Punk und Politik gehören zusammen

von Mrs. Cave und der Oberbilker

Wie versprochen gibt es endlich das „Raccoone Records“-Special. An einem verregneten Sonntagnachmittag im November besuchte uns Rikk Raccoone in Oberbilk und stand Mrs. Cave und dem Oberbilker Rede und Antwort. Sein Labelmate Marco war leider verhindert, hat sich aber per Signal daran beteiligt.

Der Wahlkölner Rikk ist Anfang 40 und hat Raccoone Records (RR) vor genau 10 Jahren gegründet. Das war natürlich der Anlass, eine Jubiläumsausstellung bei BiBaBuze, dem „schönsten Buchladen der Stadt“ (Zitat Rikk), zu präsentieren. Die Ausstellung wurde gemeinsam mit Markus von Initiative Lama e. V. organisiert, mit dem Rikk und das Raccoone Label schon mehrfach kooperiert haben.

Die erste Zusammenarbeit der beiden fand im Rahmen der Micro Pop Week statt. Darum findet Rikk es besonders schön, dass auch das Labeljubiläum in diesem Setting stattfinden konnte.

Als roter Faden der Ausstellung diente die Chronologie der Veröffentlichungen. Gezeigt wurden im gemütlichen Buchladencafé aufwendig gestaltete Single- und LP-Cover, Konzertposter, Bandshirts und Merchandise. Ein immer wiederkehrendes Motiv ist der Waschbär. Dies ist laut Rikk einem Zufall geschuldet. Eine Freundin machte ein Foto eines Plüschwaschbären, der verloren in einem Sperrmüllhaufen auf der Kiefernstraße lag. Dieses Bild wurde dann zum Namensgeber und Erkennungszeichen von Raccoone. Inzwischen scheint der Waschbär zu Rikks „Totemtier“ geworden zu sein: „Ich bin einfach ein Waschbär“. Das Logo wurde von Nils Stencil Trash überarbeitet, der unter anderem auch schon für EA80, Asmus Tietchen und andere Musiker*innen kreativ tätig war. Freund*innen wie zum Beispiel Andrew Collar von Sunlun – auch auf RR – waren ebenfalls für das Artwork der Releases zuständig. Wobei die gestalterische Hoheit immer bei den Bands und Musiker*innen selber liegt.

Im Laufe der Jahre wurde Rikk vom Punk zum Aktivisten. Der DIY-Gedanke spielt eine große Rolle in seinem Leben. Was mit 16 als kein Instrument beherrschender, Luftgitarre spielender Punk ohne Rhythmusgefühl auf den Bühnen autonomer Zentren begann, mündete schließlich in dem Wunsch, dass es auch Menschen vor und neben der Bühne geben muss, die der Szene etwas zurückgeben.

Die Split-EP „Fresst Scheiße“ mit Cocktail Bar Stammheim/Mühlheim Asozial sollte eigentlich die erste Veröffentlichung werden, sie kam aber nicht recht in die Puschen und musste Alte Schule Masthorn, einem Kölner Elektro/HipHop-Duo, den Vortritt lassen. Ein Zuschuss der Stadtwerke Düsseldorf in Form einer Stromrückzahlung ermöglichte dies.

„Punk und Politik gehört für uns unweigerlich zusammen, danach werden auch die Bands ausgesucht, es muss stimmen, Bands und Label müssen zusammenpassen, und sie müssen auch etwas zu sagen haben. Ich würde nie eine Scheibe herausbringen, die ich nicht auch zuhause hören würde“, fasst Rikk den Anspruch des Labels zusammen. Oft kennen er und Labelmate Marco die Bands aus dem persönlichen Umfeld. Im Gespräch bedauert er, dass die Möglichkeit, die Menschen hinter/in einer Band kennenzulernen, nicht immer gegeben war.

Der Freundes- und Bekanntenkreis sei durch die Arbeit mit dem Label riesengroß geworden. So sieht es auch Marco, der erst einige Jahre später dazu stieß. Anfangs von Rikk zur Unterstützung bei Konzerten oder dem Verpacken von Platten hinzugezogen, wurde Marco immer unentbehrlicher und stieg bei Raccoone Records ein. Daraus ist auch eine enge Freundschaft entstanden. Rikk beschreibt sich selbst als einen eher chaotischen Menschen, sein Partner bringt Ruhe und Struktur rein. Die Zusammenarbeit mit ihm habe alles in eine geordnete Richtung geführt, gemeinsam haben sie schließlich eine GbR gegründet. Die Arbeit, die Rikk ein wenig über den Kopf wuchs, konnte so auf 2 Schultern verteilt werden. Es sei seine beste Entscheidung gewesen, Marco mit einzubinden. Selbst eine Steuerberaterin ist für das Label tätig, trotz alledem halten die beiden an dem Motto fest:

