Antifaschistische Aktivitäten und Neues aus der Naziszene Kurzberichte zusammengestellt von Pierre Briegert

Fluchtwege

Nach dreiwöchiger Flucht wurde der Sauerländer Neonazi Christoph Schulte am Abend des 2.2. in Spijkenisse bei Rotterdam festgenommen. Er soll am 13.1. in München einen Griechen beinahe totgeprügelt haben (vgl. terz 2/2001).

"Die rechte Szene ist europaweit verwoben, das ist das Interessante an dem Fall", teilte die Münchner Kripo nach Schultes Festnahme mit. Man sei auf ein "internationales Netzwerk von Fluchthelfern" gestoßen. Von München aus in seine Heimatstadt Plettenberg habe ihn ein Marc M. gefahren. Bei M. handelt es sich nach Informationen aus der Neonaziszene um den Lüden-scheider NPDler Marc Miekeley. In Plettenberg habe sich Schulte einige Tage versteckt gehalten. Anschließend habe ihn ein Carsten K. nach Arnheim gebracht. Bei K. handelt es sich um Carsten Köppe, "Kameradschaftsführer" der "Ruhrpottkameradschaft Dortmund/Witten", der im letzten Jahr wegen Körperverletzung an einen Aussiedler und Verbreitung indizierter CDs zu einer 18-monatigen Bewäh-rungsstrafe verurteilt worden war. Eine Hausdurchsuchung in Dreumel bei Arnheim verlief jedoch erfolglos, Schulte war bereits in die Nähe von Rotterdam weitergeleitet worden. Als er dann doch festgenommen werden konnte, war er gerade auf dem Weg ins belgische Antwerpen. Noch am selben Abend wurden neun deutsche Fluchthelfer festgenommen, gegen Köppe und Miekeley erging Haftbefehl.

"Deutsch-Niederländische Achse"

Schultes Fluchtroute und internationalen Kontakte verwundern keineswegs. Seit Jahren sind auf nahezu jeder Neonazidemonstration in der BRD niederländische und auch belgische Neonazis anzutreffen. Besonders gute Kontakte pflegen die nordrhein-westfälischen "Freien Kameraden" zur "Nederlandse Volks-Unie" (NVU) um Constant Kusters, in die in den letzten Jahren auch die von Eite Homan geführte "Aktiefront Nationale Socialisten" (ANS), dem 1984 vom Martijn Freling und Cees Ladestein gegründeten niederländischen Ableger der 1983 in Deutschland verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten" (ANS/NA), aufgegangen ist. Homan, der über sehr gute internationale Kontakte verfügt, ist heute neben Kusters die zweite wichtige Figur in der Partei. Spätestens seit dem Verbot der deutschen FAP Anfang 1995 geben sich deutsche Neonazis in den Niederlanden die Klinke in die Hand. Federführend bei der Kooperation mit der NVU betätigten sich ab 1995 die SAF-Kader Andree Zimmermann und Thomas Kubiak, die allerdings Ende 1997 bei einem schweren Autounfall verunglückten und "zur großen Armee abberufen" wurden. Ihre Rolle übernahm ab 1999 der ehemalige SAFler und heutige Aktivist der "Kameradschaft Dortmund", Michael Krick. Es finden regelmäßig gemeinsame Aktionen und Veranstaltungen in den Niederlanden statt, so zum Beispiel in den Jahren 1998, 1999 und 2000 "Rudolf-Hess-Gedenkmärsche", die in der BRD nach 1996 nicht mehr durchsetzbar waren. Auch die "Kameradschaft Düsseldorf" ist häufig in den Niederlanden zu finden. Am 18.9.1999 reisten dann Constant Kusters und der NVU-Altnazi Joop Glimmerveen nach Düsseldorf und referierten vor ca. 80 "Freien Kameraden" in einer Gaststätte in Düsseldorf-Hamm zur "deutsch-niederländische Achse".

Daß Schultes erste Station in den Niederlanden Arnheim hieß, dürfte kein Zufall sein, da in Arnheim Constant Kusters lebt, und die Stadt häufiger Anlaufpunkt deutscher Neonazis ist. Aus dem Arnheimer Vorort Westervoort stammt zudem der NVU-Aktivist Chris Smit, der ebenso wie Schulte auf Demonstrationen der "Freien Kameradschaften" im Ordnerdienst tätig ist und seit Jahren gute Kontakte in den Märkischen Kreis und in den Raum Dortmund/Witten pflegt.

