presseheft. Nur in einem Punkt wird er deutlicher: Deutsche, UN und CNN hatten da unten nie etwas verloren. Die Liebe gegen den Krieg - so verlaufen bei dem Filmemacher ansonsten die Fronten. Sein Paar kämpft gegen alle Parteien für den Fortbestand ihres kleinen Privat-Jugoslawien. Ein äußerst romantisches Anliegen, für das Kusturica das ganz große Kino auffährt. Er inszeniert eine raumgreifende Liebes-Szene und lässt Luka und Sabaha sogar auf ihrem Himmelbett durch die Lüfte schweben. Aber so recht verfängt der Zauber seines magischen Realismus nicht, er vermag sich dem Bann des balkan-esischen Jammertals nicht zu entziehen und wirkt nur als schwacher Trost.
Jan