Punk as Fuck vs. Searching For Sugar Man

Eigentlich hatten Mrs. Cave und ich ein Interview mit Rikk und Marco von Raccoone Records für die Oktober-TERZ geplant, aber Urlaubsüberschneidungen und Wochenendstress haben uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Also an dieser Stelle als erstes der Hinweis auf die Ausstellungseröffnung und Lesung „Punk As F*C*K, 10 Jahre Raccoone Records“ – ab Montag den 23.10.23, 19Uhr in der BiBaBuZe, Aachener Straße 1, 40223 Düsseldorf. Die Schau geht bis zum 23.11.23. Das Interview werden wir natürlich nachholen und euch dann zur Finissage in der nächsten TERZ präsentieren oder auch nicht (-:

Wenden wir uns aber nun Sixto Rodriguez und der Dokumentation Searching For Sugar Man zu. Auf ihn aufmerksam geworden bin ich durch seine Reissues, veröffentlicht auf Light In The Attic. LITA ist das Label, auf dem zum Beispiel die Black Angels[1] ihre Alben veröffentlichen. Das Label selber ist 2002 in Seattle, Washington von Matt Sullivan und Josh Wright gegründet worden. LITA veröffentlicht nicht nur neue Releases, sondern auch liebevoll aufgemachte Reissues. Von Seefeel (auf Warp) über Françoise Hardy, Roky Erickson bis hin zu Nancy Sinatra ist alles dabei! Fast immer mit ausführlichen Linernotes, Interviews und exklusiven Fotos! Schwere Tip-On Klappcover, Obi-Bands und ein Mastering von den Original-Bändern machen die Wiederveröffentlichungen wertig.

Der Name Sixto Rodriguez war uns also ein Begriff, als wir 2012 bei arte über die Dokumentation „Searching For Sugar Man“ stolperten. Sixto veröffentlichte seine beiden Alben 1970 (Cold Fact) und 1971 (Coming From Reality) in den USA, die dort grandios floppten, obwohl alle Beteiligten ihm eine große Zukunft als neuer Bob Dylan vorhersagten. Durch Zufall landeten einige Kopien in Südafrika und wurden dort zum Soundtrack für die (weiße) Antiapartheids-Bewegung. Aufgrund der politischen und kulturellen Insolation Südafrikas drangen keine Informationen über Sixto in das Land. Wilde Gerüchte über einen Selbstmord auf der Bühne und andere bizarre Todesarten machten dort die Runde. In den späten Neunzigern begaben sich die beiden Südafrikaner Stephen „Sugar“ Segerman und Craig Bartholomew Strydom auf die Suche nach Sixto. Liedtexte wurden analysiert, Anzeigen in den USA geschaltet, usw. Daraufhin meldete sich eine seiner Töchter bei den beiden, und der Kontakt nach Südafrika war hergestellt. Es folgten umjubelte Auftritte und mehrere Touren in Südafrika. Der Film von Malik Bendjelloul[2] aus dem Jahr 2012 beschreibt die Suche der beiden Fans, die Kontaktaufnahme und den späten Erfolg von Sixto. Das einzige Manko der preisgekrönten Dokumentation ist, dass der Erfolg von Sixto in Australien und Neuseeland sowie seine Touren in Australien unterschlagen werden. Kritiker*innen meinten: Wohl um den zuckersüßen Anstrich mit seinem schönen Ende nicht zu zerstören. Auch wird die Tantiemen-Frage und warum er für die verkauften Exemplare keinen Cent gesehen hat, in der Dokumentation nicht wirklich geklärt. Trotz alledem sollte man sich den Film, der regelmäßig im Fernsehen läuft, bei Gelegenheit anschauen. Mrs. Cave und ich konnten ihn letztens im Savoy endlich auf der großen Leinwand sehen.

Noch ein paar Fakten zu Sixto Rodriguez: 1942 wurde er als Sohn mexikanischer Einwanderer*innen in Detroit geboren und verdiente sich seine ersten Sporen als Musiker in Kneipen und Spelunken seiner Heimatstadt. Wie schon erwähnt, floppten seine beiden Alben in den USA, und er verdiente sich weiter sein Geld auf dem Bau, als Sozialarbeiter und auch als Tankwart. Außerdem hat er mehrmals vergeblich als Bürgermeister in seiner Heimatstadt Detroit kandidiert. Zeit seines Lebens hat er sich sozial engagiert und war für andere Menschen in seinem Viertel aktiv. Am 8. August 2023 ist er im Alter von 81 Jahren verstorben.

Sein bekanntester Song „Sugar Man“ vom ersten Album Cold Fact eröffnet uns auch sofort die Großartigkeit des Werkes von Sixto Rodriguez. Die schwermütige, klare Alt-Stimme trägt einen durch das gesamte Album. Die Trostlosigkeit der düsteren Straßen von Detroit, die Hoffnungslosigkeit der Armut, all das spiegelt sich in seinen Texten wieder. In Sugar Man werden die eigenen Drogenerfahrungen reflektiert, schon die erste Strophe und der Refrain sind unmissverständlich:

Sugar man, won‘t you hurry
‚Cos I‘m tired of these scenes
For a blue coin won‘t you bring back
All those colors to my dreams
Silver magic ships you carry
Jumpers, coke, sweet Mary Jane

Der „Establishment Blues“ rechnet mit der Obrigkeit in den Staaten ab und ist eine bitterböse Anklage an die Gesellschaft, die auch heute noch ihre Gültigkeit hat:

Woke up this morning with an ache in my head
I splashed on my clothes as I spilled out of bed
I opened the window to listen to the news
But all I heard was the Establishment‘s Blues

Auch Rich Folks Hoax versteckt seine Anklage zwar hinter zuckersüßen Melodien, aber die Texte sind auch hier wieder eindeutig genug:

So don‘t tell me about your success
Nor your recipes for my happiness
Smoke in bed, I never could digest
Those illusions you claim to have going

„Cold Fact“ ist im Gesamteindruck ein bahnbrechendes Erstlingswerk und heutzutage fragen sich Musikkritiker*innen weltweit immer wieder: Warum war „Cold Fact“ kein Erfolg? Eine Antwort auf diese Frage wird es wahrscheinlich nie geben.

