bookKampftage

Ein Buch über´s Boxen in der TERZ? Und dann noch eins über das deutsche Berufsboxen? Der alte Traum der deutschen Volksgemeinschaft, endlich mal einen "arischen" Kampfkoloss zu sehen, der den Bimbo so richtig einstampft? Irrtum - die Autoren Knut Kohr und Martin Krauss nähern sich dem Massenphänomen Boxkampf nicht aus einer nationalistischen Perspektive, sondern zeichnen vielmehr die Geschichte des deutschen Boxsportes unter dem Gesichtspunkt seiner Vermarktungsfähig-keit und politischen Instrumentali-sierung nach. Das tut ihrer Begeisterung für den Boxkampf keinen Abbruch. Ihr Bekenntnis zur "Faszination Boxen" entspricht der typisch männlichen voyeuristischen Begeisterung für die archaische Gewalt im Ring : "Mach ihn fertig!!!" Eine Begeisterung, die mit dem Aufkommen des Boxens als Massensportart auch linke Intellektuelle wie Bert Brecht oder George Grosz erfasste. Der Soziologe Max Horkheimer - so erfahren wir durch die Lektüre - entschuldigte sich 1952 für seine Abwesenheit bei einem Empfang mit den Worten: "Wir haben uns einen Boxkampf angesehen. Sehr zu empfehlen. Das beste Mittel gegen Aggression." Das Phänomen des Gewalt-voyeurismus wird in dem Buch jedoch nicht hinterfragt, sondern schlicht als etwas Existentes hingenommen. Auch dem Frauenboxen widmen die Autoren in ihrem Buch ein ganzes eigenes Kapitel. Also doch nicht nur die Männer, die erregt und mit offenen Vernichtungsphantasien die Punchs von Ali, Tyson, Rocky oder dem Tiger verfolgen? Scheinbar nicht, denn immer wieder outen sich auch Frauen als begeisterte Box-Fans: Das war laut Autoren bei Hildegard Knef genauso der Fall wie z.B. bei Caterina Valente... Na, vielleicht ist der tiefenpsychologische Einblick in dieses Phänomen einfach eine spannende Geschichte für ein anderes Buch. Doch das macht diese Neuerscheinung nicht weniger interessant, denn wir, also die unreflektierenden Box-Faszinierten, erfahren nicht nur viele interessante und verschüttete Details über die Geschichte und Entwicklung des deutschen Boxsportes, sondern auch einiges über den Werdegang berühmter sowie vergessener Boxer selbst, was sonst nicht in Geschichten über das Boxen auftaucht. Eine dieser Geschichten ist der Werdegang von "Gipsy" Trollmann, Ende der Zwanziger Norddeutscher Landesmeister im präfaschistischen Deutschland. Johann Trollmann versuchte tragischerweise sein Boxerglück im nazistischen Deutschland. Dem deutschen Sinti wurde von den Nazis nicht nur der Deutsche Meisterschaftstitel verwehrt. Während bekannte jüdische Boxer wie Erich Seelig oder Harry Stein in weiser Voraussicht emigrierten, erduldete "Gipsy" Trollmann - von seinen Freunden "Rukelie" genannt, die rassistische Hetze in der Presse. Schon 1930 hieß es in der Zeitschrift Boxsport: "Der Trollmann wird nie aus seiner Haut heraus können und bedeutet für jede seriöse Veranstaltung, wenn er im Programm eine führende Position einnimmt, eine Gefahr", weil er dazu neige, "plötzlich wie ein Derwisch zu tanzen." Sein Können wurde für die Nazis zur Gefahr: Ein "Zigeuner", der die "arischen Helden" einstampft, das durfte nicht sein. Als Trollmann am Abend des 9.6.1933 in Berlin die Deutsche Meisterschaft gegen Adolf Witt erkämpft hatte, versuchte die NSDAP-durchseuchte Jury ihm den Titel abzuerkennen. Trollmann protestierte mit Tränen in den Augen, und unter dem Publikumsdruck wurde ihm zunächst der Titel zugesprochen. Vier Tage später hieß es in einer offiziellen Stellungnahme des Verbandes, daß der Kampf ohne Entscheidung zu werten und Trollmann doch kein Meister sei: "Es gab keine andere Lösung, wenn man den deutschen Berufsboxsport nicht der Blamage aussetzen wollte", kommentierte der Berliner Lokalanzeiger. 1938 wurde Trollmann verhaftet und in ein Arbeitslager gesteckt, 1942 in das KZ Neuengamme eingeliefert: "Was er dort erleiden muss, hat später ein Lagergenosse berichtet. Immer wenn sich die SS-Männer im KZ Neuengamme langweilen, muß Johann Trollmann für Abwechselung sorgen. Sie stülpen ihm Handschuhe über, krempeln die Ärmel hoch und rufen: 'Los Zigeuner, wehr dich!' Dann rammen sie ihre Fäuste in den ausgemergelten Körper." Am 9. April 1943 morgens um 6.00 Uhr wird der Deutsche Meister Johann Trollmann im KZ Neuengamme erschossen. Auf Anfragen gibt die Stadt Hannover auch heute noch - so die Autoren - als Todesursache Trollmanns "Kreislaufschwäche" an.
TERZ-Tipp: Kaufen! Lesen!

