Das InterConti ist kein Ponyhof

Drei Anläufe brauchte das Arbeitsgericht Düsseldorf, bis der Prozess gegen den Unternehmer Karly Zingsheim und seine Reinigungsfirma Zingsheim Hotel Service GmbH (ZHS) am Freitag, 25. November 2016 endlich in die Gänge kam und konkrete Ergebnisse lieferte.

Der Beklagte bot zu seiner Entlastung zahlreiche Putzfrauen auf, die aktuell bei ihm beschäftigt sind. Unter den Augen von Hausdamen, Vorarbeitern und Managern saßen sie im Gerichtsflur und warteten auf ihre Vernehmung. In vier Stunden Verhandlungszeit hörte die 11. Kammer unter Leitung der Vorsitzenden Richterin Anja Keil insgesamt sieben Personen, die zwar teils von ihren Arbeitgebern präpariert, teils eingeschüchtert wirkten, deren Schilderungen aber dennoch interessante Einblicke ermöglichten.

Karly Zingsheim kann sich als Sub-Unternehmer für deutsche Hotel-Ketten wie InterConti, Maritim, RadissonBlu ganz offensichtlich einen ziemlich mondänen Lebensstil erwirtschaften. Während seine Angestellten in über 30 Häusern in ganz Deutschland für ihn putzen, findet er reichlich Zeit, seinem exklusiven Hobby zu frönen: Dressur und Aufzucht von Islandpferden. Zingsheim ist zugleich Vorsitzender des Islandpferde-Reiter- und Züchterverband e. V., er besitzt das Gestüt Forstwald in der Eifel und kann als eher kleinwüchsiger Mann die Mini-Pferde offenbar gut lenken. So errang er auf „Dagur“ 2010 den Titel der Islandpferde-Meisterschaften in der Dressur (Gehorsam A). [1] Die ponyartigen Tiere beherrschen fünf Gangarten, während gewöhnliche Pferde mit Schritt, Trab und Galopp auskommen müssen. Die Gangart, die Karly Zingsheim für seine Putzfrauen vorgesehen hat, ist offenbar der stetige Galopp bei magerer Kost. Doch der Gehorsam der multi-ethnisch zusammengesetzten Putzkolonnen ist nicht immer von der Güteklasse A, ihre Dressur mitunter schwierig. So mehren sich die Meldungen von Prozessen ehemaliger Beschäftigter gegen Zingsheim wegen schikanöser und unkorrekter Arbeitsmethoden. Dass er seine Reinigungskräfte korrekt bezahlt und im vollen Ausmaß Überstunden und Sozialleistungen vergütet, ferner Lohnsteuer zahlt und Sozialabgaben korrekt entrichtet, bezweifelt nicht nur die Initiative aktion./.arbeitsunrecht e. V.

Die Putzfrau Silermone N., die im Düsseldorfer Hotel Intercontinental gearbeitet hat, und den Fall vor Gericht und in die Presse gebracht hat, spricht von systematischem und massenhaftem Lohnraub durch ZHS und deren Sub-Subunternehmer MACOC. Dieser geschieht laut übereinstimmenden Aussagen über frisierte Lohnabrechnungen, welche Bedienstete blanko unterschreiben müssen und in die Vorgesetzte fiktive Stundenzahlen eintragen. Tatsächlich bleiben die Reinigungskräfte so lange im Haus, bis sie ihr Soll an Zimmern geschafft haben. Das Pensum ist so bemessen, dass sie regelmäßig mehrere unbezahlte Überstunden pro Tag leisten. Demnach verstößt Zingsheim gegen das Mindestlohngesetz.

Richterin mit Scheuklappen

Zu den Erkenntnissen des dritten Prozesstages gehörte leider auch, dass die Vorsitzende Richterin Anja Keil sich penetrant weigert, diese Art der Ausbeutung von Putzkräften als System zu begreifen und mittels Zeugen*innenbefragungen die Struktur des systematischen Rechtsbruchs, der im InterConti offenbar gang und gäbe war, entsprechend aufzuklären.

Es gehe ihr nur um die Arbeitszeiten einer einzigen Person, betonte Richterin Keil gebetsmühlenartig – nämlich der Klägerin Silermone N., die von März bis September 2015 für ZHS im InterConti gearbeitet hatte. Alle Fragen und Aussagen, die das generell angewandte System der Arbeitszeiterfassung, Arbeitseinteilung und des Arbeitspensums angingen, interessierten sie nicht. So bügelte sie einen rumänischen Zeugen ab, der aus eigener Erfahrung von Schwarzarbeit im InterConti berichtete, weil dieser nicht im fraglichen Zeitraum dort gearbeitet hatte, sondern einige Monate zuvor. Als ob sich seitdem etwas geändert hätte!

