Kriegsertüchtigung

zur Moral der Truppe

Red Hand Day

Der Red Hand Day, der internationale Aktionstag der UNICEF, der mit einem roten Handabdruck ein Zeichen gegen den Einsatz von Kindersoldaten setzt, fällt am 12. Februar 2024 auf den Rosenmontag. Das feuchtfröhliche Ambiente der tollen Tage ist für die Düsseldorfer Friedensaktivist*innen ein denkbar schlechtes Umfeld für Mahnwachen im öffentlichen Raum.

Aber mit Aschermittwoch ist bekanntlich alles vorbei, der Ernst des Lebens beginnt wieder. Der Beginn der Fastenzeit ist Anlass genug, das Volk auf künftige Entbehrungen in den Zeiten der Kriege einzustimmen. Schließlich steht der Feind im Osten nach der NATO-Erweiterung praktisch vor der Haustür, und auch im Westen gibt es einiges Neues. Donald Trump, der vermutliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, droht damit, den atomaren Schutzmantel der USA nicht mehr über die europäischen Staaten auszubreiten, die das 2-Prozent-Ziel der NATO in Sachen Hochrüstung nicht erreichen. Die Bundesregierung befleißigt sich umgehend zu vermelden, dass die Verteidigungsausgaben dieses Jahr 2 Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts erreichen werden. Stolz wird darauf verwiesen, dass die Bundesrepublik zum zweitgrößten Finanzier des Ukrainekriegs nach den USA aufgerückt ist.

Aber wird das reichen?

Das quasi unantastbare 100-Milliarden-Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr soll um 100 oder gar 200 Milliarden aufgestockt werden. Oder eben die bisher sakrosankte Schuldenbremse zu Zwecken der Hochrüstung ausgesetzt werden. Man müsse auch über eine eigene europäische Atombombe „nachdenken“, ist selbst aus Reihen der Grünen zu hören. Die Begeisterung in der Bevölkerung über solche „Zukunftsvisionen“ ist verhalten. Absehbar ist auch, dass steigende Verteidigungsausgaben in Zeiten der wirtschaftlichen Stagnation ohne weitere soziale Kürzungen nicht mehr zu schultern sein werden.

Nach Berechnung des Londoner Strategieinstituts IISS sind die weltweiten Verteidigungsausgaben 2023 um 9 % auf gut zwei Billionen Euro angewachsen. Die USA zeichnen für 40 % aller Rüstungsausgaben weltweit verantwortlich und bestreiten fast 70 % aller Ausgaben der Nato-Staaten. Trotz besserer Konjunkturdaten in den USA als in Europa ist dort für viele Menschen auch außerhalb des Trump-Lagers das Ende der Fahnenstange bei den Militärausgaben erreicht. Es wird deshalb mit einer Phase der „strategischen Instabilität“ gerechnet.

Von einer selbstständigen Verteidigungsfähigkeit ist Europa weit entfernt. Diese zu erreichen, würde massive Ausgabensteigerungen erfordern, Kosten, die alle bisherigen Erhöhungen in den Schatten stellen würden. Von einer militärischen Unabhängigkeit von den USA ist Europa Lichtjahre entfernt. Die Einsparungen ,die die Ampelregierung in den vergangenen Monaten verkündet hat, sind Peanuts gegen die Kürzungen, die im Sozialbereich notwendig würden. Auf gut deutsch: das ist Sprengstoff, der den „sozialen Frieden“ in Deutschland bedroht.

Eine Frage der Moral

Die Moral der Truppe lässt zu wünschen übrig. Das zeigt sich auch an den vergeblichen Bemühungen der Bundeswehr, die sich das Ziel gesetzt hat, die Truppenstärke bis 2030 von aktuell 182.000 auf 203.000 aufzustocken: viele der jungen freiwilligen Rekrut*innen gehen schon wieder nach kurzer Zeit enttäuscht von der Fahne.

Flankierende Maßnahmen wären notwendig. Eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird angestoßen. Schützenhilfe leistet vielleicht auch die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres, könnte das doch mehr junge Menschen dazu bewegen, sich durch diesen sanften Druck eher für den Dienst an der Waffe zu entscheiden. So schlägt die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) einen Bürgerrat zur Einführung eines allgemeinen Dienstjahres vor, der die Bevölkerung möglichst behutsam an diesen Gedanken gewöhnen soll. Widerspruch kommt aus der Union, die eine allgemeine Dienstverpflichtung nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben sehen will. Sie möchte das Thema nicht in einem Bürgerrat, sondern im Bundestag behandeln und dort einen Beschluss auf den Weg bringen.

