TERZ 06.05 – WAHLQUAL
Die Wahl in NRW hat gezeigt, dass dem deutschen Wahlvolk Politik wieder als spannend verkauft werden kann – als Inszenierung und Endzeit-Spektakel. Alles verändert sich, damit alles bleibt, wie es ist…
Mit den rot/grünen Wahlkampf-Kampagnen war es in letzter Zeit wie bei den taz-Abo-Kampagnen: Untergangs-Drohungen, um das Bestehende zu sichern. Doch was bei der taz wohl immer noch funktioniert, hat nun in NRW bei rot/grün nicht mehr geklappt. Der “Kinder-statt-Inder”-Rüttgers war dem frustrierten Wähler kein Schreckgespenst mehr und der Steinbrück war halt doch was anderes als noch der Bruder Johannes. Da half auch nicht mehr, dass der technokratische Sozi im Wahlkampf die völkischen “Heuschrecken”-Parolen seines Parteivorsitzenden nachgeplappert hat. Der NPD hat die nationalsozialistische Kapitalismuskritik gegen das “raffende Kapital” trotz Beifallsbekundungen keinen Erfolg gebracht. Sie dümpelte zusammen mit den REPs unter der Ein-Prozent-Marke. Ebenso die PDS, die sogar noch kräftig Stimmen verlor, welche der WASG zugute kamen, die aus dem Stand zwei Prozent ergatterte. Gewonnen hat eindeutig die CDU mit fast einer Million Wähler/innen mehr und das mit einem solchen Spitzenkandidaten. Das zeigt, wie frustriert die Wählerschaft des einst “roten” Stammlandes NRW ist. Schröders und Münteferings “Coup” vorzeitiger Neuwahlen ist die Folge dieses Debakels und der freiwillige Rückgang in die Opposition. Rot/Grün “hat fertig”: Die Sozis stemmen sich gegen ein Auseinanderbrechen der Partei und die vorausschauenden grünen Funktionäre strecken nun offen ihre Fühler nach der CDU aus – ein Schauspiel, das nicht einer gewissen Komik entbehrt.
Was ist links? Diese Frage stellte der Chefredakteur der Rheinischen Post, Ulrich Reitz, seiner Leserschaft zwei Tage nach der NRW-Wahl und beantwortet sie auch zugleich: “Ein Leben führen in wohligem Einklang mit sich selbst und seiner Wunschwelt.” Nun hat der Mann als Lohnschreiber der größten rechten Tageszeitung aus der Landeshauptstadt Erfahrung darin, kapitalkonforme Politik den Leuten schmackhaft zu machen, und deshalb lobt Reitz die rot/grünen “Reformen” wie Steuersenkungen für Unternehmen und Hartz IV und fordert: “Deutschland braucht eine starke Linke, ebenso wie eine starke Formation rechts von der Mitte.” Im argumentativen Gleichklang mit der christlichen Abendland-Zeitung heißt es in der linksliberalen ZEIT: “Eine starke SPD wäre auch für das Land und die Stabilität des Parteiensystems von großer Bedeutung. Wenn es dazu käme, hätten Schröder und Müntefering eine patriotische Entscheidung getroffen. Und könnten mit einigem Stolz auf sieben Regierungsjahre zurückblicken.” Wenn das Wohl der Nation auf dem Prüfstand steht, dann steht auch die deutsche Journaille Gewehr bei Fuß.
“Was ist rechts?” das fragt der Leiter des Ressorts Innenpolitik der Rheinischen Post, Reinhold Michels, und erklärt den “bürgerlichen Konservatismus” mit der “Ortsbestimmung Mitte rechts” hierzu: “Der Bürgerlich-Konservative, der sich staatliche Institutionen – Gerichte, Polizei, Schulen – stark wünscht, erwartet ein größtmögliches Selbstbestimmungsrecht und einen sich zurücknehmenden Staat.” Dies verspricht sich der Lohnschreiber der christlichen Abendlandzeitung von der “rechten” CDU. Doch es stellt sich die Frage, was die anders macht als die “linke” SPD. Klar ist dem Herrn Michels lediglich, dass der aufgeklärte Rechte mehr Tacheles redet: “Er ist der Gegentyp des Sozial-Junkies, der an der bürokratischen Nadel hängt.” Der mühsam unterdrückte Drang des autoritären Charakters nach tabula rasa gegen alles, was anders und unter ihm ist, findet in solchen Kommentaren sein Ventil. Doch auch ein Herr Michels weiß um die Gefahr, “sich als Rechten zu outen” und verweist deshalb auf die “Mitte rechts” als politische Spielwiese.
