Die Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS)

Aus den Augen, aus dem Sinn

Während CDU/CSU und AfD gerade die führungsschwache und zerstrittene Bundesregierung mit den Themen Flucht und Migration vor sich hertreiben, ist auch die Europäische Union in dieser Angelegenheit nicht untätig. Bereits Anfang Juni dieses Jahres hatten sich die europäischen Innenminister*innen nach langen und zähen Verhandlungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt.

Durch diese Reform soll es nun erstmals möglich werden, Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen durchzuführen. Dazu sollen Asylzentren in Grenznähe entstehen, in denen u.a. die Identität von Schutzsuchenden überprüft wird. Mit diesem sogenannten Screening soll erreicht werden, dass Migrant*innen mit vermeintlich geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU gelangen. Frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Zunächst soll dieses Grenzverfahren nur bei Menschen aus Ländern angewendet werden, die im EU-Schnitt eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent haben. Das trifft etwa auf Migrant*innen aus der Türkei, Indien, Tunesien, Serbien oder Albanien zu. Ihre Asylanträge sollen in den Zentren geprüft werden. Bis zu zwölf Wochen sollen sie dort unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Menschen, bei denen festgestellt wird, dass angeblich keine Aussicht auf Asyl besteht, sollen umgehend zurückgeschickt werden. Unbegleitete Minderjährige sollen jedoch von dieser Regel ausgenommen bleiben.

Höchst problematisch ist, dass mit dieser geplanten Änderung den Betroffenen der Zugang zu unabhängiger Beratung und juristischer Unterstützung verwehrt würde, der aber unverzichtbar ist. Betrachtet man hierzu die Zahlen aus Deutschland, so lässt sich feststellen, dass in den vergangenen Jahren durchschnittlich etwa 15 Prozent der Klagen gegen die negative Asylentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge erfolgreich waren. Diese rechtliche Möglichkeit würde jenen genommen, die zukünftig in den EU-Außenlagern auf ihre Entscheidung warten müssen.

Anders verläuft das Verfahren bei Staatsangehörigen aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote (über 20 Prozent) ab, die auch künftig das übliche Asylverfahren durchlaufen sollen. Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedsstaaten wird jedoch neu geregelt. Die neue Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement soll die bis dato geltende Dublin-Verordnung ersetzen. Ziel ist hierbei eine gerechtere Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedsstaaten.

Waren nämlich in der Vergangenheit vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig, soll künftig ein neuer, sogenannter Solidaritätsmechanismus greifen, d.h. Mitgliedstaaten müssen entweder Geflüchtete aufnehmen, finanzielle Beiträge leisten oder Personal entsenden. Wie das in der Praxis aussehen soll, bliebe abzuwarten. Wahrscheinlich ist, dass auch zukünftig unwillige Staaten wie z.B. Polen oder Ungarn versuchen werden, sich ihrer Pflichten zu entziehen.

Eine weitere geplante Neuerung soll sein, dass abgelehnte Asylsuchende zukünftig auch in sogenannte sichere Drittstaaten, über die sie nach Europa gelangten, abgeschoben werden können. Die Kriterien für solche vermeintlich sicheren Drittstaaten sollen gelockert werden, womit es deutlich mehr Länder gäbe, die als sicher eingestuft werden.

Welche Folgen das alles haben könnte, lässt sich erahnen. Zu befürchten ist, dass durch die Vorverlagerung von Kontrollen in die EU-Nachbarstaaten die rechtswidrigen und oftmals gewaltsamen Zurückweisungen an den Außengrenzen, die sogenannten Pushbacks, zunehmen werden. Darüber hinaus ist völlig unklar, wie die an den Außengrenzen abgelehnten Asylsuchenden wieder in ihre Heimatländer zurückgeführt werden sollen. Irreguläre Lager unweit der Asylzentren könnten entstehen, wenn Menschen ihre Hoffnungen auf ein Leben in Sicherheit nicht aufgeben wollen und nicht freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehren.

Die Europäische Union indes hofft offensichtlich auch auf die abschreckende Wirkung der geplanten Maßnahmen, die mit dieser Reform beschlossen werden sollen. Dabei ignoriert sie, dass verzweifelte Menschen, die in völliger Perspektivlosigkeit leben, weiterhin bereit sein werden, ihr Leben zu riskieren beim Versuch, ein Land innerhalb der EU zu erreichen.

Derweil überbieten sich hier in Deutschland gerade Rechte und Rechtskonservative mit Forderungen nach Begrenzung der Aufnahme von Geflüchteten sowie Steigerung der Zahl der Abschiebungen und argumentieren dabei auch mit Statistiken zu aktuell ausreisepflichtige Menschen.

Was bei diesen Forderungen jedoch keine Erwähnung findet, ist die Tatsache, dass tausende Geflüchtete aktuell noch in diesen Statistiken als ausreisepflichtig und damit lediglich geduldet geführt werden, obwohl sie seit Monaten auf die Bearbeitung ihrer Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis warten. Der sogenannte Chancenaufenthalt z.B. ermöglicht Geduldeten, die sich bereits seit mehreren Jahren in Deutschland aufhalten und wenige weitere Kriterien erfüllen, eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst 18 Monate zu erhalten. Innerhalb dieser Zeit sollen sie durch Erwerbstätigkeit ihren eigenen Lebensunterhalt sichern und durch Vorlage eines Passes, soweit nicht schon geschehen, ihre Identität nachweisen.

Doch überlastete und/oder unwillige Ausländerbehörden verschleppen die zeitnahe Bearbeitung dieser Anträge. Anders sind die absurd langen Bearbeitungszeiten kaum zu erklären. Dabei gäbe es Möglichkeiten, die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu beschleunigen, indem diese zunächst unter Vorbehalt und mit kurzem Gültigkeitszeitraum erteilt würden. Langwierige Prozesse, wie z.B. Behördenanfragen zu möglichen Vorstrafen, o.ä. könnten somit stattfinden, während die betreffende Person schon eine Arbeit aufgenommen hat und bereits nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen ist. Integrationsprozesse könnten deutlich beschleunigt werden, wenn man denn nur wollte.

Und bei den wenigen Personen, denen nach Durchführung aller Prüfungen doch keine Aufenthaltserlaubnis zusteht, könnte diese problemlos wieder zurückgenommen werden.

So werden Diskussionen mit falschen Zahlen geführt und wird versucht, Stimmung gegen Geflüchtete und Migrant*innen zu machen.

Währenddessen wird in Brüssel weiter an der mehr als umstrittenen Reform gefeilt, vor der zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Migrationsforscher*innen, Jurist*innen sowie Selbstorganisationen von Geflüchteten eindringlich warnen. Sie alle weisen darauf hin, dass sich die ohnehin katastrophale Situation an den EU-Außengrenzen immens verschärfen wird und das Grundrecht auf Asyl in Europa faktisch kurz vor seinem Ende steht.

SD