Heines berühmte Leser*innenschaft

Die Ausstellung zeigt auf, wie unterschiedlich der Dichter wahrgenommen wurde. Hans Christian Andersen schrieb: „Heine ist wie ein prasselndes Feuerwerk, es verglüht, und man steht in der schwarzen Nacht.“

Ganz anders das Urteil von Friedrich Engels. Der hatte 1847 eine Sammlung von Gedichten unterschiedlicher Autoren rezensiert. Alles sei Mittelmaß und Plattitüden, ein schnell verprasselndes Feuerwerk, das nichts als Qualm hinterlässt, durch welchen „als unveränderlich helle Sterne nur die sieben Gedichte von Heine hindurchschimmern […].“ Zu diesen „hellen Sternen“ zählt Engels auch „Die Schlesischen Weber“, eine bittere Anklage herrschender Ausbeutungsverhältnisse.

Engels taucht in der Ausstellung nicht auf, dafür aber Marx. „Vor einigen Tagen fiel mir zufällig eine kleine Schmähschrift gegen Sie in die Hand – hinterlassene Briefe Börnes“, schreibt Marx am 5. April 1846 aus dem Brüsseler Exil an Heine in Paris. Marx kündigt „eine ausführliche Kritik“ von Heines Börne-Buch an, empört sich: „Eine tölpelhaftere Behandlung als dieß Buch von den christlich-germanischen Eseln erfahren hat, ist kaum in irgend einer Litteraturperiode aufzuweisen.“ Zur prominenten Leser*innenschaft zählen z. B. auch Alexander von Humboldt, Alexandre Dumas, Friedrich Nietzsche und die Kaiserin Sisi von Österreich-Ungarn. Schubert, Schumann, Liszt und Felix Mendelssohn hatten Heine-Gedichte vertont. Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen, bis in das 20. und 21. Jahrhundert. Sie reicht von Kurt Tucholsky, Anna Seghers, Emine Sevgi Özdamar, Erich Kästner, Bertolt Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Ruth Klüger, Armin Mueller-Stahl und Amos Oz bis hin zu Katja Ebstein. Alles recht amüsant. Doch es stellt sich die Frage: Hat der Autor uns heute noch was zu sagen?

Das breite Spektrum von Heines Leser*innenschaft

Die Ausstellung war Anlass, mich wieder in Heines Schriften zu vertiefen. Das Freche, das Frivole wurden mal als „typisch jüdisch“, mal als „typisch französich“ denunziert. Deshalb stand Heine nicht nur im Vatikan auf dem Index. Deutschtümler*innen distanzierten sich von ihm, etliche Juden und Jüdinnen ebenfalls, so z.B. der zum Refomjudentum zählende Gabriel Riesser. Bei Heine seien jene Fehler zu finden, „welche eine gedankenlose Bosheit dem Juden zuschreiben will“, schreibt er. Für Heine sei „das Judentum nur insofern etwas, als dass es manchen Witz zutage fördern konnte.“

Heine hatte nach abgeschlossenem Jurastudium vor der Wahl gestanden, entweder ausgegrenzt zu werden für etwas, für das er nichts kann (in eine jüdische Familie hineingeboren zu sein) oder aus politischen Gründen. Er wählte letzteres. Sein Vorbild: Gotthold Ephraim Lessing. „Vor dem Lessingschen Schwerte zitterten Alle. Kein Kopf war vor ihm sicher. Ja, manchen Schädel hat er sogar aus Uebermuth heruntergeschlagen, und dann war er dabey noch so boßhaft ihn vom Boden aufzuheben, und dem Publikum zu zeigen, daß er inwendig hohl war.“ Und wen Lessings Schwert „nicht erreichen konnte, den tödtete er mit den Pfeilen seines Witzes“, schrieb er 1834 in „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. Heine setzt bei der Epoche der Aufklärung an, bezieht sich auf die Mitstreiter von Moses Mendelssohn, hebt hervor: „Moritz ist mir der liebste. Er leistete viel in der Erfahrungsseelenkunde.“ Im Roman „Anton Reiser“ verarbeitete Karl Philipp Moritz – er war in streng pietistischem Elternhaus groß geworden – seine eigene Kindheit verarbeitet, und ließ plastisch werden, welche Schäden engstirnige Orthodoxie in einem Menschen bewirken kann. Ab 1783 gab Moritz gemeinsam mit Karl Friedrich Pockels und Salomon Maimon das „Magazin für Erfahrungsseelenkunde“ heraus. Als Maimon die eigene Kindheit im orthodox-jüdischen Elternhaus schilderte, übernahm Moritz die Herausgeberschaft. Dieses Buch, so Moritz im Vorwort, werde „für einen jeden anziehend sein, dem es nicht gleichgültig ist, wie die Denkkraft, auch unter den drückendsten Umständen sich in einem menschlichen Geiste entwickeln kann.“ Hierauf konnte Heine aufbauen. Er kannte sich bestens aus in Bibel, Thora, Talmud und Koran. „Man hat mir vorgeworfen, ich hätte keine Religion. Nein, ich habe sie alle.“ An anderer Stelle betont er: „Nur so lange die Religionen mit anderen zu rivalisiren haben, und weit mehr verfolgt werden als selbst verfolgen, sind sie herrlich und  ehrenwerth“. In einem Brief an Georg Weerth erläutert er, was er mit dem Nachwort zum „Romanzero“ habe sagen wollen, „nämlich, daß ich als Dichter sterbe, der weder Religion noch Philosophie braucht, u. mit beiden nichts zu schaffen hat.“ Ein Dichter verstehe „sehr gut das symbolische Idiom der Religion u. das abstracte Verstandeskauderwelsch der Philosophie, aber weder die Herren der Religion noch die der Philosophie werden jemals den Dichter verstehen.“

