Knockout bei Nokia

Doch mit des Kapitalismus’ Mächten ist kein ew’ger Bund zu flechten: Nokia gibt den Beschäftigten eins auf die Glocke und vernichtet auch in Düsseldorf Arbeitsplätze bzw. betreibt „Transformation“.

Finnland ist großartig: Die besten Schulen, Pole Position im Lebensqualitätsranking, helle Nächte (im Sommer) und ... Nokia. Ein Weltmarktführer im Handy-Verkauf. Seit rund 30 Jahren im Geschäft. Gewaltiger Profit. Aber nicht immer und überall. Selbst da, wo der Profit sprudelt, heißt es: Genug ist nicht genug. Am 25. April 2014 wurde die Handy-Abteilung an den Microsoft-Konzern verkauft, der dafür 5,44 Milliarden Euro zahlte. Zugleich wurden 32.000 Arbeitsplätze verschoben. 56.000 „Mitarbeiter“ überlebten bei der nach wie vor weltweit aufgestellten Mutter. Geblieben ist auch das Rennen um das ganz große Geld: Am 14. Januar dieses Jahres stieg Nokia bei Alcatel-Lucent ein. Der Preis: 16 Milliarden Euro. Der Finanzdienst Bloomberg informiert, dass weltweit 10.000 bis 15.000 Arbeitsplätze gefährdet sind.

Der eine Marx könnte bei Nokia die innere Gesetzmäßigkeit des Kapitals studieren, wie es sich quasi mit aller Gewalt unendlich vermehren möchte. Der andere Marx, der Münchner Kardinal Reinhard, könnte bei Nokia vielleicht eher eine gravierende Todsünde am Werke sehen. Die zweite heißt „Avaritia“. Sie bedeutet Habgier und kann bös’ in die Hose gehen.

Ohne Kapital im engeren Sinne, aber mit Mythos: Der phrygische König Midas wünschte sich, um unendlich Reichtum anzuhäufen, dass alles zu Gold werde, was er berühren würde. „Wird gemacht, Chef!“, sagte Dionysos. Aber das war eine Scheiß-Idee, denn Gold kann man nicht essen. Midas badete schließlich im Fluss Paktolos, und er hatte das Gold wieder vom Hals. Und mit der Bibel: Der Evangelist Lukas schrieb im 12. Kapitel, Vers 15 laut Wikipedia: „Und er (Christus) sprach zu ihnen (den Jüngern): Sehet zu und hütet euch vor dem Geiz; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.“ Der Mann aus Antiochia kam nur bis Böotien in Griechenland. Bis Espoo, dem Konzernsitz von Nokia in Finnland, hat er es nicht geschafft. Bis heute jedenfalls.

So schlug die Eigendynamik des Kapitals auch in deutschen Landen zu: Geschluckt wurden die Standard Elektrik Lorenz AG (SEL), Schaub-Lorenz, Graetz in Bochum und weitere Werke. 2001 sollten 450 Arbeitsplätze „abgebaut“ werden. Allein in Bochum gab es 3.000 Stellen. Am 30. Juni 2008 erfolgte die komplette Schließung bei gleichzeitiger Verlagerung der Produktion nach Cluj (Rumänien). Der rumänische Staat hatte mit Millionenbeträgen „geschmiert“. Drei Jahre später kündigte Nokia die Schließung auch hier an. Der Umsatz der „Heuschrecke“ brach in Deutschland ein. Als nächster Treffer auf der Abschussliste folgte 2012: die Forschungsabteilung in Ulm (700 Arbeitsplätze).

Die Vernichtung von Arbeitsplätzen firmiert bei der Firma aktuell unter dem Begriff „Transformation“, der ähnlich gute Dienste zur Verschleierung von schmerzhaften Einschnitten leistet, wie an anderer Stelle der Terminus „Reform“. Wilhelm Dresselhaus, Country Senior Officer Germany (Sprecher der Geschäftsführung Nokia) geraten Entlassungen so zum Schlüssel für den Fortschritt: „Indem wir den Transformationsplan umsetzen, können wir stärker in Zukunftstechnologien wie z. B. 5G, Cloud, Connected Car und Industrie 4.0 sowie schnelle optische Netze und Netzsicherheit investieren. In Deutschland werden wir weiterhin bedeutende Standorte für die Forschung und Entwicklung dieser Technologien haben und planen, weiter in diese Felder zu investieren. Allerdings ist es zum jetzigen Zeitpunkt zu früh, über konkrete Vorhaben zu sprechen.“