AL C.

Knut Kohr/ Martin Krauss: Kampftage.
Die Geschichte des deutschen Berufsboxens. Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2000, 288 S., zahlreiche Fotos, Hardcover, 36 DM


bookNakam - Jüdische Rache an NS-Tätern

Ein Thema, das lange Zeit tabu war, ist die Rache an den Nazis von jüdischer Seite. Nur ganz selten ist dazu in Büchern etwas zu finden. Erst einige Artikel in der Zeitschrift Konkret und ein Fernsehbeitrag brachten das fast unbekannte Thema etwas mehr an die Öffentlichkeit. Das führte auch prompt zu Ermittlungsverfahren der Nürnberger Staatsanwaltschaft. In Nürnberg war es auch, wo 1946 einige jüdische Aktivisten unbemerkt in eine Bäckerei eindrangen. Dort bestrichen sie das Brot mit Arsen, das am nächsten Tag an das Internierungslager Langwasser geliefert werden sollte. Doch leider mißlang der Anschlag. Es gab zwar viele Bauchschmerzen, aber nur wenige SS-ler mußten ins Krankenhaus eingeliefert werden und keiner starb. Andere Aktivitäten waren erfolgreicher. Nach dem Ausfindigmachen von Naziverbrechern wurden sie von der Gruppe zuhause abgeholt und im nächsten Wald nach einem abgehaltenen Gericht meistens liquidiert. Die Aktivisten waren meistens Überlebende des Holocausts. Sie alle hatten die meisten oder sogar alle Familienangehörigen und Freunde verloren. Sie waren der Überzeugung, daß sie nur deshalb am Leben geblieben sind, um Rache zu nehmen. Nakam ist das hebräische Wort für Rache und so benannten sie ihre Gruppe. Sie war streng geheim und konspirativ tätig. Nur wenige wußten von ihr, und davon waren einige auch noch gegen die Racheaktivitäten. Der Großteil ihrer Arbeit lag allerdings darin, Möglichkeiten zu schaffen die Überlebenden des Holocausts in das damals noch britische Mandatsgebiet Palästina zu bringen. Die Gründung des Staates Israel war noch nicht gesichert. Die dortigen Politiker wollten die Gründung durch Racheaktivitäten nicht gefährdet sehen und versuchten, die Gruppe Nakam zu neutralisieren. So lag der Mißerfolg bei der Bäckerei an Sabotage aus den eigenen Reihen. Auch weitere Anschläge wurden verhindert, wie z.B. ein Anschlag auf die gesamte Wasserversorgung Nürnbergs. Die beiden Autoren Tobias und Zinke sprachen mit ehemaligen Angehörigen der Gruppe Nakam, die heute froh sind, daß der Anschlag auf die Wasserversorgung nicht stattfand, die aber ansonsten zu all ihren anderen Taten stehen. Es ist bedauerlich, daß es so wenige Fälle dieser Rache gab, man würde gerne mehr über Racheaktionen lesen. Geschätzt wird die Zahl der Liquidierten auf wenige hundert, eine genaue Zahl ist aber nicht zu ermitteln. Erweitert wird das Buch durch eine kurze Darstellung der Fluchtwege der Nazis und kurze Berichte über den weiteren Werdegang der Aktivisten. Ein hervorragendes Buch, daß einen Blick wirft auf ein fast gänzlich unbekanntes Kapitel. Ganz besondere Genugtuung empfand ich, da ich das Buch während einer Reise nach Auschwitz las. Nur schade, daß so wenige Nazis umkamen.

MEIKEL F


book"Big Brother" & Co.

