Nur prügelnde Fußballfans

Im Juli und August wurde am Amtsgericht Köln gegen fünf Männer verhandelt, die im Juni 2016 zwei Antifaschisten aus Spanien krankenhausreif geprügelt haben – eben weil sie Antifaschisten verprügeln wollten. Das Schöffengericht würdigte die besondere Schwere der Tat, die politische Motivation der Täter fiel aber in der Urteilsbegründung wieder einmal unter den Tisch.

Und das hätte gar nicht sein müssen. Denn Staatsanwalt Ulf Willuhn hatte schon zu Beginn des ersten Verhandlungstages am 29. Juli 2016 mit allerdeutlichsten Worten darauf hingewiesen, was für ihn den Kern der Tat ausmacht: Sie hatte rechtsradikalen Hintergrund und war politisch motiviert. Die Täter hatten rund um den Kölner Hauptbahnhof aus genau dieser Haltung heraus zwei junge Touristen angegriffen. Die Gruppe der Antifaschist*innen war auf einem Stadtspaziergang unterwegs. Auf der Domplatte kamen sie an einem Bauzaun vorbei, den bereits einige Antifa-Sticker verschönerten. Als Gruß an die linke Szene klebten die Spanier ihre Aufkleber dazu. In diesem Moment sprach sie ein Mann an, der ihnen mit einer Gruppe von zusammen 6 Personen entgegengekommen war: „Antifa?“, lautete die Frage. Verdutzt fragte einer der Spanier zurück: „Antifa?“. Vollkommen unvermittelt erfolgte darauf der Angriff – wie aus dem Nichts. Die beiden wurden in Sekunden mit so enormer Brutalität geschlagen, zu Boden geschleudert und mit Schuhen ins Gesicht getreten, dass sogar der Polizeibeamte, der die Angreifer-Gruppe als Zivilstreife schon zuvor wegen ihres provozierenden Auftretens als potentiell gefährlich eingeschätzt und die Einsatzhundertschaft informiert hatte, bei seiner Schilderung des Tatablaufs hörbar aufgewühlt ist. Er hatte gesehen, wie eine Person aus der Gruppe einen der jungen Männer angesprochen hatte. Und nur einen Bruchteil einer Sekunde später „gab’s auf die Zähne“, so der Polizeibeamte am zweiten Verhandlungstag in seiner Zeugenaussage. Viele Angriffe habe er schon gesehen, aber „das war schon wirklich heftig“. So heftig, dass der Polizist, der selbst zuvor von der Tätergruppe als „Opfer taxiert“ worden war, überlegt hatte, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen um den Angriff zu stoppen, wie er dem Gericht berichtete. Dem „Präsenzkonzept“, das die Kölner Polizei seit den Silvester-Ereignissen an Domplatte und Hauptbahnhof fahre, sei es zu verdanken gewesen, dass „Schlimmeres“ verhindert werden konnte, so Staatsanwalt Willuhn. Die Beamt*innen der Hundertschaft standen ja beinahe ‚um die Ecke‘, der Zivi-Polizist konnte sich darauf verlassen, dass die Kollegen*innen in Uniform nur Augenblicke später da sein würden. Nichtsdestotrotz zog er die Dienstwaffe und hielt damit einen der Täter in Schach.

Eine Zeugin, eine Bekannte der beiden Angegriffenen, sprach im Gerichtssaal davon, dass sie nach dem Schock über den so plötzlichen Überfall auch noch von der gezogenen Waffe „zu Tode erschreckt“ worden war. Dennoch sei sie in diesem Augenblick froh gewesen, dass die Polizei so schnell da war. Es ist ihr nicht zu verdenken, gab doch der Beamte im Zeugenstand auf Nachfrage der Nebenklage-Vertretung an, dass er Angst hatte, die Opfer angesichts der gefährlichen Tritte, mit denen die Täter auf sie einwirkten, in Lebensgefahr zu sehen.

Deal oder Urteil?