„Punk minus Anarchie = BWL, das ist herzlos, wenn es keine Aussagen mehr hat!“ Der gewachsene Freundeskreis durch die Labelarbeit, die sehr gute Vernetzung in der Szene und die Bereitschaft, auch neue Projekte zu unterstützen, haben RR bis jetzt aber immer wieder ermöglicht, mit dem Label andere Wege jenseits des Bekannten zu erkunden. Was als kleines DIY-Projekt in Flingern startete, wurde mit dem Umzug nach Köln größer und breiter aufgestellt, was auch Marco geschuldet ist. Er meinte nur über Signal: „Egal wie anstrengend es manchmal ist, ich hab es nicht wirklich bereut!“.

Der Umzug nach Köln hat Rikk geholfen, das Label und sich selbst neu aufzustellen und zu sortieren. Der Umstand, in der Kölner Punkszene anfangs nur „helping hand“ zu sein und weniger Verantwortung zu tragen, war für ihn erst einmal angenehm. Dann hat er aber festgestellt, dass er die Füße doch nicht stillhalten kann und fing an, Konzerte zu organisieren. In Köln ist sein Lieblingsclub Das Privat (Ex-„Club Scheiße“). Auch in Düsseldorf ist Rikk wieder im Linken Zentrum aktiv.

Inzwischen ist der Backkatalog von RR auf ca. 42 Releases angewachsen, bereut wird davon keine einzige. Die beiden würden vielleicht nicht mehr alles davon veröffentlichen, aber zu den damaligen Zeitpunkten habe es halt gepasst.

Reich sind Marco und Rikk noch nicht geworden, sie sehen es eher als ein sehr teures Hobby. Der finanzielle Rahmen ist für jedes Jahr eng gesteckt. Trotzdem gibt es bei Bandcamp die Möglichkeit, Raccoone-Veröffentlichungen digital mit „Pay What You Want“ zu erwerben. Somit können auch Menschen mit wenig oder ohne Kohle auf das Label zugreifen und sich an der Musik erfreuen. Das Label kalkuliert knapp, kam aber nicht drumherum, den LP-Preis anheben zu müssen. Da bei RR Qualität immer vor Quantität geht, sind Textblätter, bedruckte Innenhüllen, Aufkleber oder anderer Merch fast immer den Veröffentlichungen beigefügt. Rikk bekommt Schnappatmung, wenn er im Plattenladen ein lieblos gestaltetes Vinyl erblickt.

Unter Corona hat das Label natürlich auch gelitten. Ein Beispiel, welches Rikk anführt, ist die Chalk-EP von Choke Boy aus Dortmund. Veröffentlicht im Corona-Jahr 2, hatte die Band fast keine Möglichkeiten live zu spielen und die EP unter das durstige Punker*innen-Volk zu bringen.

Die Frage, wie es in 5 Jahren mit RR aussieht, stellen sich die beiden natürlich auch. Vielleicht müssen sie sich laut Rikk doch mehr mit digitalen Veröffentlichungen beschäftigen, wobei der Vinylmarkt ja momentan boomt. Mrs. Cave meint: Das ist ein harter Sammler*innen- (Gruß an Uli;-)) Markt und der wird bestehen bleiben. Eine Alternative hat sich für RR schon aufgetan. Presswerke bieten inzwischen Schallplatten aus dem Restgranulat an, welches bei der Herstellung übrig bleibt. Durch die individuelle Marmorierung ist jede Scheibe ein Unikat, die Herstellungspreise sind dadurch erschwinglicher. Soundtechnisch macht sich das nicht bemerkbar, die LP Rot von Neon Neon etwa ist so hergestellt worden.

Ein andere Ansatz ist, die Jugend an Vinyl heranzuführen, obwohl: Wollen wir das wirklich verantworten? Die Wohnung vollgestellt und der Kühlschrank leer, das braucht doch niemand!

Eine andere Alternative sind natürlich Tapes. Coole Narben, das Tape der Düsseldorfer Band OIRO, ist jetzt schon in der dritten Auflage erhältlich. Das neue Oiro-Album Ra Ta Ta Ta Ta wird exklusiv 3 Monate vor der Vinyl-Veröffentlichung am 01.12.23 als Tape in die Preorder gehen und am 15.12. hoffentlich pünktlich das Licht der Welt erblicken. Heiß erwartet in diesem Jahr werden noch die No Shelter / Menschenstaub Split-LP, das neue Inner Conflict Album At Any Time und das Gosse Demo- Tape. Kleiner Tipp am Rande, Raccoone Records haben eine sehr gut gestaltete Webseite, wo der Warenkorb nur darauf wartet, gut gefüllt zur Kasse getragen zu werden.

