MİT in Düsseldorf:

Spionage und Bedrohung durch türkische Geheimdienststrukturen am Rhein?

Gegen einen am 17. September 2021 im Zuge eines Sondereinsatzkommando-Einsatzes in Düsseldorf Oberbilk festgenommenen Mann ermittelt seit Oktober der Generalbundesanwalt. Es geht um: Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst. Was wie die Schluss-Szene eines mittelmäßigen Fernsehfilms klingt, müsste zu ernsthaften ‚diplomatischen‘ Missstimmungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei führen.

Im Oktober berichteten die großen Medienhäuser von Springer bis Spiegel vom „Türkei-Agenten“, der am 17.09.2021 in einem Düsseldorfer Hotel festgenommen wurde. Sogar konfessionelle Online-Portale, lokale Presse deutschlandweit sowie die internationalen Medien griffen die Meldung auf. Dabei beriefen sie sich nahezu wortgleich auf eine Mitteilung, die die Generalbundesanwaltschaft zuvor über dpa an die Redaktionen herangetragen hatte. Demnach hat die oberste Strafverfolgungsbehörde die Ermittlungen übernommen, versucht nun zu klären, was es mit dem 40-jährigen Mann auf sich hat, dessen Hotelzimmer zwei Wochen zuvor von einem Sondereinsatzkommando gestürmt worden ist. Bis dahin hatte die Staatsanwaltschaft Düsseldorf den Fall untersucht. Sie führte Ermittlungen wegen des Verdachts zur Verabredung zu einem Verbrechen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz.

Kein 007 – Hollywood cinemayın yok

Zunächst sorgte der Anblick – unübersehbar – für Verwunderung. Für gewöhnlich sind höchstens Fahrradfahrer*innen über die Barriere-Schleife von der Moskauer Straße hinunter in den Park abgenervt. Sonst aber ist eher die Ödnis der riesigen Baugrube für das Grand Central-Luftschloss-Quartier einziges optisches Merkmal dieses nördlichen Ecks von Düsseldorf-Oberbilk.

Am 17.09. war die Fahrbahn vor dem Hoteleingang in der Moskauer Straße allerdings wie in einen bizarren Filmset verwandelt. SEK-Beamte in voller Kampfmontur sicherten das Hotel, evakuierten das Gebäude. Ein Panzerwagen der Polizei begleitete den Einsatz. Der Großeinsatz war Reaktion auf den Hinweis eines Hotelmitarbeitenden, der im Zimmer eines Gastes eine Handfeuerwaffe entdeckt habe, lesen wir in den zahlreichen Berichten. Weiter heißt es in BILD, WDR, Spiegel & Co: Man habe 200 Schuss scharfe Munition sichergestellt, die zum Einsatz mit einer Maschinenpistole geeignet sei. Bei der Waffe, die der Auslöser für den Alarm gewesen war, handele es sich jedoch um eine Gas-/Schreckschusswaffe. Ein suspekter Koffer habe sich indes als harmlos herausgestellt, weitere verdächtige Personen konnten nicht aufgefunden werden. Der Hotelgast, der mit der Schreckschusspistole und der Munition in Verbindung gebracht werden konnte, wurde in polizeiliches Gewahrsam genommen.

Der Mann ist bis heute in Haft. Denn die Ermittlungen führt seit Anfang Oktober der Generalbundesanwalt. Der GBA übernimmt immer dann die Ermittlungen – nach seiner in der Verfassung der Bundesrepublik festgestellten Zuständigkeit für die Verfolgung von Staatsschutzdelikten –, wenn die Sicherheit Deutschlands gefährdet ist. In diesem Fall: wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit für einen ausländischen Nachrichtendienst, konkret für den türkischen MİT. Dafür gäbe es „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“. Noch am 17.09. seien im Besitz des Beschuldigten Namenslisten gefunden worden, die Personen auflisteten, die der Gülen-Bewegung nahestünden. Auf dem Smartphone habe man Nachrichten und Materialien sichergestellt, die den Verdächtigen mit dem MİT in Verbindung brächten – wie Ermittlungsunterlagen und Personendossiers. In der polizeilichen Pressemitteilung vom 23.09. heißt es, die Gefährdung konkreter Personen konnte nicht ausgeschlossen werden konnte, noch in der Nacht des 17.09. hatte die Polizei die Betroffenen informiert.

Ob konkrete Bedrohung oder Kampfansage

Die BILD-Zeitung legte am 04.10.2021 mit ergänzenden Informationen nach. Demnach sei der Verdächtige mit seinem eigenen PKW mit Kölner Kennzeichen zum Hotel angereist. In seinem Besitz habe man professionell gefälschte Ausweisdokumente gefunden, das Auto aber sei auf seinen richtigen Namen angemeldet gewesen. Auf seinem Konto sei zuvor außerdem ein „verdächtiger Geldbetrag“ eingegangen. In ihrer Zusammenfassung lässt die Zeitung durchblicken, dass „die Ermittler noch eine weitere Theorie“ hätten. Denn es wirke beinahe so, als „sollte der Mann auffliegen“. Denn schon allein die Nachricht über die Anwesenheit eines Agenten des türkischen Geheimdienstes in Düsseldorf, der im Besitz von Ausspähnotizen, Personen-Dossiers und Namenslisten sei, heißt es weiter, könne bei hiesigen „möglichen Regime-Gegnern für Unruhe sorgen“.