Am ersten Verhandlungstag, dem 29. Juli 2016, waren vier der fünf angeklagten Täter mit Bewährungsstrafen davongekommen. Sie hatten sich der Anklageschrift jeweils vollumfänglich angeschlossen – und damit ein strafmilderndes Geständnis abgelegt. Dass sie an diesem Tag noch aus der Untersuchungshaft entlassen würden, war ihnen dabei sicher vorher klar. Richter Frank Altpeter hatte zu Beginn des Verhandlungstages andeutungsweise durchblicken lassen, dass der Prozss (und damit auch die andauernde Untersuchungshaft) durch ein reumütiges Schuldeingeständnis der Angeklagten abgekürzt werden könnte. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass dieses Prozedere zuvor Teil einer Absprache gewesen sein könnte. Die zwei Herren im feinen Zwirn, die der Verhandlung im Besucher*innen­bereich des Verhandlungssaales fortlaufend tuschelnd beiwohnten (Spiegel online beschrieb sie als Vertreter des russischen Konsulats) mögen diese Prozessentwicklung aufmerksam verfolgt haben. Ein Schelm, wer ...

Richter Altpeter verurteilte die vier in dieser pragmatischen Weise geständigen Täter zu Haftstrafen. 10 Monate Knast für drei der Täter, der Haupttäter Anton C. bekam 12 Monate. Trotzdem verließen die vier Geständigen noch an diesem Tag den Gerichtssaal als freie Männer. Ihre bürgerlichen Viten, ihre stabile soziale Integration samt Familien und Berufen in der Heimat sowie nicht zuletzt ihre Schuldeingeständnisse sollten als Gründe für die Aussetzung der Strafe zur Bewährung genügen. Nur einer der fünf gefassten Täter hatte sich geweigert, der Anklageschrift zuzustimmen. Seine Verteidigerin, die auch im Gerichtssaal regen und engen Austausch mit den Konsulats-Vertretern pflegte, verlautbarte, dass ihr Mandant sich weder „körperlich noch geistig“ an der Tat beteiligt hatte. Für ihn war der Prozess noch nicht vorbei. Das Gericht beraumte einen zweiten Verhandlungstermin an. Die Geschädigten selbst sowie der Zivi-Polizist sollten gehört werden.

„Kampf um die Wahrheit“

Die Haftentlassung von Timor P. aus Moskau sollte also erst 18 Tage später erfolgen. Im „Kampf um die Wahrheit“ – so die Verteidigerin des Angeklagten zu ihrer Mission – löcherte sie in aggressiver Weise und in herabwürdigendem und zugleich nahezu hysterisch-trotzigem Ton die Zeugen und Zeuginnen, die Richter Altpeter hatte laden lassen. Doch weder der aus Spanien angereiste Betroffene, noch seine Begleiterin und erst recht nicht der Polizeibeamte erwiesen dem verqueren Gerechtigkeitssinn der Verteidigung den gewünschten Dienst. Im Gegenteil. Die Vertreterin der Nebenklage fasste die Beweisaufnahme in einer ihrer Fragen an den Polizisten treffend zusammen: „Alle, die sie festgenommen haben, haben geschlagen und getreten“? – Die Antwort war eindeutig: Ja, alle, zweifellos. Darauf folgte auch für den fünften Angeklagten die Verurteilung. Im Strafmaß wiederholte der Richter das Wochen zuvor gefällte Urteil: Auch Schläger Nummer 5 erhielt eine 10-monatige Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Seine Rechtsanwältin hatte die Verurteilung kommen sehen. Kaum anders lässt sich erklären, warum sie die Stirn besessen hatte, vor Ende der Beweisaufnahme den Zivil-Polizisten im Brustton der Überzeugung eines Fehlverhaltens zu beschuldigen. Denn er hätte es versäumt, einen Warnschuss abzugeben, um die Gewaltstraftat zu verhindern. Und überhaupt sei der Polizeibeamte als Zeuge unglaubwürdig. Wie hätten die mit Anlauf gegen die Köpfe der Opfer geführten Tritte wirklich so massiv sein können, wenn die Geschädigten doch nur eine Jochbeinprellung und eine gebrochene Nase davongetragen hätten? Staatsanwaltschaft, Nebenklage, Gericht und Publikum staunten nicht schlecht über diesen – sagen wir: beherzten, aber zum Fremdschämen angetanen Versuch, die Zeug*innen zu diskreditieren und die Tat herunterzuspielen. Hätte doch ein Schuss auf der Domplatte durchaus das Zeug dazu, eine Massenpanik auszulösen. Und seit wann ist das schier unglaubliche Glück der Betroffenen, nicht als Koma-Patienten auf der Intensivstation zu landen, ein Beweis dafür, dass der Überfall sich nicht so zugetragen haben könne, wie ein geschulter Polizeibeamter ihn schildert? Ein bunter Strauß kühner Gedanken also, den Rechtsanwältin Lena Retschkemann aus Köln im Gerichtssaal zur Vorstellung brachte. Umso hilfloser wirkte am Ende auch ihre abschließende Gegenattacke. Als sie in einem letzten Aufgebot absurder Argumente ihrer Hoffnung Ausdruck verlieh, das Gericht möge so urteilen, dass ihr Mandant zuhause in der russischen Heimat nicht von der „Willkür-Justiz“ an deutschen Gerichten sprechen müsse, raunte es sogar auf den Presseplätzen. Das Publikum – an diesem zweiten Prozesstag waren die meisten der Zuschauer*innen-Plätze mit Unterstützerinnen und Unterstützern der angegriffenen Antifaschist*innen besetzt (Danke!) – stöhnte ohnehin nicht zum ersten Mal vor Empörung auf.

