Wohnungsnot und Immobilienspekulation

Um dem bundesweit herrschenden Wohnungsmangel entgegenzuwirken, hatte sich die Ampelkoalition in Berlin viel vorgenommen – so, wie es aussieht, wohl zu viel: In der laufenden Legislaturperiode sollten pro Jahr 400.000 Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 im öffentlich geförderten sozialen Wohnungssektor. Diese Ziele wurden klar verfehlt!

Im Jahr 2021 wurden nur 293.000 Wohnungen fertiggestellt, im letzten Jahr ging die Zahl auf rund 280.000 Wohnungen zurück. Für das laufende Jahr liegt die Prognose bei 242.000 fertigestellten Wohnungen, und im Jahr 2024 werden sogar nur noch 214.000 neue erwartet. Trotzdem hält Bundesbauministerin Geywitz (SPD) an dem Ziel fest, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Sie stützt sich dabei auf einen Bauüberhang von inzwischen 850.000 genehmigten, aber nicht gebauten Wohnungen. Wie viele dieser Wohnungen aber angesichts der derzeitigen Marktlage überhaupt noch errichtet werden und wann das der Fall sein wird, ist völlig offen.

„Größtes Wohnungsdefizit seit zwanzig Jahren“

Dem regierungsamtlichen Zweckoptimismus hat das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, zu dem sich der Deutsche Mieterbund, die Industriegwerkschaft Bauen - Agar- Umwelt, Caritas und Verbände der Bauwirtschaft zusammengeschlossen haben, nun einen sehr deutlichen Kontrapunkt entgegengesetzt. In einer von diesem Bündnis beauftragten Studie ist von einem „Rekord-Wohnungsmangel“, gar von einer „neuen Sozialwohnungsnot“ die Rede. Für das laufende Jahr wird mit „über 700.000 fehlenden Wohnungen das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren“ konstatiert. Besonders gravierend: Die ohnehin schon dramatische Versorgungslücke bei bezahlbaren Wohnungen wird noch weiter anwachsen. Statt der politisch anvisierten 100.000 Sozialwohnungen wurden 2022 gerade mal 20.000 realisiert. Seit Jahren schmilzt der Bestand weiter ab: Gab es Ende der 1980er Jahre noch rund 4 Mio. Sozialwohnungen, sind es jetzt nur noch ca. 1,1 Mio. Bundesweit haben über elf Millionen Mieter*innen-Haushalte aufgrund ihrer Einkommenslage Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber der derzeit verfügbare Bestand deckt nur gerade 10 % dieses Bedarfs ab. Mit der jetzigen Bautätigkeit lässt sich noch nicht einmal der weitere Schwund an Sozialwohnungen stoppen, geschweige denn die riesige Bedarfslücke schließen.

Die deprimierende wohnungspolitische Bestandsaufnahme auf Bundesebene bestätigt sich auch für Düsseldorf: Rund die Hälfte der Haushalte hat hier Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein und damit rein theoretisch auch auf eine Sozialwohnung. Aber mit dem aktuellen Bestand von 15.585 geförderten Wohnungen (4,3 % des Wohnungsbestands!) können gerade mal knapp 9 % des vorhandenen Bedarfs abgedeckt werden. Dem aktuellen Datenblatt zum Wohnungsmarkt 2022 (Landeshauptstadt Düsseldorf, Amt für Statistik und Wahlen) ist zu entnehmen, dass bis zum Jahr 2031 nicht weniger als 9.085 Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen und dann wieder zu Marktpreisen angeboten werden können, im Schnitt also 900 bis 1.000 Wohnungen pro Jahr. Das ist weit mehr, als neue Sozialwohnungen gebaut werden: Mit 573 fertiggestellten Wohnungen im Jahr 2019 wurde in Düsseldorf die bisher größte und nicht wieder erreichte Anzahl erreicht – viel zu wenig, um auch nur den durch das Ende der Preisbindung entstehenden Schwund zu kompensieren.