Heine war ein erklärter Gegner von Fanatismus – egal welcher Couleur. Im Mittelalter hätten Pogrome noch einen religiösen Anstrich gehabt, es hieß, „man müsse diejenigen tödten, die einst unsern Herrgott getödtet“ haben. „Die blutige Parodie eines solchen Wahnsinns“ hätte es beim Ausbruch der Revolution in Haiti gegeben, wo ein schwarzer Fanatiker „ein ungeheures Crucifix trug und blutdürstig schrie: Die Weißen haben Christum getödtet, laßt uns alle Weißen todtschlagen!“ Was jahrzehntelange Unterdrückung aus Menschen machen kann, hatte er Moses Moser, dem Mitstreiter im „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“, 1824 in Versform mitgeteilt. Titel: „An Edom“. Die Bezeichnung „Edom“ steht im Judentum für einen Nichtjuden:

Ein Jahrtausend schon und länger,
Dulden wir uns brüderlich,
Du, du duldest daß ich athme,
Daß du rasest dulde Ich.

Manchmal nur, in dunkeln Zeiten,
Ward dir wunderlich zu Muth,
Und die liebefrommen Tätzchen
Färbtest du mit meinem Blut‘.

Jetzt wird unsre Freundschaft fester,
Und noch täglich nimmt sie zu;
Denn ich selbst begann zu rasen,
Und ich werde fast wie Du.

Als es 15 Jahre später in Damaskus – Syrien war zu der Zeit Teil des Osmanischen Reiches – zu einem Pogrom an der jüdischen Bevölkerung kam, warnte er: „Der Fanatismus ist ein ansteckendes Übel, das sich unter den verschiedensten Formen verbreitet und am Ende gegen uns alle wütet.“ Was war passiert? Ein Kapuzinermönch war in Damaskus tot aufgefunden worden. Die Mitbrüder beschuldigten Juden, ihn bei einem Ritualmord getötet zu haben. Heine kommentiert dies in einer Artikelserie: Es foltere „der Henker, und auf der Marterbank gesteht der Jude, daß er bey dem herannahenden Paschafeste etwas Christenblut brauchte zum Eintunken für seine trockenen Osterbröde, und daß er zu diesem Behufe einen alten Kapuziner abgeschlachtet habe!“ Das Skandalöse: Die Folter fand unter Beisein des französischen Konsuls Graf Ratti-Menton statt. Und der ließ das Pamphlet, das die Juden des Ritualmords beschuldigte, ins Arabische übersetzen und verbreiten. Und dies „löste eine grausame Verfolgung aus, bei der viele Juden denunziert, verhaftet, gefoltert und getötet wurden. Pogrome fanden weit über Damaskus hinaus statt.“ (Sabine Bierwirth) Über die osmanischen Besatzer verliert Heine kein gutes Wort: „Der Türke ist dumm und schnöde, und stellt gern seine Bastonaden- und Torturapparate zur Verfügung“, und es freue ihn gewiß, „wenn der christliche Giaur [arabisch-islamischer Ausdruck für „Ungläubige“] ihm Gelegenheit giebt, mit einigem Anschein von Recht den jüdischen Giaur zu mißhandeln. Wartet nur, wenn es mahl des Paschas Vortheil seyn wird und er nicht mehr den bewaffneten Einfluß der Europäer zu fürchten braucht, wird er auch dem beschnittenen Hunde Gehör schenken, und dieser wird unsere christlichen Brüder anklagen, Gott weiß wessen! Heute Amboß, morgen Hammer!“