Warum nicht im Kleinen, das heißt, bei den Kleinen anfangen?

Zurück nach Düsseldorf. Aktivist*innen der Düsseldorfer Friedensbewegung (DFG-VK, Pax Christi und Düsseldorfer Appell gegen Aufrüstung und Krieg) verlegen den internationalen Red Hand Day kurzerhand vom Rosenmontag auf Freitag den 16. Februar vor das Landesbüro der Grünen auf der Oststraße. Warum hier? Mittlerweile leisten in der Bundeswehr rund 2000 Minderjährige, davon ein Viertel Mädchen, Dienst. Das verstößt massiv gegen internationale Vereinbarungen, die den Einsatz von Kindersoldaten bannen. Die Mahnwache vor dem Landesbüro der Grünen an diesem verschobenen Red Hand Day legte hier den Finger in die Wunde.

Junge Offizier*innen der Bundeswehr bemühen sich aktiv um die Werbung an Schulen und in Berufsorientierungsmaßnahmen für Jugendliche. Die Zahl der Vorträge an Schulen ist von 3.200 (2013) auf 4.300 (2022) gestiegen, im letzten Jahr dürften diese Propagandaveranstaltungen weiter zugenommen haben. Aber genug ist nicht genug: Die CDU fordert, diese Veranstaltungen als verpflichtenden Teil des Unterrichts einzuführen. Zusätzlich sollen sogenannte Karriereberater*innen über die Vorteile einer Bundeswehrlaufbahn als Zeitsoldat*in informieren, wie z. B. die Möglichkeit der Umgehung des Numerus Clausus für ein Medizinstudium.

Und wie sieht es mit der Moral der Truppe im Osten aus?

Laut Eurostat, dem offiziellen Statistikamt der EU, haben seit Beginn des Krieges 650.000 Männer die Ukraine in Richtung Westeuropa verlassen. In Deutschland allein halten sich ungefähr 100.000 nicht registrierte ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter auf. Insgesamt sind es 200.000 Männer.

Kriegsdienstverweigerung ist nach deutscher Rechtsprechung kein Asylgrund. Aktuell gewährt Deutschland ukrainischen Männern, die nicht an die Front wollen, freiwillig ein Aufenthaltsrecht. Es ist aber möglich, dieses Aufenthaltsrecht jederzeit wieder zu beenden. Grundsätzlich können sich Ausländer*innen nicht auf Artikel 4 Absatz 3 GG (Kriegsdienstverweigerung) berufen und um Asyl bitten oder eine Abschiebung verhindern.

Wolodymyr Selenskyj sieht sich auch in der eigenen Bevölkerung mit einer zunehmend abnehmenden Wehrbereitschaft konfrontiert. Frauen von im Einsatz befindlichen Männern fordern nach zwei Jahren Krieg die die Ablösung ihrer Angehörigen. 500 000 zusätzliche Soldaten werden als Ersatz benötigt. Ob die Absenkung des Einberufungsalters auf 25 Jahre diese Lücke wird schließen können, ist fraglich. Deshalb würde Selenskyj gerne auf wehrdiensttaugliche ukrainische Männer in der Bundesrepublik zurückgreifen. Sein Ansinnen wurde zunächst zurückgewiesen, aber man bemüht sich um eine Hilfskonstruktion: Wäre es nicht möglich, diese Männer an die Front zu bekommen, wenn mensch den Nachweis führen könnte, dass diese nur durch Bestechung oder mittels gefälschter Pässe die Ukraine verlassen konnten? Es ist noch nicht völlig ausgeschlossen, dass die Bundesregierung diesen Wunsch doch entsprechen könnte.