In der Parteipolitik gehört es zur einhelligen propagandistischen Maßgabe, sich als “Partei der Mitte” zu profilieren. Das ist nichts Neues, sondern vielmehr das ewig wiederkehrende Spiel der “Volksparteien” und deren wendiger Anhängsel. So reklamierte z.B. im Jahr 2002 der “Kanzler der Bosse” in “BILD” die Mitte für die SPD: “In Deutschland ist die Mitte rot”, so Schröder und kündigte für den Fall seiner Wiederwahl zugleich die Fortsetzung seiner “Reformpolitik” an. Der ehemalige CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble hingegen erklärte ein Jahr zuvor die in Italien regierende Koalition aus neoliberal orientierten Rechtspopulisten (Forza Italia), Neofaschisten (Alleanza Nazionale) und Separatisten (Lega Nord) zur “Mitte”. Schäuble zog dabei eine Parallele zu dem Regierungsbündnis von FPÖ und ÖVP: “Eine ähnliche Entwicklung kann man auch in Österreich beobachten, seit Wolfgang Schüssel Bundeskanzler ist – was im Übrigen denen Recht gibt, die sagen: ,Aufgabe großer Volksparteien ist es, zur Mitte hin zu integrieren.‘”
Der “rote Oskar” hingegen griff nun letzten Monat das Beispiel Italiens wieder auf und forderte ein linkes Bündnis nach Vorbild des “Olivenbaums” in Italien zur Eroberung einer “neuen” Mitte. Der neue NRW-Chef Rüttgers wiederum beharrte nach der erfolgreichen Wahl auf der Feststellung, nun der Führer der “stärksten Arbeiterpartei” im Lande zu sein. Ob die Mitte nun links oder rechts ist, erscheint hierbei austauschbar, da sich die jeweiligen Richtungen inhaltlich immer mehr überschneiden.
Die Medien verkaufen nun das parteipolitische Geschehen wieder als dramatische Zeitenwende. Das gehört zum Geschäft, um den nationalen Laden zusammenzuhalten. Das Wahlvolk hat nun die jetzige Regierung mehrheitlich für deren sozialpolitisches Drangsalierungsprogramm und fehlende Lohnarbeitsplätze bestraft und wählt nun die Truppe, die die Zügel noch straffer anziehen und ansonsten das Gleiche weitermachen wird. Damit dieser offensichtliche Unsinn nicht allzu deutlich zutage tritt, wird er als nationale Schicksalswahl inszeniert. Die wirkliche Möglichkeit zur Veränderung hingegen – das zeigen die Kommentare in den Medien – soll unter allen Umständen verhindert werden: Eine Neuformierung einer antikapitalistischen Linken. Einen schnellen Erfolg einer möglichen neuen Linkspartei aus PDS, WASG, Gewerkschaften und abtrünnigen Sozis hat der Neuwahl-Coup erst einmal verhindert. Doch mit Lafontaine, Gysi und noch einigen anderen Promis als Zugpferden könnte eine solche Partei durchaus Chancen zur Umkrempelung der bestehenden Parteienlandschaft haben. Ein an sich sympathischer Gedanke, wenn damit nicht die Vorstellung verbunden wird, dies hätte etwas mit links im Sinne von Antikapitalismus oder gar Kommunismus zu tun. Denn was von einem solchen Spektrum zu erwarten ist, erschöpft sich in Nostalgien keynesianistischer Nachfragepolitik. Wenn dann noch in Erinnerung gerufen wird, dass der rote Oskar der erste war, der lauthals als zeitweiliger Polit-Rentner den Vorschlag von Innenminister Schily begrüßte, Flüchtlinge in heimatnahe Internierungslager zu stecken um Zuwanderung nach Deutschland zu unterbinden, erhält der Lafontainesche Linkspopulismus einen in diesem Lande altbekannten Beigeschmack. Doch warum immer nur meckern, wenn es auch schöne Aussichten gibt: Es macht sich eine Stimmung breit, dass nicht alles einfach weiter so gehen kann. Müntefering hat mit seiner wahltaktisch motivierten Kapitalismus-Kritik ein Thema losgetreten, das inhaltlich gefüllt werden sollte. Nun ist eine Linke gefordert, Fragen nach anderen Gesellschaftsentwürfen in die öffentliche Debatte zu bringen.