Retschkemanns großer Zirkus wird aber am Ende ohnehin in erster Linie für die Ohren der Konsulatsvertreter gedacht gewesen sein. Als erfolgversprechende Verteidigungsstrategie dürften sich derartige Tiraden kaum jemals bewährt haben, wie die Strafverteidigerin, die auch Serientäter aus dem Drogen-, Zuhälter- und Menschenhandel-Milieu vertritt, eigentlich wissen müsste.

Lustige Jungs

Die Nähe zu dieser oder ähnlicher Kundschaft spielte auf der Verteidiger*innen-Seite während des ganzen Prozesses ohnehin eine nicht zu übersehende Rolle. Strafverteidiger Claus Eßer machte am ersten Prozesstag kein Geheimnis daraus, dass er mit den drei Sympathisanten der Angeklagten, die am 29. Juli feixend zur Unterstützung der Schläger-Freunde dem Prozess die Ehre erwiesen, per Du ist. Schenkelklopfend parierte ein ‚Witzchen‘ das nächste. Dass einer dieser ‚Zuschauer‘, dem seine Gewaltaffinität und aggressive Dummheit mehr als nur aus allen Poren drang, so früh am morgen schon zur Unterstützung der Angeklagten da sei, wie toll! Und das, obwohl er doch gestern erst als Security-Mitarbeiter bei nächtlichen Abschiebungen von Geflüchteten dabei war – ein ganzer Kerl. Strafverteidiger Eßer, der sich selbst gerne reden hört und das Bad in der lüsternen Medien-Meute genießt, passte gut in dieses Kabinett der Obszönitäten. Schließlich mag er ‚Fälle‘, in denen er Zuhälter oder Vergewaltiger und Mörder vertreten kann, am allerliebsten. In Düsseldorf verteidigte Eßer etwa den Polizeibeamten, dem vorgeworfen wurde, in der Polizeiwache am Oberbilker Markt einen Mann vergewaltigt zu haben. Das Landgericht hatte den Beschuldigten im August 2014 freigesprochen, da ihm nicht nachzuweisen gewesen sei, dass er die sexuellen Handlungen erzwungen habe.

In Köln hatten nun aber auch die Presse­vertreter*innen am ersten Prozesstag am Amtsgericht Spaß. Ob die Angeklagten wohl mit „Gulag“ bestraft würden, wo sie tagein tagaus schlechten Wodka trinken müssten? Die ein Dutzend Fotograf*innen und mehreren Kamera­teams, die die Täter vor die Linsen bekommen wollten, geierten auf die Pole Position vor der Anklagebank.