Auch wenn der Bau von Sozialwohnungen derzeit das wichtigste Instrument zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums ist, muss Förderung mit öffentlichen Mitteln kritisch bewertet werden. Seit die gesetzliche Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990 durch eine CDU/FDP-Bundestagsmehrheit abgeschafft wurde, wird sozialer Wohnungsbau marktwirtschaftlicher Logik folgend nicht mehr dauerhaft betrieben, sondern mit Verfallsdatum. Über den Umweg einer „sozialen Zwischennutzung“ wird so mit Steuermitteln die Bildung privaten Immobilienkapitals subventioniert. Um wenigstens den Bestandsschwund bei Sozialwohnungen zu stoppen, müsste die Mietpreisbindung nicht nur befristet, sondern wieder dauerhaft gelten. Das ist das Ziel der Einführung einer „neuen Wohnungsgemeinnützigkeit“, die nicht nur vom Mieterbund, Sozialverbänden und verschiedenen politischen Parteien gefordert wird. Sie steht auch auf der Agenda der Ampelkoalition, Bauministerin Geywitz will bis März Eckpunkte dazu vorlegen. Allerdings wird viel von der Ausgestaltung eines Gesetzentwurfs abhängen – und ob dann am Ende der Koalitionspartner FDP überhaupt mitspielt. Verfrühter Optimismus ist hier sicher nicht angebracht.

Ursachen des Wohnungsdefizits

Was aber sind die Ursachen für die dramatischen Defizite bei der Versorgung mit Wohnraum? Die vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ beauftragte Studie nennt vor allem steigende Zuwanderungen, dramatisch gestiegene Baukosten und höhere Zinsen als Gründe dafür. Inflationsbedingte Kostensteigerungen bei Baumaterial, Energie, Finanzierung, aber auch unzureichende staatliche Förderung sind aus Sicht der Wohnungswirtschaft die wesentlichen Gründe dafür, dass der Wohnungsneubau fast zum Erliegen gekommen ist. Kaltmieten von 16 bis 20 Euro, die angesichts der gestiegenen Kosten notwendig wären, seien am Markt nicht mehr durchsetzbar.

Damit wird aber eine wesentliche Ursache für die konstatierte Misere der Wohnungsversorgung berührt: Der über zehn Jahre andauernde Immobilienboom ist an ein zumindest vorläufiges Ende gekommen. Die Immobilienpreise steigen nicht weiter, teilweise sinken sie bereits. Auch für Haushalte mit überdurchschnittlichen Einkommen ist Wohneigentum kaum noch bezahlbar. Negativ für Mieter*innen: Weil sich die Wohnungsnachfrage auch von Haushalten mit höheren Einkommen nun stärker auf den Mietwohnungsmarkt verlagert, steigen die Mieten weiter an.

Renditeorientierte Investoren haben in der Boomphase mit ihren Wetten auf immer weiter steigend Preise die Spekulation auf den Immobilienmärkten kräftig angeheizt. In wirtschaftlich prosperierenden Großstädten, zu denen auch Düsseldorf gehört, haben sie so einen hohen spekulativen Erwartungshorizont für Grundstücks-, Haus- und Wohnungspreise sowie Mieten erzeugt. Im letzten Jahrzehnt wurden in Düsseldorf pro Jahr im Schnitt fünf Milliarden Euro in den Immobiliensektor investiert. Es wurde auch kräftig neu gebaut. Aber statt in den dringend benötigen bezahlbaren Wohnraum floss das Investitionskapital vor allem dorthin, wo die höchsten Renditen zu erwarten waren: in den hochpreisigen Wohnungsbau, in möblierte Mikroapartments, in Hotels und Bürogebäude. Und es entstanden Spekulationsbrachen wie etwa auf dem ehemalige Postgelände in der Nähe des Hauptbahnhofs (Grand Central), das zum größten Teil, oder auf dem früheren Glashüttengelände in Gerresheim, das nach wie vor vollständig unbebaut ist. Auch bei völliger Untätigkeit hat der Immobilienboom den Grundstückseigentümern, zu denen in Düsseldorf auch die Adler Group gehört, Jahr für Jahr satte Wertsteigerungen ihrer Liegenschaften garantiert.