Trotz des Misserfolges beschloss das Original Label Sussex ein weiteres Album mit Sixto Rodriguez zu produzieren und veröffentliche ein Jahr später „Coming From Reality“. CFR ist ein wenig ausgefeilter, nicht so eingängig und teilweise rockiger, knöpft aber nahtlos an CF an und braucht sich keineswegs hinter dem Erstlingswerk zu verstecken. „I Think Of You“, ist dann ausnahmsweise mal ein Liebeslied, noch dazu ein wunderschönes und zeigt eine komplett andere Seite von Sixto Rodriguez:

Just a song we shared, I‘ll hear
Brings memories back when you were here
Of your smile, your easy laughter
Of your kiss, those moments after
I think of you
And think of you
And think of you

„Sandrevan Lullaby-Lifestyles“ präsentiert uns dann Sixto wieder so, wie wir es gewohnt sind. Verschachtelte Texte, die der grauen Eintönigkeit von Detroit einen zuckersüßen Anstrich verpassen:

The generals hate holidays
Others shoot up to chase the sun blues away
Another store front church is open
Sea of neon lights, a boxer his shadow fights
Soldier tired and sailor broken
Winter‘s asleep at my window
Cold wind waits at my door
She asks me up to her place
But I won‘t be down anymore

Zu „Cause“ und der ersten Strophe:

Cause I lost my job two weeks before Christmas
And I talked to Jesus at the sewer
And the Pope said it was none of his God-damned business
While the rain drank champagne

brauche ich von meiner Seite auch nicht mehr viel sagen. Denn „Cause“ drückt bestens meine Gefühle aus, als ich Ende 2019 nach 27 Jahren Betriebszugehörigkeit auch arbeitssuchend wurde.

Da auch „Coming From Reality“ in den USA unbeachtet blieb, stellte das Label Sussex die Zusammenarbeit mit Sixto ein, und er widmete sich wieder seiner Arbeiterkarriere. Auch hier stellt sich die Frage: Warum fand „Coming From Reality“ keine Beachtung?

Von der 1979er und 2014er Tour in Austra­lien gibt es Livealben. Das Konzert 1998 in Johannesburg ist ebenfalls veröffentlicht worden. Zu diesen Alben können wir euch aber leider nichts sagen, Denn teilweise sind diese nur als CD’s erschienen oder das Vinyl ist sehr teuer, da es nicht wiederaufgelegt worden ist. Die Doppel-LP „Searching For Sugar Man“ - Original Motion Picture Soundtrack erübrigt sich unserer Meinung nach auch, da fast alle Songs auf den beiden Alben sind. Das Interessante ist natürlich die beiliegende DVD. Da der Film aber regelmäßig bei den öffentlich-rechtlichen Sendern gezeigt wird, ist diese Anschaffung nicht nötig. Bedauerlich ist, dass Sixto Rodriguez jetzt posthum noch einmal so viel Aufmerksamkeit erfährt, es wäre ihm vergönnt gewesen, diese auch zu Lebzeiten zu erfahren, sein Familien- und Berufsleben wären dann wahrscheinlich angenehmer verlaufen!

Jetzt kommt ausnahmsweise mal ein Werbeblock. Die Konzertgruppe „Unter Keiner Flagge“ veranstaltet mit der Hilfe von Mrs. Cave ein Witching[3] Konzert am Samstag den 14.10.23 um 19 Uhr im Linken Zentrum, Corneliusstraße 108. Wir freuen uns sehr, dass wir es geschafft haben, die Black Metal Band aus Philadelphia nach Düsseldorf in das LZ einladen zu können, wo sie uns ihr neues Album Incendium vorstellen werden. Als Support haben wir Menschenstaub, Sludge/Crust aus Dortmund und unseren Düsseldorfer Freund Yürke buchen können. Yürke wird uns an diesem Samstag mit einem knackigen Harsh Industrial Noise Set beglücken, wir sind gespannt und freuen uns auf euch, Mrs. Cave und der Oberbilker!

[1]  Black Angels: Eine Psychedelic Rock, Neo-Psychedelia und Garage Rock Band aus Austin, Texas, USA. Unter anderem organisieren die BA auch das Austin Psych Fest, welches doch mal ein Grund wäre, über den Ozean zu schippern, denn das Line-Up beim APF ist immer wieder atemberaubend! https://levitation.fm
[2]  Malik Bendjelloul: Schwedischer Dokumentarfilmer, geboren 1977 in Ystad, Schweden. Gestorben 2014 in Stockholm, Schweden.
[3]  Die Besprechung des Witching Albums Vernal aus dem Jahr 2021 ist nachzulesen in der TERZ vom September d.J.