It‘s a long Way to the Top, if you wanna Rock‘n Roll

Das Wort zum Sonntag und die letzte Ölung erhielten Mrs. Cave und ich am 10. April in der Christuskirche Bochum. Die Heilige Messe wurde abgehalten von Ultha aus Köln und Ahab aus Heidelberg. Der Anlass war das 10-jährige Bestehen von Ultha und das 20-jährige Bestehen von Ahab. Wenden wir uns aber erst einmal dem Konzertort zu. Mitten in der „beschaulichen“ Bochumer Innenstadt gelegen, ca. 10 Fußminuten vom HBF entfernt, lag ein Besuch dieser Location schon länger auf der Oberbilker To-Do-Liste. Der Vorgängerbau der „Kirche der Kulturen“ wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, erhalten geblieben ist nur der alte Kirchturm aus dem Jahr 1878, der heute als Mahnmal gegen den Krieg gilt. Die Atmosphäre des expressionistisch wirkenden, noch mit Bänken ausgestatteten Innenraums ist wirklich beeindruckend, und jetzt ärgere ich mich noch mehr, die SWANS im letzten Jahr in der Kulturkirche verpasst zu haben. Eine Stellwerksstörung in Derendorf sowie in Köln hatte den gesamten Düsseldorfer HBF lahmgelegt, und die SWANS mussten deshalb ohne uns spielen.

Ultha eröffneten die schwarze Messe mit einem lauten, aber exzellent abgemischten Black-Metal Set. Knapp über eine Stunde lang wurde, in blutroten Nebel getaucht, geschrien, gekreischt und das Haar geschüttelt. Die Kölner haben wirklich alles gegeben. Mrs. Cave saß in Andacht versunken auf der letzten Kirchenbank. Geflasht von dem wirklich imposanten Liveerlebnis haben wir die letzte Veröffentlichung der netten Kölner, ein Live-Album, in die Plattentasche gepackt. Nett deswegen, weil die Jungs sich auch vorne in der ersten Reihe um die Awareness der Besucher*innen kümmerten.

Live At Soulcrusher 2022 wurde im Doornroosje, einer Location in Nijmegen, Holland aufgenommen. Das Doornroosje gibt es seit 1970 als Konzertort. Die Liste der Künstler*innen und Bands, die dort aufgetreten sind, ist ellenlang, von Autechre über Dinosaur Jr., The Fall bis hin zu Unwound hat dort alles gespielt, was Rang und Namen hat. Viele der Auftritte sind mitgeschnitten worden und in berauschender Live-Qualität in erhältlich.

Nach Ultha hielten dann Ahab den zweiten Teil der Messe ab. Die Heidelberger sind große Fans von Herman Melville‘s Epos „Moby Dick“, dem sie ihr erstes Album gewidmet haben. Die Band selber bezeichnet ihren Musikstil als Nautic Funeral Doom Metal. Auch alle weiteren Veröffentlichungen sind Konzeptalben, die sich mit maritimen Themen beschäftigen. So behandelt ihr jüngstes Album The Coral Tombs Jules Vernes Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“. Auch bei Ahab wurde die Christuskirche ordentlich eingenebelt, und wir fühlten uns unwillkürlich zur letzten Reise der Nautilus versetzt, die vom großen Mahlstrom verschlungen wird.

Mrs. Cave und der Oberbilker traten nach Vergebung ihrer Sünden geläutert den Heimweg an. Ein gelungener Abschluss des Wochenendes.

Die Pariser Lysistrata haben mit Vail auf Grand Hotel Van Cleef ihr viertes Album veröffentlicht. Lysistrata habe ich 2018 live im Rahmen des New Fall Festivals in der Johanneskirche Düsseldorf als Support für die Nerven gesehen. Vail rufen beim Reinhören gleich die positiven Erinnerungen des damaligen Konzertabends hervor. Der vertrackte Opener Tangled In The Leaves zeigt uns sofort, wo die Reise hingeht. Indie/Alternativ-Rock, der immer wieder in Math-Rock-Gefilde abdriftet. Langsame pop-artige Parts wechseln von einem Moment in den anderen in Noise-Wände. Dann wieder treibende Gitarren, die zu wilden Rumgehüpfe, soweit das die alte Bandscheibe zulässt, einladen. 10 Songs, die Spaß machen, Herz was willst Du mehr.