Im Wohnungsbestand wurden durch den gesamtstädtisch wirkenden hohen spekulativen Erwartungshorizont Anreize für renditeorientierte Investoren gesetzt, noch vorhandenen bezahlbaren Wohnraum durch die Umwandlung von Miet- in lukrativer zu vermarktende Eigentumswohnungen zu vernichten. Und weil sich „entmietete“ Wohnungen besonders teuer vermarkten lassen, wurden und werden dabei bisherige Mieter:innen mit teilweise rabiaten Methoden verdrängt. Zu diesen Instrumenten gehört das „Herausmodernisieren“ durch schikanöse bauliche Maßnahmen, die in vielen Fällen zu unerträglichen Wohnbedingungen führen. Dieses Geschäftsmodell verfolgt in Düsseldorf zum Bespiel das Immobilienunternehmen Mamisch & Paschertz, dem im gesamten Stadtgebiet ca. 50 Häuser gehören. Betroffene Mieter*innen haben ihre Empörung über die Methoden dieses Unternehmens im letzten Jahr wiederholt öffentlich gemacht, so mit der Verleihung des „Goldenen Miethais“ oder vor dem Rathaus mit der demonstrativen Übergabe eines Offenen Briefes an den Oberbürgermeister. Auf eine Antwort von Herrn Dr. Keller warten die Mieter*innen im Übrigen bis heute vergebens.

Die rendite-getriebene Wohnungs- und Immobilienwirtschaft war während der zehnjährigen Boomphase nicht bereit, in bedarfsdeckendem Umfang bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, die Bedarfslücke ist weiter gewachsen. Im Nachhinein macht ihr nun sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sonst gern eine Lanze für Kapitalinteressen bricht, Vorhaltungen: „Die gesamte Immobilienbranche hätte mehr tun müssen, um die soziale Frage des Wohnens zu lösen“ (FAZ-Kommentar 13.1.23). Nur warum hätte das eine Branche tun sollen, die jahrelang darauf erpicht war, auf immer weiter steigende Renditen zu spekulieren? „Worauf wartet ihr? Dass die Tauben mit sich reden lassen, und dass die Unersättlichen euch etwas abgeben?“ (Bertolt Brecht)[1]. Jetzt, am Ende des Booms, stoßen die bisherigen Geschäftsmodelle der Branche an ihre Grenzen. Jetzt werden Rufe nach mehr staatlicher Förderung, weniger Auflagen und schnelleren Genehmigungen laut, jetzt soll der Staat helfen, den man sonst gern auf Distanz gehalten hat, da es der Markt ja angeblich schon selbst richtet.

Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ fordert eine „Sozialwohnungsbau-Offensive“, die der Staat dringend in einem ersten Schritt bis 2025 mit einem Sondervermögen von 50 Mrd. Euro unterstützen soll. So richtig die Forderung nach mehr staatlicher Unterstützung für den sozialen Wohnungsbau auch ist, und so nachvollziehbar die Sorgen von Gewerkschaften und Bauwirtschaft um Arbeitsplätze und geschäftliche Perspektiven sind: Politisch glaubwürdiger wäre das Verbändebündnis gewesen, wenn es die Ursachen der Misere und vor allem die Hauptakteure klar und deutlich benannt hätte: Spekulativ und an maximaler Rendite orientierte Investoren, die die Immobilienmärkte im zurückliegenden Jahrzehnt geprägt haben. Vielleicht wäre dem Verbändebündnis dann auch mehr als nur die Forderung nach mehr Staatsgeld eingefallen.