Kriegsdienstverweigerung in Russ­land

Ziemlich düster sieht es für russische Soldaten aus, die den Dienst an der Waffe verweigern und deshalb ihr Land verlassen wollen. Von Beginn des Krieges bis September 2023 haben schätzungsweise mindestens 250.000 Militärdienstpflichtige Russland verlassen und Schutz in anderen Ländern gesucht. Die Zahl der Strafverfolgungen wegen Desertion, unerlaubter Abwesenheit oder Befehlsverweigerung ist im Jahr 2023 laut der oppositionellen Nachrichtenplattform Mediazona bis November 2023 auf mehr als 4.500 Verfahren angestiegen. „In 3.470 Fällen sind bereits Urteile ergangen. Die Militärgerichte haben 100 Urteile seit Juni 2023 pro Woche gefällt. Der Höchststand wurde im August erreicht – 457 Urteile allein in diesem Monat.“

Nur wenige fliehen in die Länder des Schengen-Raums, was unter anderem mit den fehlenden Fluchtwegen und der sehr restriktiven Visavergabe der EU-Länder zu tun hat. Nach einer Statistik von Eurostat stellten zwischen Februar 2022 bis Ende November 2023 nur etwa 13.000 Männer im militärdienstpflichtigen Alter einen Asylantrag in einem EU-Staat. Connection e. V. geht davon aus, dass davon rund 70 %, also rund 9.000 Männer, in Russland militärdienstpflichtig sind.

In Deutschland stellten vom 24.2.2022 bis Ende des Jahres 2022 1.150 Männer im wehrfähigen Alter (18–45 Jahre) einen Asylantrag. In den ersten acht Monaten im Jahr 2023 waren es weitere 2.337 Anträge.

Nur 248 wehrdienstfähige Männer aus Russland erhielten seit Kriegsbeginn bis September 2023 eine inhaltliche Entscheidung in einem deutschen Asylverfahren. Bei den 204 inhaltlichen Entscheidungen im Jahr 2022 wurden 81 Anerkennungen von internationalem Schutz (Flüchtlingsanerkennung und subsidiärer Schutz) erteilt und 123 Ablehnungen.

Im Jahr 2023 bis Ende September fällt das Verhältnis noch schlechter aus. Bei 44 inhaltlichen Entscheidungen wurde gerade mal elf Personen internationaler Schutz erteilt, 33 Personen erhielten eine Ablehnung.

Ins Verhältnis gesetzt heißt das: Gab es im Jahr 2022 zumindest noch 40 % positive Entscheidungen bei den inhaltlich geprüften Asylanträgen vom Männern aus Russland im wehrdienstfähigen Alter, so nahm die Quote für Januar bis September 2023 deutlich ab. Nur noch 25 % der inhaltlich geprüften Asylanträge wurden positiv beschieden. (Quelle: Pro Asyl, 21.2,24)

Wehrdienstverweigerung in Belarus

Belarus befindet sich nicht offiziell im Krieg mit der Ukraine, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sich das ändern könnte. Jedenfalls finden in Belarus zurzeit verstärkte Mobilisierungsmaßnahmen statt. Alle jungen Männer müssen zwischen ihrem 18. und 27. Lebensjahr einen 18-monatigen Militärdienst ableisten (zwölf Monate für Männer mit Hochschulbildung). Danach können Männer zu einer jährlichen Reservistenübung einberufen werden.

Die in Litauen ansässige belarussische Organisation Nash Dom teilte Anfang März mit, dass in Belarus alle Männer im Alter zwischen 18 und 58 Jahren aufgefordert wurden, sich bei den zuständigen Behörden zu melden. Staatspräsident Lukaschenko plane die Einberufung von 35.000 bis 40.000 Männern. Das könnte der Auftakt zum Kriegseintritt sein. (Quelle: connection e. V.)

In Belarus gibt es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur sehr eingeschränkt für Angehörige bestimmter religiöser Gruppen. Viele versuchen sich deshalb jetzt schon einem Dienst an der Waffe durch Ausreise zu entziehen.

Schon Mitte März 2022 schrieb Nash Dom an Connection e. V., dass nach ihren Schätzungen zumindest 3.000 Militärdienstpflichtige aus Belarus nach Litauen geflohen sind.

Kriegsbegeisterung sieht anders aus

Trotz der moralischen Appelle der Militärstrategen in den Talkrunden der Öffentlich-Rechtlichen und den Durchhalteappellen von Süddeutscher Zeitung bis Rheinischer Post, Kriegsbegeisterung sieht anders aus. Und auch in der Ukraine, in Belarus und in Russland gehen immer mehr Menschen von der Fahne.

Wir können uns diese Kriege nicht mehr leisten – nicht nur aus sozialen und ökologischen Gründen.

Text und Fotos (sie Druckausgabe) Michael Flascha

Quellen:

* https://proasyl.de/news/kaum-schutz-fuer-russinnen-und-russen-die-sich-dem-krieg-verweigern/
* https://de.connection-ev.org
* https://soziale-verteidigung.de/arbeit-haus (über die belarussische Organisation Nash Dom)