Kommunalwahlkandidat mit Einreiseverbot

Keine 24 Stunden nach Schultes Festnahme reisten deutsche Neonazis erneut in die Niederlande. 26 Niederländer und Deutsche wurden im grenznahen Kerkrade festgenommen, darunter auch Düsseldorfer und Mitglieder des JN-Stützpunkts Duisburg um Thorsten Wawrzyczek und Steffen Pohl. Geplant war eine Spontandemonstration anläßlich der 2002 anstehenden Kommunalwahlen, zu denen die NVU auch in Kerkrade antreten wird. Unter den Festgenommenen befanden sich neben Kusters und Homan auch der Dortmunder Siegfried Borchardt und Christian Malcoci aus Jüchen. Letzterer zählt zu den bundesweit wichtigsten Kadern der "Freien Kameradschaften" und leitete auch gemeinsam mit Sven Skoda und dem Dormagener NPDler Reinhard Vielmal die neonazistische Demonstration am 28.10. letzten Jahres in Düsseldorf. Der gebürtige Rumäne und ehemalige Elektrotechnik-Student an der Fachhochschule Düsseldorf war einer der federführenden Figuren in der ANS/NA und in der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF), der Kaderorganisation des 1991 verstorbenen Michael Kühnen. Malcoci organisierte schon Ende der Achtziger gemeinsam mit Freling Aktionen in den Niederlanden. Im Stuttgarter "Bewegungsprozeß" wegen Fortführung der verbotenen ANS/NA angeklagt, wurde er am 7.3.95 zu einer geringen Bewäh-rungsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Von der NVU wurde er im letzten Jahr als Spitzenkandidat für die anstehenden Kommunalwahlen in Kerkrade nominiert, eine Propagandastrategie, die auf einen Aufschrei in den niederländischen Medien setzt und den Bekanntheitsgrad der NVU erhöhen soll. Bereits bei den letzten Kommunalwahlen 1998 initiierte Freling die Kandidatur von zwei Deutschen für die Partei CP'86 in Kerkrade. Aufgestellt wurden Maria Luise Malcoci, Ex-Ehefrau von Christian Malcoci, sowie Andree Zimmermann, der es allerdings aufgrund seines Ablebens nicht ins Wahljahr schaffte.

Nach der gescheiterten Aktion am 3.2. wurden die deutschen Neonazis Eigenangaben zufolge mit einem einjährigen Einreiseverbot in die Niederlande und einer Geldstrafe in Höhe von 500 Gulden belegt. Der Zusammenarbeit zwischen niederländischen und deutschen Neonazis wird diese Maßnahme jedoch keinen Abbruch tun. Einen Tag später hielt sich Michael Krick bereits wieder in Rotterdam auf.

"Fremde" verführen bayrische Neonazis zu Gewalttaten

Es verwundert letztendlich also nicht, daß nordrhein-westfälische Neonazis an einer Party in München teilnahmen. Kontakte gibt es reichlich, die nicht zuletzt bei Demonstrationen, wie zuletzt beim NPD-Aufmarsch in München, und bei kulturellen Events aufgefrischt und gefestigt werden. Die guten Kontakte zwischen bay-rischen und nordrhein-westfälischen Neonazis stellen für den Chef des bayrischen Verfassungsschutz Gerhard Forster einen Hauptgrund für den "Vorfall" am 13.1. dar. Forster in einem Interview mit der "Welt" zu dem Angriff auf Arthemios T.: "Auffällig ist ..., daß die Gewalt grade dann ausbrach, als in der Gruppe zusätzlich Ortsfremde dabei waren." "Fremde" sind in Bayern eben unbeliebt, in diesem Fall einmal auch Neonazis.

Stand der Informationen: 26.01.2001

Aus dem Ruder gelaufen" Wuppertaler Landgericht verurteilte NPD-Mitglieder zu Haftstrafen

Sieben Prozeßtage hatte es bedurft bis zum Urteil im Prozeß vor dem Wuppertaler Landgericht. Angeklagt waren sieben Neonazis, die am 9. Juli letzten Jahres in Wuppertal gemeinsam mit mindestens acht Mittätern bewaffnet eine 15köpfige Kundgebung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes am Mahnmal der Gedenkstätte des ehemaligen KZ in der Kemna überfallen hatten.

