Azzurro

Mit einer Playlist von 100 Songs mit Eric Pfeil durch Italien

Bella Italia, La Dolce Vita - das Land, wo die Limonen blühen, der Traum der Bundesdeutschen in den Sechzigern kann nunmehr mit dem eigenen Auto angesteuert werden. In einem solchen Auto aus Bergisch-Gladbach, dem PKW seines Vaters, sitzt Eric Pfeil, Jahrgang 1969 – Ende der Siebziger. Für ihn ist Italien das Land großen Zuviels: zu viel Sonne, zu viel Hektik, zu viel Essen, zu viel Schönheit, zu viel alles.

Ich mochte, wie die Leute miteinander umgingen, wie sie einander beim Reden anfassten, überhaupt: wie sich die Menschen hier bewegten, die Theatralik. Alles schien hier auf einer Bühne zu passieren - nichts war offenbar Selbstzweck, sondern auch immer Schauspiel für andere.

Der Musikjournalist, Musiker und Songschreiber Eric Pfeil nimmt uns in seinem jüngsten Buch anhand seiner Playlist (gibt es bei Spotify) mit auf eine Reise durch Italien und eine Reise durch die Zeit.

Wenn der/die Deutsche von Italiener*innen spricht, so meinen sie meist lebensfrohe, den schönen Dingen zugetane Zeitgenoss*innen, die große Teile des Lebens braungebrannt zwischen Weinbergen, historischen Bauwerklichkeiten und Strand herumturnen, bergeweise Pasta vertilgen, ihretwegen hektisch herumfuchteln und ab 17 Uhr rotschimmernde Getränke in sich hineingießen. Italiener*innen … nun, Italiano*a sprechen meist erst gar nicht von Italiener*innen. Das Verhältnis zum Nationalstaat ist schwierig; man denkt regional, es zählt der lokale campanile und Rom kann einen sowieso kreuzweise… Es gibt viele große Songs über Italien, seine Bewohner*innen und die Kniffligkeit der intalianitá.

Der Bogen, den Eric Pfeil spannt, um diese italianitá zu erkunden, ist weit. Er reicht von Neapel, der Wiege des italienischen Liedes bis zur „Creuza de mä“ im genoveser Dialekt eines Fabrizio De André (1984). Von Carusos O sole mio – mit dem der Siegeszug der Verbreitung des Gesangs über die Schellackplatte (1916) beginnt – bis zu Rino Gaetanos „Aida“ (1976).

Eric Pfeils Herz schlägt vor allem für die cantautori, die „Liedermacher“, die in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Bühnen besteigen und damit die seit dem ersten europäischen Schlagerfestival in Sanremo (1951) gesetzte Rollenverteilung zwischen Texter*innen, Komponist*innen und Interpret*innen aufheben. „Cantautori“ sind soviel mehr als Singer/Songwriter. Sie sind Soziolog*innen und Psycholog*innen und sie sind Italiens Dichter, soziales Gewissen und Leitbilder, Sprachrohr und Botschafter*innen. Vor allem sind die cantautori in einem vor einem „Historischen Kompromiss“ stehenden und von Terror gezeichnetem Land mit ihren Liedern gesellschaftlich und politisch relevant.

Pfeil kommt als Kind zum ersten Mal in den siebziger Jahren nach Italien, fasziniert von italienischen Schlagergrößen wie Adriano Celentano. Die Botschaften der cantautori in ihrer Hochzeit dürften dem kleinen Eric damals kaum zugänglich gewesen sein. So ist Pfeils Playlist mehr als nur eine Best-of-Kompilation von prägenden Sounds aus der Jugend. Sein Buch ist ein revisited, der Versuch, die Entstehungsbedingungen dieser spontan so faszinierenden, aber damals ihm noch unverständlichen Lieder zu ergründen. Dies heute aus der Perspektive eines Musikjournalisten und Musikers, der aus der eigenen Praxis in Deutschland mit der Produktion von Musik vertraut ist.

Dies alles gelingt Pfeil in seinem Buch mit jener Leichtigkeit, jener leggerezza, die er an der italienischen Musik so bewundert. Wer das Land in seiner dröhnenden Komplexität und grellen Widersprüchlichkeit wirklich begreifen will, der oder die handele so wie die Italiener*innen auch und konzentriere sich auf das vermeintlich Unwichtige: die Musik. Heraus kommt über diese räumlichen und zeitlichen Distanzen als Subtext auch eine Selbstreflexion der „deutschen Verhältnisse“.

Mit seinen Recherchen präsentiert Pfeil viele bei uns eher unbekannte Perlen italienischer Liedermacher*innen, die in ihrem Heimatland eine feste Größe sind, wie „Viva l’Italia“ des Principe Francesco De Gregori (1979) oder „Bomba o non Bomba“ von Antonello Venditti (1978) aus den anni di piombo, der bleiernen Zeit. Dabei weiß Pfeil die Musikerkolleg*innen genau zu verorten, Lucio Dalla auf der piazza grande von Bologna, Francesco Guccini auf der Via Paolo Fabbri 43 ebendort, und Domenico Modugno in seiner Amare Terra Mia, dem karstigen roten Boden Apuliens.

Diese starken regionalen Bindungen verhindern nicht, sondern begünstigen eher Grenzüberschreitungen. Neben den Verwurzelungen in der regionalen Musiktradition verfügen viele Musiker*innen auch über eine Ausbildung in klassischer Musik, sie machen Anleihen im Jazz und haben keine Berührungsängste mit amerikanischer Popmusik. Sie scheuen auch nicht Ausflüge in den populären Schlager, um hier kräftig zu plündern, wie zum Beispiel Modugno mit seinem Volare (1958).

Solche Eskapaden sind möglich in einem Land, in dem die Musikgenres fluider sind und der Gesang seit eh und je in enger Beziehung zu den Diskursen im öffentlichen Raum, dem gesprochenen Wort draußen auf Straßen und Plätzen steht. Das sind andere Voraussetzungen als in Deutschland, wo die verschiedenen Genres wie etwa Schlager, Volksmusik, Protestsong fest versäult sind und der Blick von uns „skeptischen Deutschen“ auf unsere Bundesrepublik eher ein Blick von außen ist mit dem immer wiederkehrenden Befund: Provinziell und rückständig.

Heute hat sich Musikproduktion und Musikkonsum durch das Internet grundsätzlich geändert. Der jüngeren Generation sind LP, Mischtape oder CD oft nur noch vom Hörensagen bekannt, es dominiert das ubiquitäre Streaming mit der persönlichen Playlist.

Umso interessanter ist, dass Pfeil die Playlist mit dem Medium Buch kombiniert. Wir dürfen nun gespannt seine, welche Passagen seines Buches der Autor als Discjockey bei seiner Präsentation im Heinrich Heine Salon (Mi. 23.08. um 19h im Zakk) nun live einspielt, um sein Publikum an seinem Ritt durch die Zeit teilhaben zu lassen.

Michael Flascha

„Azzuro - mit 100 Songs durch Italien“: Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2022, 365 Seiten, 14,- Euro.