Heine attackiert auch Pariser Juden, welche die Verfolgung ihrer Glaubensbrüder mit einem Achselzucken hinnahmen: „Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emancipirt“, sie seien „fast ganz untergegangen, oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität.“ Sie seien „gerade eben solche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die 24 Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern!“ Und die französische Politik? „Der hiesige Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herr Thiers“ offenbarte in der Angelegenheit „eine befremdliche Lauheit“. Der Grund: Thiers benötigte in der Pairskammer die Stimmen der erzkonservativen ultramontanen Katholiken. Deshalb wollte er sich nicht mit ihnen anlegen und schwieg. Eine Lektüre dieser Briefe, die ab dem 7. Mai 1840 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erschienen, ist erhellend („Lutezia I“).

Doch zurück zur Ausstellung. Ein Besuch ist wirklich empfehlenswert. Schon allein aus gesundheitlichen Gründen. Die Hinweise zu den Personen, die sich zu Heine äußerten, sind in winziger Schrift auf der Augenhöhe von Dreijährigen angebracht. So kam ich endlich mal zu den Kniebeugen, die zwar zu meinem Tagespensum zählen, aber dennoch nie mache. Und wer seine Freude daran hat, mit welch winziger Schrift Nietzsche einst seine Briefe schrieb und wie Alexander von Humboldt seine Messages aufs Papier krakelte, und wer gerne mal einen Originalbrief von Marx sehen will, der oder die sollte unbedingt hin. In einer Vitrine ist die Puppe Michael zu bestaunen, in der Anna Seghers, Mitbegründerin des Heine-Klubs im mexikanischen Exil, einen Originalbrief Heines an seine Mutter aus Nazi-Deutschland schmuggelte. Auch ich habe manches Neue erfahren, Vergessenes wieder auffrischen können.

Endlich mal eine Ausstellung ohne Skandal? Nein, das nun nicht. Amos Oz (1939-2018), Mitbegründer der israelischen Initiative „Peace Now!“, der sich für eine Zweistaatenlösung einsetzte, und sich selbst als „Fachmann für vergleichenden Fanatismus“ bezeichnete, taucht nicht auf. Einfach übersehen? Oder war Oz den Ausstellungsmacher*innen mit seinem Einmischen in die Politik und seiner offenen Kritik an der israelischen Regierung zu heiß? Stattdessen ist aber der Heine-Preisträger von 2022, Jurij Andruchowytsch vertreten. Er sei eine der „einflussreichsten intellektuellen Stimmen der Ukraine“, lesen wir. Eine uninformierte Jury darf schon mal daneben liegen. Aber seit der TERZ-Veröffentlichung „Der Kulturkrieger“ im Dezember 2022 (TERZ 12.22) wissen wir, wes Geistes Kind Andruchowytsch ist. Der bezeichnete einst als „unsere lokale Apokalypse“, dass „Zuwanderer aus fernen Steppen, wo achtfingrige Riesen leben, wo man Wodka trinkt wie Wasser“ – er meint damit den russischsprachigen Osten der Ukraine – zu uns kommen. Er schlug vor, wie „die Ukraine zum Beispiel den Donbass loswerden könnte“. Denn der sei mit seinem „lumpenproletarischen Konservatismus“ Teil der eurasischen Welt. Angst vor Überfremdung? Das kennen wir doch irgendwoher. So wächst eben zusammen, was zusammengehört. 2010 hatte Andruchowytsch noch dafür plädiert, „der Krim und dem Donbass die Unabhängigkeit und die Möglichkeit der Abspaltung zu geben“. Die Regionen wären „politisch Teil der russischen Nation“. Völkerverständigung im Sinne Heines sieht anders aus. Warum ist Jurij Andruchowytsch in der Ausstellung vertreten, Amos Oz und z.B. auch Ruth Klüger nicht? Die Leiterin des Instituts, Dr. Sabine Brenner-Wilczek, wird uns diese Frage noch beantworten müssen.

Thomas Giese

Sonderausstellung „Dichter? Liebe! - Heines berühmte Leserschaft“ im Heinrich-Heine-Institut
Bilker Straße 12-14
Bis 18. Februar