TERZ 06.05 – FESTIVALREPORT
Es hätte ein musikalisches Mai-Highlight werden können: Das Programm des 34. Internationalen New Jazz Festivals las sich beinahe wie ein “Best Of” der letzten Jahrzehnte Moers-Musik-Geschichte. Doch der Abschied des Gründers und bisherigen künstlerischen Leiters, Burkhard Hennen, sowie die Diskussionen über Fortbestand und Perspektiven des Festivals entwickelten sich zum Politikum, das das Musikprogramm überschattete.
Jedes Jahr zu Pfingsten trifft sich in Moers eine internationale Avantgarde von MusikerInnen aus den Grenzbereichen zwischen Jazz, Rock, Elektro, Improvisations- und Weltmusik. Herbie Hancock und Dizzy Gillespie standen hier ebenso auf der Bühne wie George Clinton und Sun Ra, Femi Kuti und Cheb Khaled ebenso wie Fanfare Ciocarlia und Nusrat Fateh Ali Khan, die Amsterdamer ArtPunker von The Ex und die Einstürzenden Neubauten, die sagenumwobenen The Residents, der Finnentango-Revoluzzer M.A. Numminen oder Helge Schneider. Angereichert wird dies mit neuen und unbekannten Formationen, experimentellen “Projekten” und der sich großer Beliebtheit erfreuenden “African Dance Night” in der Moerser Eissporthalle.
Parallel zum Festival entsteht im angrenzenden Park eine Zeltstadt mit kostenloser Camping-Möglichkeit, die über die regulären BesucherInnen hinaus eine bunte Schar von Leuten anlockt. Zwischen den obligatorischen Fressbuden und Verkaufsständen schwirren hier Punks, Hippies, Grufties, Techno- und HipHop-Kids durcheinander, die mit unzähligen kleinen Parties ein “Festival im Festival” entstehen lassen.
Dieses Jahr endlich mit Pressekarten ausgestattet, starteten wir also trotz des trüben, aber immerhin nicht regnerischen Wetters optimistisch durch zu unserem ersten Konzert, bei dem die beiden aktuellen Mitglieder der legendären ArtRock-Formation King Crimson, Trey Gunn (g) und Pat Mastelotto (dr), die auch gemeinsam unter dem Namen KU firmieren, auf das finnische Duo Kluster, bestehend aus dem Akkordeonisten Kimmo Pohjonen und dem Elektroniker Samuli Kosminen, trafen. Und was direkt für ein Hammer! Die vier entfachten einen Sound zwischen Improvisation und Melodik, der prima die Ohren frei fegte für die nächsten Tage. Das reichte fürs erste, die Yohimbe Brothers mit Vernon Reid von den Living Colors haben wir uns gespart ... aber soll eh enttäuschend gewesen sein.
Am Samstagmorgen dann zum Ausnüchtern ins Schulzentrum, wo auf zwei Bühnen verteilt die sogenannten “Projekte” stattfinden, ein Tummelplatz für (nicht nur) musikalische Experimente aller Art, die zu Zeiten, als der WDR noch einen Großteil des Festivals übertrug, als “nicht sendefähig”, da nicht ausreichend massenkompatibel eingestuft wurden. Die Projekte wurden dieses Jahr betreut von The Ex und dem Kölner Jazzschuppen Loft, beide in/mit diversen Konstellationen schon häufiger in Moers dabei. Hier konnte dann in der Turnhalle u.a. das Temperament von Katherina Ex bewundert werden, mit body percussion und am klassischen Drumkit, begleitet von zwei Saxophonisten, die für diese frühe Stunde ganz schön die Post abgehen ließen. In der benachbarten Aula ging es da schon ruhiger zu, auf halbwegs bequemen Stühlen ließ es sich genüsslich diversen ungewöhnlichen Instrumentbehandlungen beiwohnen, bis der Sinn dann doch wieder nach groovigeren Dingen stand.
Das wars jedoch leider fürs erste mit der Musik, denn nach diversen Zwischenfällen am Samstagnachmittag und einem cineastischen Ausflug am Abend wurden wir des Nachts leider Opfer der auf sämtlichen Festivals Jahr für Jahr zunehmenden Kleinkriminalität, was nicht nur die Sonntags-Stimmung ziemlich versaute, sondern uns auch um die Möglichkeit weiteren Fotografierens brachte, da die DigiCam samt bereits gespeicherter Fotos sozusagen unterm Arsch weg, während des Schlafens aus dem Zelt geklaut wurde ... da konnte auch die Afro-Disko am Sonntagabend nicht mehr viel rausreißen. Müde und abgeklärt kehrten wir zur Übernachtung nach Düsseldorf zurück, um am Montag ausgeschlafen und geduscht wenigstens noch ein paar interessante Acts mitzubekommen.