Eine Zusammenarbeit der besonderen Art haben uns dann Crispin Glover Records aus Trondheim, Norwegen und Alternative Tentacles, das alte Label der Dead Kennedys und Jello Biafras aus San Francisco, Kalifornien beschert. Der Song Punch erschien 1982 erstmals auf dem Album Gifts And Telegrams von Patrik Fitzgerald, einem Folk-Musiker aus Stratford, East London. Punch wurde von Fitzgerald 1980 als Abrechnung mit Margaret Thatcher geschrieben. Nun hat er von diesem Song eine neue Version eingespielt. Auf der B-Seite nehmen sich Jello Biafra und Motorpsycho Punch vor und machen aus der ruhigen Folk-Nummer einen knackigen Punk-Kracher. Die 7“-Inch rechnet anstatt mit der eisernen Lady gnadenlos mit Donald Trump ab, schon alleine das Cover rechtfertigt den Kauf zu 100 %. Unser Fazit, Motorpsycho können immer noch Punk!

Auf das Doublefeature Hammerhead und Bohren & Der Club Of Gore am 15. März in der Wuppertaler Börse hatten Mrs. Cave und ich uns schon so richtig gefreut, und dann knockte uns beide „Die Tödliche Männergrippe“ aus, gnadenlos. Was bei diesem Package besonders ärgerlich war. Der brutale Hardcore-Punk von Hammerhead kombiniert mit dem Doom Ridden Jazz von Bohren & Der Club Of Gore versprach doch ein Konzerterlebnis der besonderen Art zu werden. Deshalb hörten wir uns freitagabends das neue Hammerhead-Album Nachdenken Über Deutschland und die B&DCOG-Kompilation Bohren For Beginners in Heavy Rotation an!

Hammerhead wurden Ende der 80er Jahre in Bad Honnef gegründet, und ihr erstes Album Stay Where The Pepper Grows schlug 1994 ein wie eine Bombe. Schon alleine das Artwork sorgte für Aufruhr in Deutschland. Armin Hofmann von X-Mist Records hatte damals extreme Schwierigkeiten, eine Druckerei für das LP-Cover zu finden. Wie das dann alles doch realisiert wurde, verschwimmt bei mir im Tunnel der Zeit. Sänger Tobias Scheiße trug mit seiner kompromisslosen Haltung zusätzlich zur Legendenbildung der Band bei. Unvergessen sein Fernsehauftritt Mitte der Neunziger bei Arabella auf Pro7 im Rahmen der Berichterstattung über die Chaostage in Hannover: „Ich bin Punkrocker und schmeiß Mülltonnen!“ 2000 erschien das letzte Album von Hammerhead, und von gelegentlichen Auftritten abgesehen wurde es ruhig um die Band. 2016 wurde dann die EP Opa War In Ordnung auf HeartFirst Records veröffentlicht, damals leider unbemerkt von uns. Nach 24 Jahren jetzt endlich ein neues Album auf Holy Goat Records aus Köln. Vorgewarnt von diversen PMs (Private Messages, die TERZ), stellten wir uns auf das „Schlimmste“ ein, und wir wurden nicht enttäuscht. Nachdenken Über Deutschland ist der Soundtrack, den wir momentan brauchen: Schluss mit lustig, Schluss mit nett, keine Kompromisse mehr. Schlagt die Nazis da, wo ihr sie trefft. Freundlich in ‚schland ist vorbei, Hammerhead sind auferstanden!

