KANADA – Gastland der Frankfurter Buchmesse 2021

/*Oh Canada-ha (Joni Mitchell)*/

Zu den unstrittigen Verdiensten der Frankfurter Buchmesse gehört die jahrzehntelange Praxis des „Gastland-Auftritts“. Hier werden oft weitgehend verborgene nationale Literaturen oft kleiner Länder ins Licht einer größeren Öffentlichkeit gerückt, manchmal und hoffentlich mit nachhaltigem Erfolg.

Ein kleines Land mit einer kleinen Literatur ist Kanada sicher nicht, aber getz ma ährlich: wer kann kanadische Autor*innen immer von denen des großen Nachbarn unterscheiden? Viele Schriftsteller*innen, die in Europa als amerikanisch gelten, sind in Wahrheit aus Kanada. Autor*innen wie Margaret Atwood, Michael Ondaatje oder Alice Munro sind mitnichten der US-Literatur zuzuordnen.

Nun also: Auftritt Kanada auf der Frankfurter Buchmesse vom 20. bis 24. Oktober 2021, die unglaubliche literarische Vielfalt eines riesigen Landes, das nicht nur zweisprachig (englisch/französisch), sondern vielsprachig ist: neben mehr als 70 indigenen Sprachen sind die im Lande nach Englisch meist verwandten Sprachen Mandarin, Kantonesisch und Pundjabi.

Ein Land der mannigfaltigen Zuwanderung also, eine Literatur mit vielen Identitäten, von den Inuit im Norden, den First Nations im Westen, dem Schmelztiegel Ontario über das französischsprachige Québec bis hin zu Newfoundland und den anderen Atlantikprovinzen.

Literatur als Schaufenster in die Welt: auch wer niemals dieses ferne weite Land bereisen wird, kann jetzt und hier diese Reise im Kopf machen. BiBaBuZe stellt in kurzer Form einige repräsentativ erscheinende neue Veröffentlichungen zeitgenössischer Autor*innen vor. Gute Reise!

Lisa Moore: Fremde Hochzeit Erzählungen, Carl Hanser Verlag. Lisa Moores Erzählungen handeln nur auf den ersten Blick von Alltäglichkeiten: Mit ihrem untrüglichen Gespür für die Tiefe, die in vermeintlich belanglosen Augenblicken steckt, stößt die große kanadische Erzählerin in das Geheimnisvolle menschlicher Beziehungen vor. Präzise und scheinbar beiläufig wie Alice Munro bringt sie „das zu Papier, was im Leben wichtig ist“ (Richard Ford).

Tanya Tagaq: Eisfuchs Verlag Antje Kunstmann. Ein Städtchen am Rande des Eismeers im Norden Kanadas. Eine Kindheit, geprägt von der übermächtigen Natur und einem sich auflösenden Zusammenhalt. Ein mutiges Mädchen, das die alten Mythen entdeckt und erwachsen wird. Tanya Tagaq erzählt poetisch, sinnlich, mit großer Kraft.

Kim Thúy: Großer Bruder, kleine Schwester Verlag Antje Kunstmann. Wohin gehört man, wenn man nicht weiß, woher man kommt? Kim Thúy erzählt so zärtlich wie erschütternd vom Schicksal der Kriegskinder aus Vietnam, die, weil sie einen französischen oder amerikanischen Vater hatten, in für sie fremde Länder gebracht wurden.

Miriam Toews: Kleinstadtknatsch Hoffmann und Campe Verlag. Mit 1500 Einwohner*innen trägt Algren einen Ehrentitel: kleinste Kleinstadt Kanadas. Ein*e Einwohner*in mehr, und es wäre nur noch irgendeine Kleinstadt, eine*r weniger und es wäre ein Dorf. Als der Premierminister ankündigt, dem Ort persönlich die Ehre zu geben, beginnen Monate aberwitziger Rechnerei.

Waubgeshig Rice: Mond des verharschten Schnees Verlag Klaus Wagenbach. In diesem postapokalyptischen schwelenden Thriller kämpft eine kleine Gemeinde im Norden von Anishinaabe nach einem Stromausfall ums Überleben. Als die Lebensmittelvorräte schwinden, kommt Panik auf.

Ahmad Danny Ramadan: Wäscheleinen- Schaukel Orlanda Verlag. Die Protagonisten dieses innovativen poetischen Erstlingsromans sind zwei homosexuelle Männer, die beide in der Erinnerung an ein untergehendes Syrien verankert sind. Es ist eine Geschichte über Krieg, Trauma, Verlust und Liebe, inspiriert durch die Erfahrungen syrischer Flüchtlinge.

Richard Wagamese: Der gefrorene Himmel Blessing Verlag. Der Roman über das Schicksal eines kleinen Jungen, in dem die Geschichte eines ganzen Landes widerhallt. Saul wächst in einem staatlichen Heim auf - wie so viele Kinder indigener Herkunft. Dem Zwang und der Kälte kann Saul entfliehen, wenn er auf Schlittschuhen über das Eishockeyfeld fliegt. Sein magisches Talent öffnet ihm einen Weg in die Freiheit.

Ron Corbett: Preisgegeben Polar Verlag. Corbett führt in eine grausige, klaustrophobische Welt. Es werden harte Leben in einem rauen Land offenbart – insbesondere die der Ureinwohner*innen des Nordens – nebst schrecklichen Geheimnissen sowie der Verzweiflung, die sich einstellt, wenn Arbeitsplätze verschwinden. Corbett kennt den Norden, seine Menschen und die Schönheit seiner Natur.

Eric Plamondon: Taqawan Lenos Verlag. Die Handlung beginnt in der Gaspésie am 11. Juni 1981. 300 Québecer Sicherheitspolizisten stürmen das Reservat Restigouche, um die Fischernetze der Mig’maq zu beschlagnahmen, und lösen damit einen Aufstand und eine weitreichende Krise aus. „Taqawan“ wird gespeist aus Legenden und wahren Begebenheiten eines jahrtausendealten Volkes, das seiner Rechte beraubt wurde.

Dany Laferrière: Granate oder Granatapfel, was hat der Schwarze in der Hand? Verlag Das Wunderhorn. Ein junger schwarzer Schriftsteller, der gerade seinen ersten Romanerfolg hinter sich hat, erhält von einem bekannten Magazin an der Ostküste den Auftrag, eine große Reportage über Nordamerika zu schreiben. Ein Roadtrip nach dem Vorbild von Jack Kerouac. Dany Laferrière taucht in die Tabus und Rassenfantasien seines Gastlandes ein, durchleuchtet die amerikanische Gesellschaft mit all ihren Kontrasten.