"Im Gegensatz zur Demokratie von Weimar ist die unsrige wehrhaft", plädierte Staatsanwalt Heinrichs und forderte Haftstrafen zwischen 21 Monaten und dreieinhalb Jahren ohne Bewährung. Man habe den "Linksterrorismus" in die Knie gezwungen und werde nun auch "den rechten in den Griff bekommen". Die wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, schwerer Körperverletzung und Sprengung einer Veranstaltung Angeklagten wurden am 9.1. letztendlich zu Haftstrafen zwischen acht und 27 Monaten verurteilt. Die zwölf- und achtmonatigen Haftstrafen gegen den Wuppertaler NPD-Ortsverbandsvorsitzenden Maik Hilgert und seinen Beisitzer Andreas Stahlschmidt wurden hierbei vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt, da diese nicht aktiv in das Geschehen eingegriffen hätten. Der mehrfach einschlägig vorbestrafte NPD'ler Axel Boris Hausweiler, der sich vor Gericht als Aussteiger präsentiert und seine Mitangeklagten schwer belastet hatte, kam mit einem Jahr ohne Bewährung, aber Aussetzung seines Haftbefehls davon. Der stellvertretende JN-Landesvorsitzende Nico Wedding aus Duisburg sowie die Wuppertaler Ronny Plexnies und Thomas Haarhaus, die Kundgebungsteilnehmer, darunter auch über 80-jährige Zeitzeugen, mit faustgroßen Steinen beworfen und mit Schlagstöcken geschlagen hatten, wurden zu 18-monatigen Haftstrafen verurteilt. Als Initiator und Organisator der Aktion sah das Gericht das 25jährige NPD-Landesvorstandsmitglied Thorsten Crämer an. Dieser wird seiner Partei nun zwei Jahre und drei Monate lang nicht zur Verfügung stehen. Bis zum Schluß hatte Crämers Anwalt, der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Hans-Günter Eisenecker, versucht, das drohende Urteil und politischen Schaden von der NPD abzuwenden. Gewalt sei für Crämer etwas "völlig Persönlichkeitsfremdes", so Eisenecker. Aufgrund der permanenten Bedrohung seines Mandanten durch "Autonome" habe sein Mandant am 9. Juli weitere Angriffe befürchtet und deshalb die Kundgebung am Mahnmal observieren wollen, um gegebenenfalls Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Crämer sei an dem Tag aufgrund der negativen Erlebnisse derartig in seiner "psychischen Konstellation geschwächt" gewesen, daß er gar nicht bemerkt hätte, daß ein Teil der Gruppe offensichtlich Ambitionen hatte, gewalttätig vorzugehen. Die Sache sei ihm "aus dem Ruder gelaufen", da er von einem Teil der Gruppe nicht als Führungsperson anerkannt worden sei. Dieser Darstellung der Ereignisse konnte sich Richter Wilfried Keiluweit nicht anschließen. Es habe im Gegenteil ein "Zusammenwirken von gewaltbereiten Funktionären der NPD und gewalttätigen Skinheads" gegeben, die von Crämer zum Zwecke eines brutalen Angriffs zusammengeführt worden seien. Der Vertreter der Nebenklage, Rechtsanwalt Prietzel-Düwel, zeigte sich mit dem Prozeßverlauf zufrieden. Es sei nicht zuletzt gelungen, öffentlich wahrnehmbar auf lokale neonazistische Netzwerke und auf die von ihnen ausgehende Gefahr hinzuweisen.

Nachdem bereits am 29.11. drei jugendliche und heranwachsende Mittäter zu siebenmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt wurden, sind bislang zehn Täter zur Rechenschaft gezogen worden. Das abgetrennte Verfahren gegen den stellvertretenden Wuppertaler NPD-Kreisvorsitzenden Nobert Wölk, der nach Auffassung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gemeinsam mit Crämer den Angriff geleitet hat, beginnt am 7. Februar. Die restlichen vier oder fünf Tatbeteiligten befinden sich aber nach wie vor auf freien Fuß. Zwei tatverdächtige Mitglieder der JN Duisburg, deren JN-Mitgliedsausweise am Tatort in Weddings PKW gefunden wurden, können sich auf Alibis von Duisburger JN-Funktionären stützen.

ROLF KREHLE, WUPPERTAL

(ERSCHIENEN IN DER "JUNGE WELT" VOM 11.1.2001)