Nicht über „konkrete Vorhaben“ zu sprechen, bedeutet in der Regel, dass Nachteile für die Belegschaft nicht „kommuniziert“ werden sollen. Vielleicht könnte es Aufregung und Protest, Streikformen oder gar Momente von Klassenkampf geben, weil die, die „unten“ sind, plötzlich erkennen, was die, die „oben“ sind, mit ihnen machen wollen: Rauswurf oder Arbeitsplatzabbau oder Transformation. Daraus macht die Presseabteilung den Euphemismus einer „langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit“. Konkret: Bis 2018 werden 1.400 Stellen „abgebaut“. Das ist „gut“, denn der „Abbau“ schafft „globale Synergieeffekte“. 900 Millionen Euro Betriebskosten sollen dadurch eingespart werden. Zum Zahlenspiel säuselt die Presseabteilung: „ ... dass von den 1.400 Positionen, die insgesamt abgebaut werden, 1.022 Stellen bis Ende 2017 wegfallen. Dies ist eine leichte Anpassung im Vergleich zur Ankündigung vom 6. April, als von einem Abbau von 1.250 Stellen in diesem Zeitraum die Rede war.“ Und an dieser Stelle kommt wohl die Gewerkschaft mit ins Spiel, denn Nokia meldet: „Die Anpassung ist das Ergebnis erster Gespräche mit allen beteiligten Parteien.“ Stuttgart (360 Arbeitsplätze) und München (354) trifft es am härtesten.

Aber Düsseldorf muss auch massive Einschnitte hinnehmen. Hier stehen 141 Arbeitsplätze auf der Abschussliste. Begründung: Es gilt im Zuge des Alcatel-Lucent-Geschäfts Synergie-Potenziale zu nutzen.

2015 waren bereits 150 Arbeitsplätze nach Indien, Polen und Portugal verlagert worden. Gleichzeitig beschwichtigt der Konzern: „Deutschland bleibt für Nokia ein strategisch wichtiger Standort und Forschungs- und Entwicklungszentrum für Zukunftstechnologien, etwa für 5G, Cloud, IoT und verwandte Anwendungen wie ‚Connected Car‘ und ‚Industrie 4.0‘. Außerdem wird das Unternehmen weiterhin Lösungen für den optischen Highspeed-Datentransport sowie Sicherheitslösungen entwickeln. Nokia plant verstärkt in diese Bereiche zu investieren.“

Offensichtlich fehlt den Kolleginnen und Kollegen der rechte Glauben an eine Wohltat der Konzernleitung. Voraussetzung für die Investitionen blieben ja die 141 Kündigungen. Und es scheint noch ärger zu kommen. Bei Nokia sollen bis Ende 2017 über 1.000 Stellen abgebaut werden. Die Rheinische Post meldet, die Gewerkschaft habe informiert, dass im Jahr 2018 von 1.200 „Mitarbeitern nur noch rund 230 einen Job bei NSN haben.“ NSN ist die Nokia Solutions Networks. 220 Arbeitsplätze sollen an die Hansaallee umziehen. In Lichtenbroich wäre dann Feierabend. Damit hätte das Unternehmen seit seiner Gründung 2007 dann bundesweit ca. 9.000 Arbeitsplätze abgebaut.

Die IG Metall berichtete im Internet über den Protest der Kolleginnen und Kollegen: „Mit Scream-Masken betonten sie ihre Empörung und das Entsetzen, das den innerlichen Aufschrei gegen die Standortschließung und den massiven Personalabbau symbolisieren sollte. Ein Fernsehteam des WDR, der Hörfunk und die Rheinische Post interviewten die Kolleginnen und Kollegen der Belegschaft, den Betriebsratsvorsitzenden Ulf Schmölders und die Gewerkschaftssekretärin der IG Metall, Ulrike Saaber.“

Boris Weinstein, Gewerkschaftssekretär der IG Metall unterstützte die Demonstration und äußerte sich zu den Plänen des Unternehmens, die Abteilung „Forschung und Entwicklung“ zu verlegen. „Wir verurteilen aufs Schärfste, die Arbeit in Billiglohnländer auszulagern, noch dazu in einer hochprofitablen Geschäftssituation.“ Betriebsratsvorsitzender Ulf Schmölders hofft mindestens auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen um den Interessenausgleich: „Die Abfindung muss stimmen. Die Nachteile durch den Stellenabbau müssen ausgeglichen oder eine Zukunft der betroffenen Personen im Unternehmen geschaffen werden.“

UWE KOOPMANN