Soviel Ermittlerwissen bei der Boulevard-Presse? Das erstaunt – in ähnlicher Größenordnung, wie der Anblick eines Panzerfahrzeugs auf der Moskauer Straße an einem Freitag im September. Es sieht fast so aus, als sorgte die BILD-Zeitung wieder lustvoll für Geraune und bleibt in Andeutungen über ihre Quellen-Zugänge stecken. Ob die genannten „Ermittler“ ihre „weitere Theorie“ in der Zeitung lesen wollten?

Das Raunen indes ist gar nicht so verwunderlich – geht es doch um nicht mehr und nicht weniger als um eine Operation, die mit dem türkischen Geheimdienst in Verbindung steht. Auch wenn die BILD mit ihrer Schlagzeile „Bundesanwalt jagt Türkei-Agenten im Rheinland“ den 007-Jargon eindeutig überspannt (der Verdächtige musste nicht gejagt werden, er hinterließ eine Waffe sichtbar in seinem Hotelzimmer): Sie trifft doch den Kern dessen, was da im öden Winkel von Oberbilk aufgeflogen ist: Der türkische Staat operiert mit bewaffneten Kräften auf dem Boden der Bundesregierung, sendet Botschaften der Angst und des Terrors an ihre politischen Gegner*innen. Hier: an Personen, die der Gülen-Bewegung nahestehen mögen. Bedrohungsbotschaften für die Anhänger*innen jenes Fetthulah Gülen, dessen Rolle bei der vermeintlichen Vernetzung von Polizei, Justiz und Militär in der Türkei der 1990er und 2000er Jahre mit vielen offenen Fragen behaftet ist. Bis 2016 sollten gezielte Desinformationen und Vorwürfe etwa seitens der AKP-Regierung den Konkurrenten Gülen isolieren. Seit 2016 macht Präsident Recep Tayyip Erdoğan Gülen für den gescheiterten Putsch verantwortlich und fordert dessen Auslieferung an die Türkei. Gülen hält sich seit 1999 in den USA auf, ist dort seit 2008 mit seiner Green Card zum dauernden Aufenthalt berechtigt.

Lautes Schweigen

Seit den üppigen Meldungen zum vermeintlichen Agenten-Krimi von Oberbilk, mit der die Inhaftierung und Strafermittlung durch den GBA zum Nachrichten-Thema wurden, lesen wir jedoch keine weiteren Zeilen. Keine Positionierung des Bundesaußenministers Heiko Maas (SPD), kein Laut von Seiten der Innenminister. Weder von Herbert Reul (CDU) in NRW noch von Horst Seehofer (CSU) in Berlin. Wir können aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Entdeckung des „Türkei-Agenten“, wie die BILD-Zeitung den Beschuldigten nennt, für reichlich Austausch in den Ministerien gesorgt haben dürfte. Wir erfahren öffentlich zwar nichts darüber, ob die Bundesregierung mit der türkischen Regierung in Kontakt getreten ist. Es ist aber wohl davon auszugehen, Gespräche werden notwendig sein. Denn die Balance of Power – vom „Flüchtlingsdeal“ bis zum Waffenhandel der deutschen Rüstungsindustrie mit dem türkischen Staat – dürfte hier mindestens eine empfindliche Irritation erfahren haben. Bedrückender als diese Black Box der Diplomatie ist zuletzt aber wohl, dass wir wissen: der türkische Geheimdienst tut, was er androht. Am 9. Januar 2013 starben in Paris die kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız (55), Fidan Doğan (31) und Leyla Şaylemez (24). Sie wurden erschossen, hingerichtet. Als tatverdächtig wurde kurz darauf ein Mann ermittelt, der den französischen Sicherheitsbehörden als V-Person des MİT galt. Bevor er 2011 nach Frankreich ging und sich dort in die kurdische Bewegung einschleuste, lebte er in der Bundesrepublik. Zum Gerichtsprozess gegen ihn kam es nicht. Er wurde 2016 tot in seiner Zelle im Gefängnis gefunden, wenige Wochen vor Beginn der Verhandlungen.

Der Spiegel berichtete im Sommer 2016, dass zwar noch unklar sei, ob der Todesschütze einen konkreten Mordauftrag oder aus eigenem Ermessen getötet hatte. Die Journalisten Jörg Diehl und Fidelius Schmid zitierten jedoch aus der Anklageschrift, dass sich der Täter im Auftrag des MİT in die Nähe von PKK-Kadern hatte bringen sollen, um zu versuchen, sie nach einem gemeinsamen, „mit anderen, nicht identifizierten Personen entworfenen Plan zu eliminieren“ (Spiegel, 08.06.2016). In der Analyse des Geschehenen und der Ermittlungen fassten Schmid und Diehl zusammen, dass eine diplomatische Krise zwischen der Bundesrepublik und der Türkei die Folge sein könnte.

Doch nennenswerte Stimmungsveränderungen im diplomatischen Miteinander, im Geschäftskontakt und im Partnerschaftlichen zwischen Berlin und Ankara sind seitdem nicht erkennbar gewesen. Die EU, Deutschland – beide sind weiterhin Partner der Türkei.

Was wie ein Kinofilm anmutet, wird schnell tödliche Realität. Dass die große Politik dazu schweigt, ist kein gutes Zeichen. Was einmal beschwiegen wird, kann wieder beschwiegen werden. Wenn es passiert. Darum erinnern wir – für heute und für die Zukunft – an Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Das Wissen um ihren Tod sollte uns alle mehr als aufmerksam machen. Auch in Düsseldorf.