Wir sind Rechtsstaat

Im Herbst 2019 überrascht das Bundesministerium der Justiz mit einer Poster- und Web-Kampagne. Unter dem Titel „Wir sind Rechtsstaat“ klärt das Ministerium über die Arbeit der Justiz auf – und wählt ein Poster-Motiv, dass Klabaster im linken Herz und Ausgelassenheits-Eruptionen im zentralen Sarkasmusradix verursachen kann.

Wer als Monatszeitung 300 Print-Ausgaben auf dem Buckel hat, hat ein großes Archiv an aktuelleren, älteren und uralt-Artikeln in den Gedächtnisschubladen. Die Elefant*innen-Köpfe der TERZ-Redaktion vergessen auch ohne Suchmaschinen-Unterstützung nur äußerst selten, was sie sich vor vielen oder wenigen Jahren oder Monaten mal ausgedacht und hingeschrieben haben.Manches davon würde die TERZ dabei durchaus nur allzu gerne vergessen, weil Fiesigkeit und Wutfaktor diverser Themen nicht immer gut für die Psycho-Hygiene der sensiblen Seelen der Schreib- und Layout-Kollektivist*innen sind.

Manchmal kommen Aufreger aber immer wieder, tauchen aus dem Nichts auf, als wären sie nie weg gewesen. Wie ein Schluckauf oder ein übles Sodbrennen nach zu viel Pommes Majo. Anderes ist und bleibt Dauerbrenner auf der Ekelskala, wiederholt sich dauernd oder bleibt fortlaufend auf der Agenda des Kritik- und Berichtenswerten.

Eines dieser Wut-Themen, die wie Scheiße am Schuh hinter uns her müffeln, betrifft sicher alles, was mit der Düsseldorfer Justiz und ihren mal mehr mal weniger lumpigen Anwürfen gegen linke Protestkultur und gegen Zivilcourage zu tun hat. Gegen Menschen, die sich gegen Neonazis, Rechtsaußen-Akteur*innen, AfD und Co. stark machen. Gegen Leute, die sich für die Grundrechte von Marginalisierten einsetzen oder die sich gegen jede menschenrechtsverachtende rassistische, klassistische oder grundsätzlich herabwürdigende Praxis von Organen der Sicherheits- und Ordnungsbehörden in Düsseldorf zur Wehr setzen. Für sich selbst oder in Solidarität mit den Betroffenen etwa von rassistischen Polizeikontrollen oder repressiv-diskriminierendem Verhalten des städtischen Sicherheits- bzw. „Ordnungs- und Servicedienstes“ OSD.

Stolz und Vorurteil

Allein in 2017 und 2018 sorgte das Amtsgericht Düsseldorf hier für gleich mehrere „Lowlights“ auf der nach unten offenen Richter-Skala. So versuchte das Gericht mit Sitz in Oberbilk etwa im August 2017, zwei Aktivisten von „Düsseldorf stellt sich quer“ zu einer Geldstrafe von zusammen 8.800 Euro zu verurteilen. Amtsrichterin Silke Boriss sah es damals als erwiesen an, dass die Angeklagten bei einer Protestaktion gegen eine Kundgebung der extrem rechten Republikaner zu Gewalt gegen Polizeibeamt*innen, zu Landfriedensbruch und zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz aufgerufen hätten. Zivi-Cops, die in der Menge der linken Protestierenden auf Schnüffeltour waren, hatten angegeben, dass die beiden einem planmäßig agierenden linksextremen Mob vom Feldherrnhügel der militanten Antifa-GmbH herab Anweisungen zum Durchbrechen einer Polizeikette gegeben hätten. In der Anklageschrift der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft las sich die Tatbeschreibung so, als hätten die Angeklagten mit einem Fingerzeig halb Düsseldorf in Schutt und Asche legen wollen.

