Beuys – Schwamm drüber!

Am 14. November endete im Museum Morsbroich die Ausstellung „Das Ensemble schreibt das Stück“. Zur Finissage inszenierte das „Junge Theater Leverkusen“ die gemeinsam mit dem „Klub M“, dem Kunstklub für Jugendliche im Museum, entwickelte Performance „Schwamm drüber“ zum vierten Mal.

Dem abgedroschenen „Jeder Mensch ist ein Künstler“ setzte Schloss Morsbroich ein frisches „Jeder Mensch ist ein*e Kurator*in“ entgegen. Alle im Haus Tätigen – angefangen von der Technik über Verwaltung, Aufsichtsdienst bis hin zu den Direktor*innen sowie den ehrenamtlich Arbeitenden – sollten aus dem Magazin maximal sechs Werke auswählen, die jeweils in einem der Räume präsentiert wurden. Im Depot des Hauses, das 1951 als erstes Museum für Gegenwartskunst nach dem Krieg gegründet wurde, lagern ca. 5.000 Exponate. „Wir verstehen das Museum nicht als ein Lager toter Dinge, sondern als einen Ort des Austauschs, von dem aus Neuerzählungen beginnen können“, wird in einer Pressemitteilung betont. Das i-Tüpfelchen war die Performance „Schwamm drüber“, welche die Räume über alle drei Etagen bespielte.

Roboterstraße

„Die menschliche Roboterstraße setzt sich in Gang. Die Erste greift einen Mini-Schokoriegel und reicht ihn mit mechanischen Bewegungen weiter, die Nächste öffnet das Papier, die Dritte übernimmt und wickelt es aus, der Inhalt wird Jana überreicht, die ihn in den Mund steckt und genießt. Sie hat definitiv den besten Platz in dieser Schokoladenmaschine.“ Sichtlich beeindruckt berichtete dies Monika Klein in der Rheinischen Post. Die Jugendlichen hatten die Roboterstraße eigens für den vom stellvertretenden Direktor gestalteten Raum entwickelt. Sie endete vor einer kleinen Collage mit einem echten Stück Schokolade, die seit Jahren hinter Glas vor sich hin gammelt. Damit dies nicht wieder passiert, war Jana als Endabnehmerin da. In einem Post verrät der stellvertretende Direktor, er habe versucht „eine kleine Geschichte blauer Bilder zu erzählen – ein großer Schwenk über die blaue Stunde bis zum Ozeanischen der Meerjungfrau.“ Ohne Erläuterung erschloss sich der Zusammenhang der Werke jedoch nicht – ein Symptom für die Diskursdominanz des heutigen Kunstbetriebs? Als Devise war vorgegeben: „Die Auswahl erfolgt nach dem reinen Lustprinzip.“ Doch ein Direktor oder stellvertretender Direktor kann es sich schlecht erlauben, „die Werte“ – einen Yves Klein, Arnulf Rainer, Gerhard Richter oder eine Maria Lassnig – im Depot zu belassen. Dem Lustprinzip konnten sich offensichtlich nur die nicht direkt in den Kunstbetrieb Eingebundenen unbefangen hingeben. „Mein Raum ist natürlich der schönste“, sagt der Hausmeister Thomas Gattinger selbstbewusst. „Aber ich war ja auch als Erster dran mit Aussuchen. Weil ich seit 37 Jahren hier arbeiten darf.“ Er ist zugleich für die Haustechnik verantwortlich. Als Dienstältester hatte er das erste Zugriffsrecht, und dann absteigend mit der Anzahl der Dienstjahre bis hin zum Direktor, der das Haus seit August vergangenen Jahres leitet. Gattinger betont: „Klar habe ich mir auch etwas dabei gedacht.“ Er wählte u. a. Lucio Fontanas mit vier Schnitten aufgeschlitzte Leinwand. „Zerstörung, Brutalität, Durcheinander“ sind Stichworte, die ihm durch den Kopf gingen. „Und über all dem Chaos schwebt dieses wunderbare Mobile von Calder.“ Das stehe „für die Freiheit und die Leichtigkeit, die ich mir wünsche.“ Wie „das Sonnenlicht über die Werke gleitet“, freue ihn. „Das haben die Wissenschaftler sehr gut gehängt.“ Diesem Lob kann sich die Leiterin des Museumsshops und Vorsitzende der Freundinnen des Museums nur anschließen. Sie erläutert: „Erst wollte ich vom Kopf her nur Fluxus wählen. Aber dann hat sich mein Bauch aufs Lustprinzip eingelassen.“ Ihr Raum lebe „von Licht und Farbe.“ Als sie in den gestalteten Raum kam – die Gestaltung der Räume hatte ein Dreierteam vorgenommen –, sagte sie spontan: „Hier ziehe ich ein.“

Jeder und jede gab dem eigenen Raum eine besondere Note. „Mein Raum“, so die Sekretärin, „heißt ‚Der geschenkte Raum‘. Ich habe mich nämlich entschieden, nur Schenkungen zu zeigen.“ Ein zweiter Haustechniker: „Ich bin Handwerker. Und diese Werke hier sind auch handgemacht. Deshalb habe ich sie ausgesucht: von Handwerker zu Handwerker.“ Es sind drei kleine Metallskulpturen. Ihm habe gefallen, „dass sie einfach sind wie das einfache Leben.“

Duchamp in Morsbroich?

Die „Schwamm drüber“-Performance bespielte – es waren bis zu acht Personen im Alter von 17 bis 21 – mehrere Räume pa­rallel. Mal sensibel auf ein Werk eingehend, mal als bloßer Gag. So rannte eine Akteurin mit einem antiken griechischen Gipskopf unterm Arm durch die Säle, drückte ihn einer anderen in die Hand, die diesen wieder loszuwerden suchte. Eine andere besang einen fetten schwarzen zerlaufenden Punkt auf einem Gemälde: „Ich werde mich von Dir trennen/ Denn du hast mich nie geliebt.“ Im Erdgeschoss hing ein Minimal-Kunstwerk über einem Türsturz, davor einer, der es eifrig kopierte. Das Finale fand draußen statt: Auf dem Rasen stand eine Kloschüssel, die von allen mit Schwämmchen geschrubbt wurde – eine Hommage an Duchamps Pissoir? Aus dem Lautsprecher dröhnte das beuyssche „Sonne statt Reagan!“ Hier im Schloss hatte 1973 der SPD-Ortsverein Leverkusen-Alkenrath jene Beuys-Wanne zum Kühlen von Getränken missbraucht. Dafür musste jetzt das Klo herhalten, bis die Getränke an alle Gäste verteilt wurden. Das barocke Schlösschen wieder zu einer „Maison de plaisir“ werden zu lassen, zu einem Lustschloss, hat hervorragend geklappt. Kritisiert wurde lediglich, dass die Ausstellung nur zwei Monate dauerte.

Thomas Giese