Mit der flapsigen Begründung „sonst können wir hier tagelang Zeugen befragen“ wischte Anja Keil entsprechende Fragen und Einlassungen der Klägerin und ihres Anwaltes Thomas Mössinger vom Tisch, unterbrach und maßregelte die Partei der Geschädigten.

Schuld sind immer die anderen

Dahinter steht offenbar eine Rechtsauffassung, die gerade in Deutschland bemerkenswert ist. Die – mit etwas historischem Verständnis – sogar atemberaubend wirkt. In einem Land, dessen Eliten bereits im 1. Weltkrieg von brutaler Zwangsarbeit an Kriegsgefangenen profitierten, das im NS die Vernichtung durch Arbeit perfektionierte, das in den „Wirtschaftswunderjahren“ Gastarbeiter*innen in die leer stehenden Baracken der Zwangsarbeiter pferchte, wird im Jahr 2016 der systematische Lohnraub und Sozialversicherungsbetrug an Arbeiter*innen aus Rumänien, Spanien, Brasilien, Portugal und anderer Herren Länder, als Einzelschicksal verhandelt. (Am selben Tag bestätigte übrigens der Bundesgerichtshof ein Urteil in einem der letzten KZ-Prozesse, nach dem der „Buchhalter von Auschwitz“ der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen schuldig sei.) [2]

Während in der Nachkriegszeit „der Führer“ alles schuld gewesen sein soll, wendet der ausgehende Neoliberalismus das Prinzip „Pontius Pilatus“ in exzessiver Weise an. Der römische Statthalter in Palästina wusch seine Hände in Unschuld und machte den lokalen Vasallen Herodes für die anfallende Drecksarbeit und ihre unangenehmen Begleiterscheinungen verantwortlich – bekannt geworden durch den Justizmord an Jesus von Nazareth. Der InterConti-Geschäftsführer Jörg Hubert Schmittem schwänzt alle Vorladungen – das Bußgeld für diesen Großverdiener beträgt nebenbei lächerliche 500 Euro! – und schickt seinen „Director of Finance & Business Support“, den Hotelfachmann Tim Jahnel, sowie seinen Kölner Anwalt Rolf Schneller vor, da er selbst vom operativen Geschäft keine Ahnung habe. Tim Jahnel gibt zu Protokoll, ebenfalls keinen Schimmer von den konkreten Abläufen zu haben und schickt die InterConti-Hausdame Antonella S. vor, die ebenfalls behauptet, keine Auskunft über die konkreten Arbeitszeiten der Putzfrauen geben zu können. So geht das Possenspiel weiter. Und selbst der Beschuldigte Karly Zingsheim, der natürlich beteuert, dass bei ihm alles korrekt zugegangen, er selbst aber selbstverständlich nicht ins operative Geschäft eingebunden sei, hat noch einen Fußabtreter unter sich. Einen Großteil der bulgarischen, rumänischen und spanischen Putzkräfte lässt der Pony-Züchter sich von einer weiteren dubiosen Firma namens MACOC liefern, die in Köln als Autowerkstatt registriert ist.

Es handelt sich bei der Ausbeutung von Putzkräften durch Zingsheim ganz offensichtlich um ein seit Jahren flächendeckend angewandtes System. Doch das zu verstehen und zu erforschen, interessierte die Vorsitzende Richterin nicht und so legt sie wahrscheinlich bereits mitten im Verfahren den Grundstein zu einer Berufung oder gar Revision. Richterin Keil scheint einer Einzelfall-Theorie zu folgen. Sie legt sich Scheuklappen an, will nur den einzelnen Baum betrachten und über den Wald nicht nachdenken.

Dabei kann niemand ernsthaft davon ausgehen, dass Silermone N. zwischen März und September 2015 einfach nur Pech gehabt hat; die Richterin befragte die Zeug*innen auch nicht danach, ob – eine andere Denkrichtung – etwa böser Wille oder gar individuelle Schikanen gegen Silermone hinter dem unzumutbaren Arbeitsdruck im InterConti gestanden haben könnten. Das ist nicht der Fall.

Doch wie reimt sich die Vorsitzende Richterin das Geschehen sonst zusammen? Welche Rolle gedenkt sie auszufüllen? Geht es darum, Einzelne zu beruhigen und hier und da Trostpflästerchen zu verteilen – in Form von Geldnachzahlungen – damit alles so weiter laufen kann wie gehabt? Studiert eine junge Frau dafür jahrelang Jura und quält sich durch Staatsexamina? Eine seltsam beschränkte, unambitionierte Berufsauffassung.