Die Antithese dazu sind Bohren & Der Club Of Gore. Gegründet 1992 in Mühlheim an der Ruhr von Grindcore-, Hardcore-, Death- und Doommetal-Musikern, gingen B&DCOG in die komplett gegensätzliche musikalische Richtung. Langsam, wirklich langsam wird hier ein bedrohliches Szenario aus Schlagzeug, verschiedenen Gitarren und Bässen, Saxophonen, Keyboards, Pianos, Mellotron, Vibraphone und vielem mehr erzeugt. Ich muss immer an Twin Peaks denken, Mrs. Cave bringt den Soundtrack von Angel Heart ins Spiel. Live strotzt die Band nur so vor Selbstironie und schon alleine die Ansagen lohnen den Konzertbesuch. Die gepflegte Nonchalance ist wirklich einzigartig und unnachahmlich! Bohren For Beginners ist der perfekte Einstieg für Neu-Bohrer. Auf der Trippel-LP, erschienen 2023, sind Songs aus allen Schaffensphasen, von allen Alben der Band vertreten. Selbst Mitleid Lady, erschienen 2006 auf Latitudes [1] oder Catch My Heart, ein Warlock-Cover aus dem Jahr 2011, mit dem unvergleichlichen Crooner Mike Patton am Gesang, sind dabei. B&DCOG sind eine der wenigen Bands, die international einen unwiderruflichen Standard festgelegt haben und deswegen über eine weltweite Fangemeinschaft, gerade auch unter Musiker*innen, verfügen!

Genug der Lobhudelei, wir waren krank und konnten nicht, selbst am Samstag durfte die AfD auf mich im Zoo-Park verzichten.

Zum Abschluss noch ein paar Worte zu Armin Hofmann, Musiker bei Brüder Hofmann, Happy Ever After und den Skeezicks. Gründer des Labels X-Mist Records, der Unterlabel Gasoline Boost Records, SiS Records und Strive Records und des Kassettenlabels ExtremMist-Cassetten. Armin ist letztes Jahr im August im Alter von ca. 63 Jahren an Krebs verstorben. Geboren im schwäbischen Wildberg, legte er am Rande des Schwarzwalds, genaugenommen in Nagold, mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und Ehefrau Ute Prigge einen neuen Standard in Punk, Hardcore und Do It Yourself fest. Seine Kontakte vom beschaulichen Schwarzwald in die große weite Welt waren beindruckend. Er hatte immer wieder Obskuritäten aus aller Damen und Herren Länder am Start, seine Haltung war ihm wichtiger als der kommerzielle Erfolg. Wenn ihm etwas nicht gefiel, nahm er das nicht in seinen Mailorder auf. In den 90er Jahren war der X-Mist-Newsletter, damals noch in Papierform, eines der wichtigsten Informationsmedien für Liebhaber*innen „neuer“ Musik. Bestellt wurde per Brief, mensch legte einen Blankoscheck zur Verrechnung bei, damit Ute oder Armin den passenden Rechnungsbetrag dann selbst eintragen konnten. Für mich war der X-Mist Mailorder lange Zeit meine Hauptbezugsquelle. Mit dem verstärkten Aufkommen des Internets schlief der Kontakt aber leider ein, und die Bestellungen wurden immer seltener. Umso betroffener machte mich die Nachricht von seinem Tod, vom ersten Krebsbefund bis zu seinem Ableben verging weniger als ein Jahr. Jetzt erst schaffe ich es, über das Label und Armin zu schreiben. Armin, nachträglich gute Reise und Dir Ute alles Gute. In der Jungle World vom 28.09.23 findet ihr einen sehr guten Artikel über ihn und das Label. https://jungle.world/artikel/2023/39/nachruf-zum-tod-von-armin-hofmann-kein-auflehnungskitsch

Die nächsten Konzertkarten sind schon ausgedruckt, wir werden berichten.

Mrs. Cave und Der Oberbilker

[1]  Latitudes ist eine Reihe mit Session-Aufnahmen, die in den Southern Studios entstehen und von Southern Records vertrieben werden. Oftmals sind die Künstler*innen in schwer zugänglichen musikalischen Bereichen zu verorten, was der Qualität der Aufnahmen aber keinen Abbruch tut. So etwas wie die Peel-Sessions der Neuzeit.