V-Leute brauchen keinen Grabstein

Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum sog. „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) ist in den vergangenen Wochen an der Oberfläche nicht viel passiert.

Die letzte öffentliche Zeug*innenbefragung fand am 28. Oktober 2016 statt. Geladen war – zum zweiten Mal – Franziska Dinchen Büddfeld, ihres Zeichens Abteilungsleiterin im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Büddefeld hatte bei ihrer letzten Ladung durch den PUA nicht ausgesagt, da ihr Dienstvorgesetzter, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, keine Aussagegenehmigung erteilt hatte. Aber der Ausschuss wollte sie hören und übte gemeinsam mit dem Bundestagsuntersuchungssausschuss Druck auf das BfV aus. So konnte Büddefeld Ende Oktober nun doch gehört werden – zum eng abgesteckten Themenfeld des BfV-Vorgehens nach dem Tod seines V-Mannes Thomas Richter alias „Corelli“ siehe (TERZ 07/08.16).

Die Ausschussmitglieder wollten von Büddefeld wissen, unter welchen Umständen und mit welchem Durchsetzungsvermögen das Bundesamt für Verfassungsschutz nach dem Tod des V-Mannes im April 2014 versucht hatte, seine Arbeit mit V-Personen zu verbergen. Büddefeld war nämlich maßgebliche Teilnehmerin eines Treffens von BfV, Oberstaatsanwaltschaft und Vertreter*innen der Mordkommission, die nach dem Auffinden „Corellis“ in dessen Paderborner Wohnung eingesetzt worden war. Damals war noch nicht klar, ob der V-Mann, der unter dem Decknamen „Thomas Dellig“ im Schutzprogramm des Bundesamtes in Ostwestfalen lebte, eines natürlichen Todes gestorben war. Darum ging es der Verfassungsschützerin aber nicht.

Vor dem PUA berichtete sie, die ihre Aussage teilweise vom Blatt ablas, dass sich der Kreis aus Verfassungsschutz, Oberstaatsanwaltschaft und Polizei damals bei dem Treffen in Bielefeld auf ‚sanfte‘ Anregung des BfV darauf geeinigt habe, den toten V-Mann nicht unter seinem echten Namen zu bestatten. Der Schutz des Schutzprogrammes (unglaublich!) sei so wichtig, dass nicht riskiert werden konnte, mit der Beerdigung des Neonazis und Spitzels Thomas Richter unter seinem echten Namen die Arbeitsweise des BfV zu gefährden. Das BfV nahm, ebenso wie die anderen Akteur*innen von Judikative und Exekutive, dafür selbstgefällig in Kauf, dass die Familie von Richter nie vom Tod ihres Bruders erfahren würde. Thomas Richter hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Brüder als nächste Verwandtschaft. Von diesen Brüdern wusste Büddefeld damals, wie sie aussagte. Damit sollten durch die Beerdigung unter falschem Namen auch alle Erbschaftsansprüche unter der Erde verschwinden. Auf Rückfrage der Grünen-Fraktion widersprach Büddefeld auch nicht der Feststellung, dass wohl auch den Meldebehörden niemals mitgeteilt worden wäre, dass Thomas Richter nicht mehr lebe. Gestorben wäre „Thomas Dellig“. Die V-Person „Corelli“ würde es – welch wunderbare Win-Win-Situation – ab diesem Moment nie gegeben haben.

Auf den Einwurf, wie dieses Vorgehen denn mit der Wahrung der Persönlichkeitsrechte ihres ehemaligen Spitzels zu vereinbaren sei, ließ sich Büddefeld zu der Bemerkung hinreißen, dass Richter ja gewusst habe, worauf er sich einlasse, als er zum Verfassungsschutz kam, um für diesen gegen Bezahlung Auskünfte aus der eigenen Szene zu geben.

Über die Lebenszusammenhänge, unter denen Richter zuletzt im Schutzprogramm gelebt hatte, wollte die Verfassungsschützerin indes nichts aussagen. Ebensowenig wie darüber, warum der V-Mann-Führer Richters seine Quelle – obwohl angeblich schon seit Jahren abgeschaltet – noch in den letzten Tagen seines Lebens mehrfach telefonisch zu erreichen versucht hatte. Das, so Büddefeld, sei nicht von ihrer Aussagegenehmigung gedeckt. Sven Wolf (SPD) wies in seiner Rolle als Ausschussvorsitzender darauf hin, dass der NRW-Untersuchungsausschuss dem Untersuchungssausschuss über das Schweigen der Zeugin zu diesen Punkten in Kenntnis setzen werde. In Berlin, wenn Büddefeld als Zeugin im Bundestagsuntersuchungsausschuss geladen werde, hätten die Parlamentarier*innen sicher Gelegenheit, die Verfassungsschützerin eben hierzu zu befragen.

Mit diesen zusammenfassenden Worten zeigte Wolf der Verfassungsschützerin durchaus das Besteck, über das ein parlamentarisch eingesetztes Gremium verfügen könnte, um Informationen auch von den Geheimdiensten zu bekommen. Im Moment wirkte der Ausschussvorsitzende in seiner Bissigkeit auch durchaus glaubwürdig. Abnehmen können wir ihm seinen Aufklärungswillen allerdings nicht ohne Zweifel. Ist er sich doch nicht zu schade, seine kostbare Lebenszeit auch dort einzubringen, wo sich eine sogenannte Zivilgesellschaft des Themas „Verfassungsschutz“ in irritierender Weise annimmt. So war Wolf am 17.11.2016 beim „Runden Tisch für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ der Friedrich-Ebert-Stiftung Podiumsgast. Gemeinsam mit dem selbsternannten Verfassungsschutz-Kenner Thomas Grumke von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW sprach er unter dem Motto „Der Verfassungsschutz – Gegenwart und Perspektiven“ über Grumkes These, dass der Verfassungsschutz personell und materiell reformiert und so „zukunftsfähig“ gemacht werden müsse, wie es in der Einladung zu dem nicht öffentlichen „Fachgesprächskreis“ hieß. Im Klartext meint dies: Der Verfassungsschutz gehört nicht abgeschafft, sondern in seinem Mitarbeiter*innen-Stab und in seinen Ressourcen aufgestockt.

Wie Wolf diesen Diskussionsansatz mit einer fundamentalen Kritik des Verfassungsschutzes und mit dem – sagen wir: nicht immer harmonischen Verhältnis von PUA und Verfassungsschutz in Einklang bringen will, wird sein Geheimnis bleiben. Dass wir ihn in seiner ostentativ bezeugten Empörung über das Mauern des Verfassungsschutzes im PUA nicht mehr ernst nehmen, muss er sich gefallen lassen. Wenn er meint, er müsse das Kreuz gerade machen, muss er das auch durchziehen. Ein bisschen Aufklärung geht eben nicht.

Zur Befragung von Franziska Dinchen Büddefeld hat NSU-Watch NRW eine lesenswerte Zusammenfassung veröffentlicht. Diese findet Ihr unter http://nrw.nsu-watch.info/

Über die nächsten anstehenden Sitzungstermine zum NRW-PUA zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ gibt es noch keine näheren Auskünfte. Aktuelle Infos zu den noch ausstehenden Terminen veröffentlicht NSU-Watch NRW sobald klar ist, wann die nächste Sitzung stattfindet.
Wir erwarten außerdem, dass der Ausschuss noch in diesem Jahr den Tatkomplex „Wehrhahn-Anschlag“ behandelt. Falls er dies nicht tut, wird es knapp mit der Zeit!

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