In der Sache J. Robert Oppenheimer

„Die frühere Geschichte berichtet die Ausrottung einzelner Stämme, einzelner Rassen, einzelner Völker. Jetzt kann die Menschheit im Ganzen durch Menschen vernichtet werden. Es ist bei rationaler Prüfung wahrscheinlich, dass das geschehen wird, wenn wir die neuen Formen des politischen Zusammenlebens nicht entwickeln, die diese Erde braucht. Der mögliche Untergang der Menschheit ist eine Realität unseres Lebens. Wir wissen das. Aber wir kapseln dieses Wissen ein. Es scheint uns nicht akut. Wir meinen, es hat noch Zeit. Aber wir haben nicht viel Zeit.“

Dies sind Zeilen aus einem Fernsehinterview mit Robert Oppenheimer. Heinar Kipphardt hat die Verlesung dieses Statements (in deutscher Übersetzung) in seinen „Szenischen Bericht“, Titel: „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, integriert. In dem Stück, das die Anhörung Oppenheimers vor dem Untersuchungsausschuss der Atomenergiekommission im Jahr 1954 inszeniert, erläutert der Wissenschaftler die Intention des Baus der US-Atombombe: „Wir haben sie gebaut, um zu verhindern, dass sie verwendet wird – ursprünglich jedenfalls.“ Der Anklagevertreter Roger Robbs hakt nach: „Sie haben zwei Milliarden Dollar Steuergelder verbraucht, um zu verhindern, dass sie verwendet wird?“ Oppenheimer bekräftigt: „(...) um zu verhindern, dass sie von Hitler verwendet wird.“ Nach kurzer Pause setzt Oppi hinzu: „Es stellte sich dann bei Kriegsende heraus, dass es ein deutsches Atombombenprojekt nicht gab, aber wir haben sie dann trotzdem verwendet.“

Kipphardt hatte vor der endgültigen Fassung des Stücks zu Robert Oppenheimer Kontakt aufgenommen, erklärte diesem, seine Intention sei gewesen, ein „Konzen­trat der Wirklichkeit“ herzustellen und „die Substanz der Wahrheit exemplarisch darzustellen“. Aufgrund von Oppenheimers Kritik arbeitete Kipphardt einige Passagen um. Die auf Originaldokumenten und -protokollen basierende Fernsehinszenierung war vom Hessischen Rundfunk produziert und am 23. Januar 1964 von der ARD ausgestrahlt worden. (Die Sendung ist im Internet abrufbar.)

Restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik – und der DDR

Der 1922 in Schlesien geborene Heinar Kipphardt hatte in Düsseldorf Medizin studiert, war als Assistenzarzt zunächst in Krefeld, dann hier an der psychiatrischen Klinik in Düsseldorf-Grafenberg tätig. 1949 siedelte er aus Enttäuschung über die restaurativen Tendenzen in der Bundesrepublik nach Ost-Berlin über, arbeitete dort zunächst in der psychiatrischen Abteilung der Charité, im Folgejahr erhielt er unter dem Intendanten Wolfgang Langhoff einen Vertrag am Deutschen Theater Berlin, dem Staatstheater der DDR, arbeitete dort erst als Redakteur, dann als Dramaturg, schließlich als Chefdramaturg. Aufgrund zunehmender kulturpolitischer Repressionen, öffentlichen Angriffen und einer Vorladung vor die Kulturkommission beim Politbüro des Zentralkomitee der SED, kündigte er 1959 seine Stellung und schloss einen Autorenvertrag mit Karl-Heinz Stroux, dem Intendanten am Düsseldorfer Schauspielhaus. Kipphardt hatte weiterhin vor, in die DDR zurückzukehren. Doch aufgrund des in Düsseldorf geschlossenen Vertrags wurde er aus der SED ausgeschlossen. Es spricht für Kipphardt, dass er nach seiner Übersiedlung in den Westen nicht seine Vorladung vor die Kulturkommission beim Politbüro des Zentralkomitee der SED, sondern die Kommunistenhatz der McCarthy-Zeit zum „Oppenheimer“-Stück verarbeitete und in diesem die Methoden der Gesinnungsschnüffelei in den USA thematisierte.

Die Post-Stalin- und die Post-McCarthy-Ära

1953 war Stalin gestorben, vier Jahre später McCarthy. Am 3. und 4. Juni 1961 hatten sich John F. Kennedy und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow in Wien getroffen und erstmals über Abrüstung gesprochen. 1963 einigten sich beide Staatschefs zusammen mit Großbritannien auf einen ersten Atomteststopp (oberirdische Atomversuche betreffend).

Für die Fernsehinszenierung des Oppenheimer-Stücks erhielt Kipphardt den erstmals 1964 vergebenen Fernsehfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und den Kritikerpreis des Internationalen Fernsehfestivals in Prag. Die Fernsehinszenierung arbeitete Kipphardt noch im gleichen Jahr zu einem gleichnamigen Theaterstück um, das an vielen Bühnen sowohl in der DDR wie der Bundesrepublik aufgeführt wurde und immer noch wird.

Thomas Giese