Interview mit zwei ver.di-aktivisten
zur Entstehung und Wirkung des “Schwarzbuch Lidl”

Am 19 Mai fand im Kulturzentrum zakk eine Veranstaltung mit 55 BesucherInnen zum Thema “Billig auf Kosten der Beschäftigten. Das Schwarzbuch Lidl und das System der Angst” statt. Die Autorin Pamela Granderath und der Journalist Dr. Olaf Cless lasen krimihafte Passagen aus Berichten von Lidl-Angestellten vor. Agnes Schreieder vom Lidl-Projekt der Gewerkschaft ver.di aus Berlin und Heino-Georg Kassler, der für Lidl zuständige Düsseldorfer ver.di-Sekretär schilderten die Situation der Lidl-Beschäftigten sowie die Entstehung und Wirkung des “Schwarzbuch Lidl”. Beide informierten über die beginnende Kampagne für die Rechte der Lidl-Beschäftigten und die Möglichkeiten für KonsumentInnen, diese Kampagne zu unterstützen. Zahlreiche TeilnehmerInnen trugen sich nach lebhafter Diskussion in eine Liste für die Vorbereitung von Aktionen ein. TERZ sprach am Rande der Veranstaltung mit Agnes Schreieder und Heino-Georg Kassler:

TERZ Was ist das “Schwarzbuch Lidl”, warum gibt es das Buch und wo bekomme ich es?
Das Schwarz Buch Lidl ermöglicht erstmals ein Blick hinter die Kulissen des aggressiv expandierenden und undurchschaubaren Schwarz-Konzerns mit seiner Billig-Kette Lidl. Neben Informationen zum Konzern, dem Inhaber Dieter Schwarz und seinen Machern dokumentiert es vor allem menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in über 2 600 Lidl-Filialen mit 40 000 Beschäftigten in Deutschland. Im Schwarzbuch sind Interviews mit Lidl-Beschäftigten und beispielhaft ausgewählte Fallstudien aus dem Filialalltag zu lesen. Darin wird deutlich, dass bei Lidl Arbeitnehmer- und Persönlichkeitsrechte systematisch verletzt werden. Betriebsräte werden von Führungskräften zudem gezielt verhindert. Auch aus der zum Konzern gehörenden Kaufhauskette Kaufland berichten Beschäftigte und Betriebsräte über Repressalien und ihre Initiativen zur Durchsetzung von besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten.

TERZ Warum Lidl? Was ist mit Aldi, Schlecker etc.?
Lidl führt knapp die Negativliste der Discount-Unternehmen mit miesen Arbeitsbedingungen an. In über 2.600 Filialen gibt es derzeit gerade acht, in denen es Betriebsräte gibt. Faktisch arbeiten beinahe 40.000 Lidl-Beschäftigte – die ganz große Mehrzahl davon teilzeitbeschäftigte Frauen – ohne Mitbestimmung und demokratische Beteiligung in den Lidl-Filialen. Das harte Klima der Angst, das von der Geschäftsführung geschaffen wird sowie der enorme Leistungsdruck sind weitere Gründe, warum ver.di jetzt die Beschäftigten bei Lidl besonders unterstützen will.
Die Arbeitsbedingungen müssen allerdings bei vielen der Billig-Ketten verbessert werden: chronische Unterbesetzung in den Filialen, krankmachender Druck, Überwachung, Kontrollen und Bespitzelung finden leider auch in anderen Unternehmen statt. Im neu eingerichteten ver.di-Weblog schildern zahlreiche Beschäftigte in einer Art online-Tagebuch von ihren Arbeits­erfah­rungen (www.verdi-blog.de/lidl). Bei den grossen Ketten Schlecker und Aldi sind wir dabei, gezielt weitere Informationen zu sammeln. Wir planen zu einem späteren Zeitpunkt Veröffentlichungen auch zu diesen Unternehmen.

