Alles zu ihrer Zeit: Gender - Geschlechter-verhältnisse im Pop

"Seit einigen Jahren bereits macht sich Kritik seitens wütender und engagierter Frauen breit, die es nicht mehr akzeptieren wollen, dass Popmusik und auch das Schreiben darüber überwiegend von Männern betrieben wird, betrieben in einer Art und Weise, die Frauen häufig von der Teilnahme ausschließt oder sie nur dann akzeptiert, wenn sie den vom männlichen Blick geprägten Klischees entsprechen." (Die Redaktion)

Dazu gibt es eine sehr gute Auswahldiskographie und -bibliographie zum Schwerpunktthema.

Die Musikerin Luka Skywalker beschwert den von männlichen Kollegen leichtgenommenen Diskurs über Frauen im Musikleben mit einer Art Tourtagebuch - und moscht ordentlich ab, was gut tut.

Viele Texte finde ich anstrengend, weil sie sehr theoretisch und voraussetzungsreich sind. Vielleicht kann die eine oder andere bei der nächsten Poptheorie-Veranstaltung die eigene Position auf einem anderen, weniger akademischen Level erklären und Bezüge zur Praxis klarer herstellen.

"Ist ein auf Geschlechtsidentität zielender Konsum, der die Images dafür wie gewohnt mitliefert, auch denkbar für ein popkulturelles Segment wie elektronische Musik?" (Christine Braunersreuther & Marcus Maida)

"Berichte über Musikerinnen sollten frei sein von plumpen Sexismen. Aussehen ist keine musikalische Kategorie." (Tine Plesch)

"Videoclips üben auf unsere visuelle und akustische Alltagslandschaft einen großen Einfluss aus und können - sofern sie alternative Geschlechterverhältnisse entwerfen - auch einen Beitrag zur Entdifferenzierung und Dehierarchisierung von Geschlecht leisten." (Ute Bechdolf)

"Als Pfahl im Fleisch des in der bürgerlichen Familie individuierten Subjekts hat der Popkörper wohl insgesamt ausgedient..." (Barbara Kirchner)

"Für uns spielt sich Erotik eher im nichtsichtbaren, nichtdarstellbaren Bereich ab. Wir versuchen also paradoxerweise Zustände aufzuzeigen, die uns die Möglichkeit einer 'Rückkehr' zu unserem innersten Selbst bieten..." (Marlon Shy von Fetisch Park)

"Ich denke, dass Transsexualität ein gutes Beispiel ist, wie Technik benutzt werden kann, um Geschlecht zu transformieren, und das Ergebnis hat nichts zu tun mit einer Überwindung der Geschlechterdifferenz ..." (Terre Thaemlitz)

"Können wir jetzt endlich mal anfangen, über die Musik zu reden?!!!" (Luka Skywalker)

Das ist Werbung, keine Kritik. Ich denke, dass ihr diese testcard-Ausgabe kaufen und lesen müsst. Erst gestern Nacht stellte ich im Gespräch mit anderen Frauen mal wieder fest, dass die Geschlechterfrage in den verschiedensten Szenen und Zusammenhängen kaum eine Rolle spielt. Die achte testcard zeigt aber, dass Gender nicht nur ein Modediskurs ist, sondern immer noch Anlass zu gutem Streit bietet. Vor allem weil - wie die Redaktion schreibt - die theoretischen Diskussionen geführt wurden (ich sage: leider nicht überall und überhaupt), aber die Praxis ordentlich hinterherhinkt. Da behaupten Frauen, die nicht auf ihr Geschlecht reduziert werden wollen, zurecht die Geschlechtsneutralität des Genies: "Wir sind DJs, und das ist alles." Gleichzeitig finden Ausgrenzungen innerhalb der Popkultur statt: In der Musikpresse, in der Produktion von Musik, durch die Konstruktion und Reproduktion von weiblichen und männlichen Rollenmustern. Die theoretischen Arbeiten dieser Ausgabe untersuchen u.a. traditionelle und innovative Geschlechterbilder in Musikvideos; den Umgang mit Klischees durch Popmusikerinnen; Klischees, Rollen, Erwartungen und Erfahrungen von Frauen als Produzentinnen von elektronischer Musik; die Berichterstattung über Musikerinnen, Feminismus und Gender-Diskurs in der alternativen deutschen Musikpresse. Dabei unterscheiden sich die Positionen der AutorInnen in ihrer Radikalität: die eine glaubt, dass ein Spiel mit Geschlechtszuschreibungen und eine Konstruktion alternativer Geschlechterrollen innerhalb der Popkultur funktioniert, die andere beobachtet, dass der Popdiskurs den Entwicklungen von Sexual-politiken in anderen gesellschaftlichen Feldern hinterher rennt. Die Gespräche mit AktivistInnen und die Artikel über Popphänomene ermöglichen - zusammengedacht mit den eigenen Erfahrungen und Beobachtungen - eine fundierte Diskussion über eben diese Frage: Sind die Geschlechterfrage und die Konstruktion von alternativen Geschlechtsidentitäten für den Popdikurs relevant? Und welche Konsequenzen für die alltägliche Praxis können sich daraus ergeben, wenn akzeptiert wird, dass Ausgrenzungsmechanismen weiterhin funktionieren? Wenn man auf solche Fragen keinen Bock hat, bleiben einem die Plattenkritiken und Buchbesprechungen im letzten Teil.