Für den letzten Festival-Tag hatte sich der scheidende Leiter Burkhard Hennen aber dann doch einen persönlichen Paukenschlag aufgehoben: Durch ein auf dem gesamten Gelände verteiltes “ExtraBlatt” und in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz ließ er etwas von den Hintergründen seiner Entscheidung, den Streitereien mit Rundfunkanstalten und städtischer Kultur-Verwaltung durchscheinen.
Was der Herr Hennen da allerdings von sich gab, mutete teilweise schon befremdlich bis bedenklich an angesichts einer Festival-Konzeption, die sich durch ihre transnationalen und multilateralen Kooperationen stets weltoffen und tolerant, darüber hinaus durch jahrelange Partnerschaft mit der Aktion Mensch als Vorreiter bei behindertengerechten Veranstaltungen geriert. Der offensichtlich überzeugte (Links‑) Niederrheiner stellte in einem ausschweifenden historischen Exkurs die Rolle des Niederrheins als ewig besetzte Region heraus und spannte den Bogen zum aktuellen Verkauf des Festivals an den WDR. Das Festival sei “nach Köln verschachert” worden, verstieg er sich während der Pressekonferenz, im ExtraBlatt war von “Colonisierung” des Festivals die Rede (immerhin auch im Original in Anführungszeichen), und auch bei der Verabschiedung des Veranstaltungs-Teams, die vor dem letzten Konzert eingeschoben wurde, betonte Hennen immer wieder die Herkunft der Mitglieder, die fast sämtlich aus Moers oder zumindest vom Niederrhein kommen. Dieser lokalchauvinistische Blut-und-Boden-Romantizismus mündete schließlich in dem Ausspruch: “Jenseits des Rheins beginnt für uns das andere Deutschland.” Bei allem Verständnis für eine durch jahrelange Reibereien und Stress sich niederschlagende Frustration – dies alles ließ sich irgendwie schon schwer vereinbaren mit der übrigen Atmosphäre ...
Dennoch erhielt Burkhard Hennen, der sich nun nach neuen Lokalitäten umsehen wird, wahrscheinlich den größten Applaus während der ganzen Tage. Eine pathetische Zuspitzung wie “Wir werden nicht dienen! Wir wollen agieren!” zieht halt immer. Und dass ihm unbestritten große künstlerische Verdienste für die 34 Jahre währende Programmgestaltung zustehen, konnte er auch an seinem allerletzen MoersFestival-Tag noch einmal unter Beweis stellen.
Die letzten Acts wogen unsere erneute Anreise nämlich mehr als auf. So konnte der türkische DJ, Komponist und Ney-Spieler Mercan Dede, der u.a. bereits für Pina Bausch und Fatih Akin gearbeitet hat, mit einer grandiosen Show begeistern, einer in die Beine wie in den Kopf fahrenden Mischung aus virtuosen Instrumentalisten, Elektro-Sounds und Derwisch-Tänzerin. Danach wurde es mit der italienischen Sängerin Cristina Zavalloni wieder etwas ruhiger, bevor als Abschluss ein besonderes Bonbon wartete: die DJ Grazzhoppa’s DJ Bigband aus Belgien, bestehend aus 12 Turntable-Spezialisten, die wie in einer Orchester-Struktur agieren, ergänzt um einen Saxophonisten, eine Sängerin und einen Videokünstler. Diese ungewöhnliche Formation brachte nochmals auf den Punkt, was das Festival bisher ausgemacht hat: Altes trifft Neues, Vertrautes wird in Überraschendes transformiert, Grenzen werden aufgebrochen.
Ob das Moerser Festival in nächsten Jahren unter der Ägide des WDR ähnlich interessante Experimente präsentieren wird, darf bezweifelt werden. Dagegen dürfen musikalisch Neugierige trotz der bisweilen verqueren Ansichten Hennens mit Spannung erwarten, was er und sein Team in Zukunft auf die Beine stellen. Im Herbst wollen sie mit ihren Plänen an die Öffentlichkeit treten.
DK
Mehr Infos unter: www.jazzmexx.com
(dort gibt’s auch das ExtraBlatt als PDF)