Gegen das Urteil in erster Instanz, ausgesprochen von Richterin Boriss, legten die Beschuldigten Berufung beim Landgericht ein. Im März 2018 endete die zweite Hauptverhandlung in höherer Instanz dann allerdings mit Einstellung der Strafverfahren. Richterin Kerstin Vaupel, die für das Landgericht die Einstellung verfügte, machte in ihrer Begründung klar, dass mehr als fraglich sei, ob die Vorwürfe nachweisbar seien. Das Landgericht klatschte damit dem Amtsgericht und seiner Richterin Silke Boriss ihr vorhergegangenes Verfahren derart waschlappig-nasskalt um die Ohren, das jede*r Berufsrichter*in mit Selbstachtung im Hintern wohl erst mal eine kontemplative Auszeit mit Töfperkurs unter Fremden, irgendwas mit Meeresbrise, Alpenblick oder reizarmer Kost genommen hätte. Nicht so jedoch Silke Boriss. Kraftvoll motiviert von dem Gedanken, mit der Stahlbürste gegen linke „Störer“ der Düsseldorfer Stadtgesellschaft vorzugehen, setzte sie unbeirrt ihre Urteilsfindungspraxis fort.

Ebenfalls im Frühjahr 2018 versuchte sie, eine Einzelperson mit einem Bußgeld in Höhe von 1.500 Euro zu belegen. Angeblich habe der Beschuldigte gegen das Versammlungsgesetz verstoßen, als er sich spontan aufmachte – alleine und mit einem selbstgepinselten Pappschild im Gepäck – im April 2017 vor dem „Maxhaus“ in der Altstadt gegen die AfD Position zu beziehen, die in dem Veranstaltungs- und Zentrumshaus der katholischen Kirche zu einer Podiumsveranstaltung eingeladen worden war.

Vergeblich versuchte Richterin Boriss nun, Prozesstermine ohne die Ladung von Zeuginnen und Zeugen durchzuziehen. Setzte sie doch vermutlich damit bewusst auf die Wirkung einer Drohkulisse, die manche*n Aktivist*in vielleicht eingeschüchtert hätte.

Nicht jedoch den Beschuldigten, der von Beginn an deutlich machte, dass dem Vorwurf gegen ihn jegliche Substanz fehlte. Darum lehnte er eine Einstellung des Verfahrens unter der Auflage einer Zahlung von 600 Euro aus allerbesten Gründen konsequent ab. Inzwischen aber hatte auch dieses neuerlich absurde Strafverfahren zur Einschüchterung zivilcouragierter Protestkultur so viel mediale Aufmerksamkeit gewonnen, dass Silke Boriss mit ihrer bizarren Perspektive auf die Dehnungsfugen des Rechtsstaates kaum ein zweites Mal hätte kentern können, ohne dass es ihr erneut peinliche Augenblicke im Rampenlicht mindestens der regionalen Presse beschert hätte. Also ließ die Staatsanwaltschaft den Vorwurf gegen den Aktivisten lieber fallen. Formal war das Verfahren damit eingestellt.

4 x Bauchlandung bitte, mit Sahne!

In beiden Hauptverhandlungen wie auch anlässlich eines weiteren Prozesses gegen einen Aktivisten von „Düsseldorf stellt sich quer“ (Einstellung nach Neubewertung durch die Staatsanwaltschaft, welch Überraschung!) zeigte Boriss, dass sie für politische Prozesse gegen linke und zivilcouragierte Menschen mit Vorliebe das ganz große Besteck herausholt. Jedes Mal ließ sie zusätzlich zu den grundsätzlichen Zugangskontrollen am Gebäudeeingang des Amts- und Landgerichts Düsseldorf eine weitere Sicherheitsschleuse einrichten. Besucher*innen der Hauptverhandlungen, die immer in großer Zahl erschienen waren, um die Beschuldigten solidarisch zu unterstützen, mussten es erdulden, dass ihre Ausweise kopiert wurden. Die Angeklagten im „Aufwiegelungs“-Prozess saßen im Verhandlungssaal sogar hinter Sicherheitsglas. Wo Boriss mit ihrer Inszenierung von „linksextremer Gewalt“ als Bedrohungsszenario peinlich dick auftrug und sich ohne Zweifel selbst ins Lächerliche stellte, gelang ihr mit den Identitätsfeststellungen der Besucher*innen aber natürlich ein ordentlicher Beifang.

Wie wenig doch sich solidarische Strukturen in der Stadt einschüchtern lassen, veranschaulichte allerdings Boriss‘ vorläufig letzter Versuch, für Law & Order zu sorgen, im Frühling 2019. Wieder begleiteten zahlreiche Menschen den Angeklagten zur Hauptverhandlung. Diesmal ging es um den Vorwurf, ein Mitarbeiter der Wohnungslosen-Initiative fiftyfifty habe eine Angestellte des Düsseldorfer Ordnungs- und Servicedienstes OSD verletzt. Der Streetworker hatte am 8. November 2018 die Ordnungskräfte angesprochen, als er während seines Routine-Rundgangs durch die Altstadt beobachtet hatte, dass diese einen Wohnungslosen bedrängten, ihn in Überschreitung ihrer Befugnisse filzten und gerade zur Beschlagnahmung seines Eigentums schreiten wollten.