Rikks Fazit nach all den Jahren ist: „Ich merke, ich kann einfach nicht stillstehen und nur konsumieren. Außerdem kann man so Konzerte mit Bands veranstalten, die man gut findet und auch befreundeten Bands die Möglichkeit geben, in Köln oder Düsseldorf zu spielen. Ein weiterer Faktor ist, auch die Szene so ab und zu in die für mich richtige Richtung zu schubsen“.

Die Abschlussfrage, welches denn sein liebstes Projekt gewesen ist, beantwortete er mit: „Alle!“

Alle waren für die jeweilige Zeit die richtige Entscheidung und von den Freundschaften und Kontakten, die daraus entstanden sind, schöpfen er und Marco immer wieder neue Kraft und Inspiration. Als Beispiel nennen sie Postford, alte Freunde aus Bremen, aus denen dann Neon Neon entstanden ist. Deren Debut ist in TERZ # 6/23 von uns besprochen worden.

Für Marco entstand aus der Labelarbeit der Kontakt zu den Menschen, mit denen er dann die Band Theilen gegründet hat. Außerdem findet Marco es „total schön Musik zu entdecken, und feiert es total, dass Leute so etwas Schönes kreieren können, das auch so viele Emotionen auslöst“.

Rikk meinte zum Schluss nur: „Da sind viele Platten und Tapes bei, die ich selber abfeiere!“

Dem können sich Mrs. Cave und ich nur anschließen und wir wünschen den beiden und Raccoone Records noch viele erfolgreiche Jahre. Möge nie Ebbe in der Labelkasse sein!

Ein kleiner Anspieltipp bei Bandcamp, hört euch mal die Eisbär-Coverversion von Rocketboy an (-.
https://rocketboy1.bandcamp.com/track/waschb-r

Aber gute Musik kommt nicht nur aus Köln, sondern auch aus Klein Paris:
Am 28.10.23 erschien der INDUSTRIAL Sampler über Krachladen Records. Fieldrecordings von Geräuschkulissen, aufgenommen an verschiedenen Düsseldorfer Industriestandorten, z. B. bei der Teekanne, bei metallverarbeitenden Firmen, der AWISTA, dem Flughafen oder anderen Orten, wurde vom Who Is Who der Düsseldorfer Musikszene musikalisch aufbereitet. Von den Joseph Boys über JayJay bis hin zum Pyrolator sind alle dabei. Die Krupps natürlich, mit Soundmaterial von Vallourec. Selbst Tommi Stumpff ist posthum vertreten, er hat Industriegeräusche von der Konecranes GmbH auf dem Stück Unstille verarbeitet. Tom Blankenberg von der Skyline Tonfabrik hat das Mastering übernommen und selbst einen Track beigesteuert. Abgerundet wird die Doppel LP durch eine Handvoll Beileger, die ausführliche Informationen zu den Aufnahme-Locations und den Mitwirkenden geben. Ein tolles Aushängeschild für unsere geliebte Stadt und unsere Musikszene! Wer Interesse hat oder noch ein Weihnachtsgeschenk sucht, sollte sich beeilen. Die Auflage ist auf 500 Exemplare limitiert und läuft wohl bei Hitsville wie geschnitten Brot. Ein wirklich interessanter Sampler, der zum Jahresende in Oberbilk auf dem Plattenteller gelandet ist! Weniger MTV und mehr Diversität hätten dem Projekt allerdings gut getan!!!

Wenden wir uns deswegen den Bloodflowers aus Düsseldorf zu. Aufmerksam sind wir auf die Band um Sängerin und Gitarristen Nadia Wardi durch ihre erste EP, String Of Hearts, geworden. Zwei Psychedelic-Pop-Songs, die uns sehr begeistert haben. Umso erfreulicher, dass die Bloodflowers dieses Jahr beim Golzheim-Fest spielten und live absolut überzeugten! Die Gitarrenwände packten uns und das anwesende Publikum total. Nadia Wardi war so nett, uns das Debütalbum Nebula, welches erst im Dezember erscheint, vorab zu überreichen.

Der sehr gute Eindruck, den die Bloodflowers in Golzheim hinterlassen haben, wird zu 100 % auf dem Longplayer bestätigt! 6 Songs mit Shoegaze- und Dream-Pop-Anleihen, die für Fans von Suzan Köcher‘s Suprafon, Palace Fever oder den Blackberries empfehlenswert sind. Die psychedelischen Gitarrenwände sind dronig genug, um den Bogen vom Niederrhein nach UK zu schlagen. Auf die Release-Show am 30.11.23 im R25, dem Kulturschlachthof in Derendorf, freuen Mrs. Cave und ich uns schon sehr, vielleicht sehen wir uns da.

Grüße aus Oberbilk.