Die Fernsehserie "Big Brother" bezog sich mit dem Titel ganz bewußt auf das Buch George Orwells. Die permanente Überwachung und Kontrolle der BewohnerInnen führte die Heiligkeit der Privatsphäre ad absurdum. Vor dem Beginn und während der Serie zeigten sich PolitikerInnen moralisch entrüstet und gingen soweit offen Zensur zu verlangen. Teilweise der gleiche Personenkreis war Fürsprecher für die fast gleichzeitig stattfindende Debatte über die Einführung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Der Autor Ralf Gössner zeigt sehr schön diese Farce auf. In seinem neuesten Buch behandelt Gössner den Ausbau der Kontrolle zum Über-wach-ungs-staat, der schon jetzt weiter geht als sich dies Orwell in seinem Buch ausmalte. Das Buch basiert auf Texten die in verschieden Zeitungen in den letzten Jahren erschienen sind. Zu allererst muß man konstatieren, daß sich im Buch kaum wesentlich neue oder unbekannte Informationen zur Überwachung finden. JedeR der regelmäßig kritische Zeitungen/Zeitschriften liest findet immer wieder Artikel, u.a. halt von Gössner, zu diesem Thema. Allerdings sind dies immer nur Einblicke in einzelne Bereiche. Das Buch jedoch verschafft einem einen Überblick über das gesamte Ausmaß der dramatischen Entwicklungen. Dabei bleibt Gössner nicht bei der Darstellung der technologischen Entwicklung stehen, sondern greift gerade die Sicherheitsdiskurse der letzten Jahre auf und analysiert sie kritisch. Dadurch wird eine Entwicklung deutlich in der der einzelne Mensch immer mehr zu einem potentiellen Sicherheitsrisiko wird. Immer mehr gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung, sondern ihr Gegenteil. Gössner stellt dar, daß es nicht stimmt, daß der Staat sich zurückzieht, wie es von einigen linken KritikerInnen gerne benannt wird. Im Bereich der inneren Sicherheit ist genau das Gegenteil der Fall. Der Ausbau des Sicherheitsapparates, gerade auch im internationalen Rahmen, ist eine zunehmende Bedrohung. Die Liste der Kontrollinstrumente ist lang und wird immer länger. Die computergestützten Möglichkeiten verschärfen die Situation. Die Kontrolle wird immer mehr in den privaten Raum vorverlagert. Gössner beschreibt eindringlich die Entwicklungen. Das Buch ist gut lesbar und beschreibt auch rechtliche Veränderungen leicht verständlich. Aber auch Leute die sich mit den vorgestellten Themen auseinandersetzen finden in dem Buch eine ausgezeichnete Sammlung der Entwicklung, die einen hervorragenden und beängstigenden Überblick gibt. Damit ist das Buch unentbehrlich, will man bei den vielen Veränderungen noch mitkommen.

Meikel F

"Big Brother" & Co. - Rolf Gössner - Konkret Literatur Verlag - 192 Seiten 32 DM


bookVabanque

Na, auch gelegentlich mal Lotto spielen in der Erwartung auf den großen Gewinn? Keine Lust mehr zu arbeiten? Der Wunsch, die Fesseln der kapitalistischen Zwangsverwertung zu sprengen? Lotto spielen und Bankraub liegen eng beieinander. Während das eine die kleinbürgerliche Variante ist, ist der Bankraub das Abenteuer. Beide verheißen in ihrer religiösen Ausformung den Ausbruch aus der Konvention. Dass Lottospielen so erfolgreich ist, zumindest an der Anzahl der Beteiligten gemessen, nicht der Gewinner, zeigt nur, daß viele diesen Traum träumen auszubrechen aus ihrer kleinen Welt. Einige wollen nicht so lange warten und bedienen sich. Wobei es viele Gründe und noch mehr Methoden gibt, sich zu bedienen. Die einen haben Schulden, die anderen erwarten ein schönes Leben, noch andere tun es für die Bewegung (links wie rechts), einige tun es einfach so, und so weiter. Der Bankräuber, insbesondere der intelligent und geschickt vorgehende hat erst mal alle Sympathien der Medien und der Bevölkerung auf seiner Seite, außer natürlich die der Polizei. Aber selbst die muß manchmal zähneknirschend Bewunderung aussprechen. Auf der anderen Seite wird kaum ein Delikt so verfolgt wie der Bankraub. Tat wie Täter stellt die Grundfeste der bestehenden kapitalistischen Ordnung wie kaum ein anderes Verbrechen in Frage. Die verschiedenen AutorInnen gehen dieser Faszination des Bankraubes auf den Grund. In vielen Artikeln werden die völlig unterschiedlichen Aspekte behandelt. Angefangen von der Geschichte des Bankraubes, die schließlich so alt noch gar nicht ist, deckt das Buch alle Aspekte ab: die Veränderungen, um diese Tat zu verhindern, den ideologischen Background, die Zukunft, die unterschiedlichen Vorgehensweisen, Bankraub in Literatur und Film, die Panzerknacker, den in der DDR vor 1989 nicht vorgekommenen Bankraub, den Roten Brigaden und der Bewegung 2. Juni, Frauen und Bankraub, erfolgreiche und erfolglose Banküberfälle. Das Buch ist ein Sammelsurium von interessanten und spannend zu lesenden Aspekten. Zwischen drin stehen Auszüge aus Nachrichtenmeldungen über Banküberfälle. Außerdem werden Personen des who is who des Bankraubes vorgestellt. Ein rundum gelungenes Buch, wunderschön aufgemacht (Lob an das Layout) und eine unterhaltsame Lektüre, aber natürlich nicht die Nachahmung empfiehlt. Allerdings, wenn es intelligent gemacht ist, hat man vielleicht die Möglichkeit in der nächsten Auflage Erwähnung zu finden.

Ach ja, damit es keiner nachlesen muß: Vabanque heißt soviel wie gegen die Bank. Ein wahrlich trefflicher Titel.

Meikel F

Vabanque - Klaus Schönberger (Hg.) - VLA -325 Seiten für 34 DM