Fünf Monate später hatte Boriss den Beschuldigten im März 2019 zu einem gleich auf mehrere Tage angesetzten Prozess geladen. Es sollte allerdings bei nur einem Termin bleiben. Denn nach dem ersten Verhandlungstag, der wegen des großen Unterstützer*innen-Kreises und der erneut vollkommenen überzogenen Hochsicherheits-Choreographie am Saaleingang erst eine knappe Stunde später als geplant beginnen konnte, ließ das Gericht den zweiten Prozesstag abblasen. Denn die Zeug*innen des OSD hatten sich massiv widersprochen. Eine der Aussagen hatte dabei sogar den Anschein einer Falschaussage erweckt. Das Verfahren wurde eingestellt.

Willkür und Gerechtigkeit

Wer sich, wie Silke Boriss, gleich mehrfach darum bemüht, lange im Schmerzgedächtnis einer Zeitung wie der TERZ einen festen Platz einzunehmen, wird damit rechnen müssen, auch in absurden Situationen wiedererkannt zu werden. Das kann großartig-absurde Blüten tragen, die wir Elefantinnen und Elefanten von der Redaktion unseren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten möchten. Als kleines Weihnachtsgeschenk des Galgenhumors für unsere liebe linke Szene und für alle, die die Justiz-Posse der letzten Jahre verfolgt haben. In Zeiten, in denen die autoritäre Formierung des Staates fröhliche Urständ feiert, macht überlautes Lachen vielleicht hier oder dort auch einmal das Herzchen frei.

Denn: Anstatt nun eine Weile für weniger Aufmerksamkeit für die eigene Person zu sorgen oder für einen kurzen Moment die ohnehin angeschlagene Nase aus dem Rampenlicht zu nehmen, überrascht Silke Boriss die TERZ-Redaktion, die die Gerichtsverfahren der vergangenen Jahre emsig verfolgt, dokumentiert und kommentiert hat, nun mit einer erstaunlich glatten Stirn: Strahlt sie doch – souverän, kühl, zauberhaft – bundesweit von Plakatwänden, die uns vor allem an Bahnhofs-Gleis-Brachen oder im Schatten schmutziger Unterführungen all überall entgegenprangen. Silke Boriss ist das Poster-Gesicht der Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“, die das Bundesministerium für Justiz seit einigen Wochen analog in der ganzen Republik sowie im weltweiten Netz lanciert, um das Image des „Rechtsstaates“ als Hüter von Wahrhaftigkeit, Sicherheit und Gerechtigkeit aufzupolieren.

Wer also mit leicht glasigem Blick etwa an einem grauen Novembertag in der Berliner Ringbahn an der „Frankfurter Allee“ vorbeigleitet und dabei die Hauptstadt-gemäße Übernächtigung mit dem To Go-Kaffee im nachhaltigen Thermosbecher zu verscheuchen sucht, wird sich das Heißgetränk über die Hose gießen vor Schreck. So prustete es auch aus der TERZ-Autorin heraus, lauthals gurgelnd: „Autsch!“

Da ist sie! Die Justitia von Düsseldorf. Ihr Motto: „Wir schützen vor Willkür und schwören auf Gerechtigkeit“. Im Kleingedruckten, das sich freilich erst nach dem Schock-Erlebnis online lesen lässt, heißt es weiter: „Der Rechtsstaat ist das Rückgrat unserer Demokratie. Gerichte entscheiden allein nach Recht und Gesetz. Ihre Urteile und Beschlüsse sind verbindlich und werden durchgesetzt. Das schafft Rechtssicherheit. So halten wir als Gesellschaft zusammen.“

Ob das Justizministerium vom „Erfolg“ ihres Poster-Gesichts aus Düsseldorf gerade in Sachen Willkür und Gerechtigkeit weiß? Ausgerechnet als role model für die unverbrüchlichen Werte der Rechtssicherheit demokratisch verfasster Gesellschaften wird die Düsseldorfer Amtsrichterin wohl eine der denkbar schlechtesten Figuren abgeben. Aber Humor hat sie. Ein anderes Urteil ist kaum möglich.