TERZ 02.12 – STORE
Auf ihrem neuen Album "Shantychrist" präsentiert sich die Düsseldorfer Kiesgroup wieder gewohnt stillos. Musikalisch reicht die Bandbreite von Polit-Elektro nach Art der Goldenen Zitronen über Schunkel-Pop und schnöden Rock bis hin zu Bar-Songs und Liedermaching. Und gesungen wird über Gott und die Welt. Trotzdem fliegt der Laden nicht auseinander. Dafür sorgt vor allem Andreas van der Wingen. Er haucht, schreit, deklamiert oder säuselt sich in wechselnden Sound-Kulissen mit mehr oder weniger V-Effekt durch Seemannsgarn, Subkultur-Blues, prekäre Arbeitswelten und Knastgeschichten. Am besten kommt das, wenn er und seine Mitstreiter in "Heimweh" den Konsalik-Roman "Der Arzt von Stalingrad" vertonen, den sie zum Glück nur vom Hörensagen kennen, und dem deutschen Landser dabei in seine faschistisch-sentimentalistische Kohlsuppe spucken. Weniger gelungen erscheinen hingegen die Exkursionen in den Nahbereich fernab der Rollenspiele. Da reimt sich zwar nicht gleich Herz auf Schmerz, sonst jedoch so ziemlich alles, und dazwischen ist fast nichts. "Kaum mehr Raum für Brüche und Unvorhergesehenes" hat der Düsseldorfer Blog "Jahrgangsgeräusche" dieser auf Autopilot gestellten Verse-Schmiederei zurecht attestiert. Die Kiesgroup will es aber gar nicht anders. Sie glaubt richtigerweise nicht an die große Kunst und legt es nicht darauf an zu gewinnen. Darum verschlägt es sie auch öfters mal in diskurs-ferne Regionen und musikalische Seichtgebiete mit catchigen Refrains. Nur "Wenn die Müdigkeit ruht", gelingt es ihr, sich zu kämpferischeren Tönen aufzuschwingen und die Welt übersichtlich in "wir" und "ihr" aufzuteilen. Dann aber richtig: "Warum sterbt ihr niemals jung? / Was ist eure Entschuldigung?"
JAN