TERZ Eines eurer Ziele ist, dass die Lidl-Beschäftigten sich selbst organisieren und Betriebsräte gründen. Wo seht ihr die Möglichkeiten und Grenzen von Betriebsräten, welche Erfahrungen haben die Lidl-KollegInnen mit der Gründung von BR?
Beschäftigte bei Lidl arbeiten oft gerne im Handel und mit Kunden und bedauern, dass sie dafür zu wenig Zeit haben. Vor allem aber sollen die Arbeitsbedingungen in den Filialen spürbar und dauerhaft verbessert werden. Das kann vor allem mit Betriebsräten gelingen. In den wenigen Lidl-Filialen mit Betriebsräten konnte für Beschäftigte bei der korrekten Erfassung der Arbeitszeit, bei der Personalbesetzung, bei den Kontrollen und beim Umgang mit Beschäftigten schon viel verbessert werden. Um den Druck der Lidl-Geschäftsleitung auf Beschäftigte, die sich organisieren wollen, erfolgreich zu erwidern, ist es echtes Interesse an den Arbeitsbedingungen und weitere Öffentlichkeit notwendig.
Betriebsratswillige Beschäftigte bei Lidl können auch durch Patenschaften mit anderen Betriebs- und Personalräten, aber auch mit Prominenten des Öffentlichen Lebens, die öffentlich gegenüber Lidl eintreten, geschützt werden. Bei Schlecker ist es vor zehn Jahren gelungen, dass Verkäuferinnen in der Schlecker-Kampagne mit der Gewerkschaft erstmalig Betriebsräte gegen den harten Widerstand des Drogerie-Königs Anton Schlecker durchgesetzt haben. Durch die Unterstützung von Künstlern, kirchlichen Gruppen, Frauen­organisiationen und politischen Mandatsträgern konnten die Verkäuferinnen soweit unterstützt werden, dass sie die Konflikte erfolgreich führen konnten. Wichtig war auch der Druck durch viele Kunden, die Schlecker deutlich machten: wir gehen nur dann einkaufen, wenn die Verkäuferinnen fair und menschenwürdig behandelt werden.
Durch Betriebsräte konnte für die Verkäuferinnen sehr viel verbessert werden. Das Selbstbewusstsein, der Mut und die Kraft, die sich bei diesen Frauen durch die Wahl von Betriebsräten entwickelt hat, strahlt inzwischen auch auf andere Unternehmen ab.

TERZ Warum die Veranstaltung in einem Kulturzentrum und nicht in einem Gewerkschaftbüro?
Wir wollen mit der Lidl-Kampagne neue Wege beschreiten, wollen ein breiteres Publikum und nicht nur verdi-Mitglieder erreichen. Das zakk bietet eine andere Erreichbarkeit bzw. einen anderen Zugang zu (politisch) interessierten Menschen.

TERZ Was stellt ihr euch unter Bündnisarbeit in der Lidl-Kampagne vor?
Wir wollen als ver.di zusammen mit anderen interessierten Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen eine breite Öffentlichkeit herstellen und Lidl-KundInnen sensibilisieren. Dafür brauchen wir kreative Menschen, die Patenschaften für Filialen übernehmen, die den Dialog mit den Beschäftigten herstellen und ihnen das Gefühl geben, das sie nicht alleine sind. Wie gesagt, wir wollen als ver.di mit dieser Kampagne neue Wege beschreiten und sind offen für Ideen, für Vorschläge, für die Zusammenarbeit.

TERZ Was kann ich in Düsseldorf konkret machen? Wo bekomme ich Informationen, wo bekomme ich Material zum Verteilen, gibt es einen nächsten Termin, an wen wende ich mich?
Der nächste Schritt ist die Gründung eines Aktionsbündnisse und die Planung von Aktionsmöglichkeiten. Wir treffen uns am 18.07.2005 ab 19.30 Uhr im Kulturzentrum zakk auf der Fichtenstr. 40.

Das Schwarzbuch Lidl kann für EUR 8 + Versandkosten bei ver.di gmbh, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin, Fax 030/69563160, manina.walter[at]verdigmbh[dot]de oder kann im Buchhandel mit der ISBN-Nr.3-932349-12-1 bestellt werden.
Darüber hinaus gibt es Material und Infos bei: Heino Georg Kaßler
verdi Bezirk Düsseldorf Fachbereich Handel
Bastionstraße 18 - D-40213 Düsseldorf
Tel.:0211-15970281
e-mail: heino-georg.kassler[at]verdi[dot]de