Dies alles wäre nicht der Rede wert – jede Zeile über das Schmierentheater eine Aufwertung der Schausteller in diesem miesen Stück! –, ginge es nicht um die Beurteilung einer Straftat, die alles andere als lustig und erst recht nicht burlesk ist. Staatsanwalt Willuhn brachte es bereits zu Beginn des Prozesses auf den Punkt: „Was“, fragte er stellvertretend in Richtung der scharenweise anwesenden Medienvertreter*innen, „ist so interessant an der Tat?“. Fußball, Gewalt und Männerphantasien? Der Reiz, über Ausschreitungen von Fußball-Fans zu schreiben, da dies doch die „Kernthemen guten Entertainments“ seien? Am eigentlichen Wesen der Tat ginge dieser Aufmerksamkeits-Hype aber vollständig vorbei, so Willuhn. Der eigentliche Hintergrund des Verfahrens bleibe in der Öffentlichkeit nahezu ohne Widerhall: dass es eine rechtsradikal motivierte Tat war, die verabredet und in brutalstem Vorgehen durchgeführt wurde, menschenverachtend und aus ideologischem Antrieb, dem vermeintlichen politischen Gegner in kürzester Zeit erheblichen Schaden zuzufügen. Auch wenn die Stimmung im Gerichtssaal launig sei – es bestünde keinerlei Anlass, „die Tat kleinzureden“, sagte Willuhn nach Verlesung der Angeklageschrift. Ihm war sein Ärger über die Atmosphäre im Gerichtssaal anzumerken.

Nur Sandkasten

Sein Unbehagen sollte sich am Ende bestätigt finden. Denn das Gericht ließ die politischen Dimensionen der Tat, die die Staatsanwaltschaft so bemerkenswert klar herausgearbeitet hatte, vollkommen unbeachtet. Noch am zweiten Verhandlungstag äußerte Richter Altpeter, dass es ihn schon am ersten Prozess-Termin „geärgert“ habe, dass die Anklage so auf der politischen Motivation und der vorgeblich rechten Gesinnung herumgeritten habe. Für ihn, so Altpeter, seien weder die Zughörigkeit der Täter zu einer Hooligan-Gruppe noch deren rechtsradikale Einstellung erwiesen. Der bei einem der Täter nach der Verhaftung aufgefundene Schlüsselanhänger in Form des unter Neonazis beliebten Symbols der Wolfsangel spielte für seine dermaßen eng geführte Beweiswürdigung dabei offenkundig eine ebenso unbedeutende Rolle wie die Bild-Dateien rechtsradikalen Inhalts, die auf einigen der Mobiltelefone der Täter sichergestellt worden waren. Weder die Wolfsrune noch die Handy-Bilder schafften es, im Prozess-Geschehen zur Kenntnis der Öffentlichkeit zu gelangen. Sie blieben offenkundig unbeachtet in der Ermittlungsakte liegen (siehe Spiegel online: „Russische Hooligans in Köln: Verkannte Dimension“, 29.07.2016).

Ein Angriff auf Antifaschist*innen, der für zwei der Betroffenen mit etwas weniger Glück und – zugegeben – ohne das schnelle Eingreifen der Polizei rasch zur Bedrohung ihres Lebens hätte werden können, ist also wieder einmal als Gewalt unter Männern beurteilt worden. Als Maßstab eines moralischen Urteils diente eine Sandkasten-Idylle die in diesem und anderen Fällen nur schwer nicht als Hohn verstanden werden kann. „Sechs gegen einen, das ist feige. Das lernt man schon in der Schule“, so Richter Altpeter in seiner Urteilsbegründung. Sich dermaßen „auszutoben“, das ginge nun wirklich nicht. Die Motive, die die Täter dazu gebracht hatten „sich auszutoben“, interessierten das Gericht dabei nicht. Warum auch?

Mit seiner Entscheidung folgt das Gericht einer größeren Linie: Rechte Gewalt zu entpolitisieren, wo es nur geht. Und mit der ‚richtigen‘ Perspektive auf die Beweise geht das immer. Wo dazu noch das russische Konsulat, das bittere Grotesken-Theater auf der Verteidiger*innen-Seite und eine Meute hungriger Journalist*innen eine Rolle spielen, wird es mit der Bewertung einer rechtsradikalen Straftat als rechtsradikale Straftat dann auch nicht unbedingt einfacher. So kann es am Ende nur darum gehen, diese und andere zu erwartende Gerichtsurteile, die dermaßen unverblümt die politischen Dimensionen rechter Gewalt unter den Tisch kehren, kritisch zu begleiten. Es gilt: Aufmerksam sein – lieber wütend, als traurig. Denn gemeint sind wir alle.

Und den Freunden in Spanien: Gute Besserung – Antifa international!