Adler Group steckt weiter im Krisensumpf

Zu den Akteuren, die durch ihre spekulativen Wetten kräftig mit an der Preisschraube auf den Immobilienmärkten gedreht haben, gehört die Adler Group, die in Düsseldorf mit mehreren Projekten zu den großen Playern gehört. Seit 2021 steckt der Konzern wegen seines hochriskanten schuldenfinanzierten und in Teilen auch kriminellen Geschäftsmodells tief in der Krise, die ihn Ende letzten Jahres sogar an den Rand der Insolvenz gebracht hat. Unternehmen wie die Adler Group gehören zu den Ersten, die mit dem Ende des Immobilienbooms jetzt selber unter die Räder kommen. Im November 2022 konnte die Adler Group mit wichtigen Anleihegläubigern wie Blackrock und Pimco einen Restrukturierungs-Deal vereinbaren, der ihr mehr Zeit zur Schuldentilgung und einen zusätzlichen Kredit von fast 1 Mrd. – allerdings zu einer sagenhaft hohen Verzinsung – verschafft hat. Damit schien die Pleite vorerst abgewendet. Allerdings kam die geforderte Zustimmung von 75 % der Anleihegläubiger zu dem Sanierungskonzept nicht zustande, weil sich einige Gläubiger benachteiligt fühlten. Jetzt versucht die Adler Group, die Restrukturierung nach englischem Recht durchführen. Das hätte den Vorteil, dass einzelne Gläubigergruppen überstimmt werden können. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Weg von Erfolg gekrönt sein wird. Ein Tochterunternehmen hat Adler zu diesem Zweck jedenfalls schon in London gegründet.

Probleme gibt es aber auch anderer Stelle: Weil sich bisher kein Wirtschaftsprüfer finden ließ, der den Jahresabschluss 2022 von Adler Real Estate, der deutschen Tochtergesellschaft der Adler Group, prüfen wollte, hat im Januar auf Antrag von Adler ein Berliner Gericht (Berlin ist Sitz von Adler Real Estate) die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG beauftragt, diese Prüfung vorzunehmen. KPMG, seinerzeit von Adler selbst beauftragt, hatte im letzten Jahr das Testat für den Jahresabschluss 2021 verweigert und schließlich die Zusammenarbeit mit Adler ganz eingestellt, weil das Unternehmen wichtige Unterlagen nicht offenlegen wollte. Fehlt aber ein geprüfter Jahresabschluss, ist die Refinanzierung über Banken und Finanzmärkte, auf die Adler dringend angewiesen ist, fast unmöglich. Allerdings hat der Wirtschaftsprüfer KPMG im Januar trotz Gerichtsbeschluss die Annahme des Prüfmandats verweigert. Die Sorge um die eigene Reputation, aber auch das Risiko möglicher Schadensersatzforderungen, wenn bei der Prüfung des mehr als fragwürdigen Geschäftsmodells der Adler Group Fehler unterlaufen (der Fall Wirecard lässt grüßen), dürften dabei die ausschlaggebenden Gründe gewesen sein. Ein Gericht kann ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen nicht zwingen, gegen seinen Willen ein Prüfmandat anzunehmen. Adler wird also weitersuchen müssen. Die Krise des Konzerns ist noch längst nicht ausgestanden.

Allerdings stehen auch Wirtschaftsprüfungsfirmen selbst in der Kritik: Solange der Immobilienboom währte, haben sie gern mitgespielt und brav ihre Prüfstempel unter fragwürdige Bilanzen gesetzt. Jetzt, nachdem die Ära des billigen Geldes und der Boom erstmal vorbei sind, drohen die hochriskanten Geschäftsmodelle mancher Immobilienunternehmen aufzufliegen. Da möchte man sich in der Prüfer*innenzunft nicht die Finger schmutzig machen.

Die sich verschärfende Krise der Wohnungsversorgung, an der Immobilienspekulanten wie die Adler Group einen erheblichen Anteil haben, unterstreichen die Notwendigkeit, dass Gesellschaft und Politik die Befriedigung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht länger dem Markt und der Profitlogik von Investoren überlassen dürfen. Eine andere Wohnungspolitik ist möglich. Um sie auch durchzusetzen, braucht es aber mehr Druck von unten.

Helmut Schneider
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum

[1]  Aus seinem Gedicht „Die Hoffenden“, Gesammelte Werke, Band IV, Gedichte 1913-1956, S.417