Die Arbeitsgerichtsbarkeit

Hier wird eine Rechtsauffassung deutlich, die zum Glück nicht alle Arbeitsgerichte so klar teilen: Zwar ist es die generelle Funktion der Arbeitsgerichtsbarkeit – schon seit das erste deutsche Arbeitsgericht von Napoleon in Köln 26. April 1811 per Dekret gegründet wurde [3] – betriebliche Konflikte auf ein außerbetriebliches Feld umzuleiten. Der Dampf soll aus dem Kessel, öffentlicher Aufruhr vermieden und möglichst mit Abfindungen beigelegt werden.

Der Durchmarsch der neoliberalen Lehre seit den 1980er Jahren führte in der Rechtswissenschaft dazu, dass das Arbeitsrecht von einem Schutzrecht für Beschäftigte zu einer Art Verhandlungrecht zwischen zwei Personen umgemünzt wurde. Klassen existieren in dieser Denkweise nur als überkommene Vorstellung aus dem 19. Jahrhundert, Interessengegensätze zwischen Arbeit und Kapital gibt es hier nicht, auch keine Abhängigkeit der Unterpriveligierten von ihrem Arbeitsplatz und daraus resultierende Zwangslagen, sondern nur freie Vereinbarungen zwischen Indivdiuuen. Es geht in dieser Schule, der Frau Keil allem Anschein nach angehört, nicht primär um die Bekämpfung von Ungerechtigkeit, sondern um die Verhandlung zwischen zwei vor dem Gesetz gleichgestellten Einzelpersonen: Dem Beschäftigten und seinem Arbeitgeber. Nicht ein Heer von Putzfrauen wird von Karly Zingsheim und seinen Handlangern ausgebeutet – das gilt als verbohrtes, marxistisches Denken – sondern allein Silermone N. hat ein Problem. Dem Neoliberalismus geht es um Vereinzelung, die Aufsplitterung der Gesellschaft in stetig miteinander konkurrierende Individuuen: JedeR kämpft für sich allein.

Merkwürdigerweise wissen wir von ganz ähnlichen Prozessen gegen Zingsheim in Reutlingen, Trier, Frankfurt, aber auch überregional findet keinerlei Systematisierung statt. Solche Informationen werden von Seiten der Behörden nicht gesammelt oder abgeglichen, Staatsanwaltschaften und Steuerfahndung bleiben trotz konkreter Hinweise untätig. So tragen die Behörden dazu bei, dass die deutsche Arbeitsverwertungsmaschine – „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ (Gerhard Schröder) – womöglich ewig so weiter laufen kann, wenn Figuren wie Karly Zingsheim nur das nötige Schmiermittel in Form von Abfindungen und Prozesskosten parat halten. In den USA wäre der Mann vermutlich längst insolvent, doch das hierfür notwendige Mittel der Sammelklage gibt es in Deutschland nicht.

Immerhin gibt es Meinungsfreiheit

Eine Sache hat sich in diesem abgekarteten Spiel aber geändert: Wenn Zingsheim auch nicht von staats wegen das Handwerk gelegt wird, wenn er seine Methode womöglich auch in Düsseldorf erneut durchbringen sollte – die Chancen stehen zumindest in dieser Instanz gar nicht schlecht – so wird er dennoch nichts dagegen machen können, dass wir sein System in der Öffentlichkeit als das benennen, was es ist: unverschämt, dubios, sozial schädlich und kriminell.

Die aktion./.arbeitsunrecht führte bereits am 8. Juli 2016 eine viel beachtete Putzfrauen-Demo vor dem InterConti Düsseldorf durch. Wir werden das Luxus-Hotel nicht aus der Verantwortung lassen und rufen kritische Bürger*innen, soziale AktivistInnen und Gewerkschafter*innen auf, sich an Protesten zu beteiligen und Silermone vor Gericht den Rücken zu stärken.

Elmar Wigand

[1]  KStA, 26.7.2010, https://ksta.de/12289246
[2]  KStA, 26.11.2016 https://ksta.de/nrw/nazi-jaeger-brendel--bgh-entscheid-zu-groening--bahnbrechend--25184382
[3]  „Conseil de prud’hommes de la ville de Cologne“, Quelle: 200 Jahre Arbeitsrechtsprechung in Köln, Pressemitteilung LAG Köln, 30.8.2011.

Prozesstermin:

27. Januar 2017, 11:00 Uhr, Saal 107

Silermone N. ./. Zingsheim GmbH,
Aktenzeichen 4 Ca 7178/16

Arbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21