ANNESCH testcard. Beiträge zur Popgeschichte. No. 8: Gender - Geschlechterverhältnisse im Pop. März 2000. Ventil Verlag. 28,- DM.


white noise

Über Fascho-Musik und rechten Mainstream-Rock ist ist schon viel geschrieben worden. In der Neuerscheinung des Unrast-Verlages wird allerdings erstmalig ein detaillierter und gut recherchierter Einblick in die Verflechtung der sog. "Rechts-Rock"- und Skinhead-Szene in das internationale Netzwerk des militanten Neonazismus gegeben. Die Autoren dieser Neuerscheinung - Mitwirkende der antifaschistischen Publikationen "search-light", "Antifaschistisches Infoblatt" und "enough is enough" - sind ausgewiesene Kenner der neonazistischen Szene. Die Neonazi-Musik wird in den Kontext der Entwicklung der Skinhead-Bewegung sowie der neonazistischen Strömungen und Parteien in Europa und den USA gestellt. Der Titel des Buches - white noise - bezieht sich auf eine 1986 in England erschienene Zeitschrift, die aus dem Dunstkreis der National Front produziert wurde. Aus ihr erwuchs die Publikation "Blood and Honor", aus der sich die gleichnamige Bewegung formte. "White noise" als Musik der Neonazis ist daher mehr als eine bloß rassistische Erscheinung der Musikbranche. Die Konzerte und zahlreichen CD-Vertriebe für solche Neonazimusik sind zugleich Teil eines internationalen Netzwerkes der militanten Neonazi-szene, die hierüber ihren potenziellen Anhang rekrutiert. Deshalb ist dieses Buch nicht nur "Antifas" und politisch interessierten Linken, sondern zugleich all denen dringend zu empfehlen, die sich in der Musikbranche und der Jugendarbeit bewegen. Denn die Rechtsrock-Musik - das wird aus der Lektüre deutlich - ist ein entscheidender Anknüpfungspunkt für die neonazistischen Rattenfänger.

AL C.

Searchlight u.a. (hg.): White Noise. Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honor - Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene. Unrast-Verlag, 2000, 156 S., 19,80 DM


Rassismus, Faschismus, Antifaschismus

Unter dem gleichnamigen Titel ist ein Sammelband anlässlich des 70-jährigen Geburtstages des Faschis-musforschers Kurt Pätzold erschienen. Dessen Untersuchungen zum NS-Faschismus sind zu einem Kennzeichen der früheren DDR-Historiographie geworden, die nach dem Anschluß die pauschale Verdammung der West-Historikerzunft auf sich zog. Wer jetzt jedoch meint, daß deshalb in der Neuerscheinung des Papy Rossa-Verlages lediglich eine trotzige Verteidigung alter Thesen zu finden ist, wird bei der Lektüre eines Besseren belehrt. Erstens sind die 37 AutorInnen längst nicht alle der sog. DDR-Historiographie zuzurechnen und zweitens wird sich in vielen Beiträgen in durchaus kritischer Manier mit den Verdiensten und Grenzen der Faschismusanalysen auseinandergesetzt. Etwas problematisch erscheint die Subsumierung des eliminatorischen Antisemitismus der Nazis unter dem allg. Oberbegriff des Rassismus, denn jener war mehr als "bloß" rassistisch. Die einzelnen Beiträge unter diesem Oberkapitel zeugen allerdings davon, daß der Analyse des Antisemitismus die zentrale Bedeutung zukommt, die er für Propaganda des NS-Regimes auch hatte. Besonders herauszuheben ist hierbei die ideengeschichtliche Einbettung des Antisemitismus. Die Autorin Gudrun Hendges weist dabei auf bisher weitestgehend unberücksichtigte Vorformen des deutschen Antisemitismus in den Schriften des deutschen Idealismus hin. Ebenfalls überaus spannend sind die kritischen Auseinandersetzungen Georg Fülberths mit dem Klassiker der marxistischen Faschismustheoretiker, Reinhard Opitz, die in Auszügen in der Zeitschrift "Konkret" veröffentlicht wurden. Im letzten Kapitel des Sammelbandes geht es zudem um die Auseinandersetzung mit der Geschichts-politik sowie um deren Instrumentalisierung für aktuelle politische Interessen. In diesem Kontext ist besonders ein Beitrag von Jouko Jokisalo zu empfehlen, der sich mit den politischen Hintergründen der neofaschistischen Interventionen gegen den NATO-Krieg in Jugoslawien auseinandersetzt.

Diese Neuerscheinung ist daher ebenso zu empfehlen wie die ebenfalls im Papy Rossa-Verlag erschienene Neuherausgabe des Quellen- und Dokumentenbandes von Reinhard Kühnl, der schon seit den 70er Jahren in etlichenn erweiterten Neufassungen zu einem Standard-Nachschlagewerk für die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus geworden ist.

AL C.

Manfred Weißbecker/Reinhard Kühnl (Hg.): Faschismus, Rassismus, Antifaschismus. Papy Rossa-Verlag, 2000, 570 S., 58 DM Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten. Papy Rossa-Verlag, 2000, 7. erw. Neuaufl., 540 S., 24,80 DM


Frauen im Baskenland

"Ich engagierte mich in der baskischen Nationalbewegung, weil ich dort tolle Jungs traf. Mikel hatte wunderschöne Augen...", so die baskische Schriftstellerin Marie-José Bascuro, die schließlich zu einer militanten Widerstandskämpferin und Feministin wurde. Wie sehr der Alltag baskischer Frauen mit der baskischen Geschichte, dem Kampf um die eigene Kultur, verflochten ist, wird deutlich in dem kürzlich erschienenen Band "Baskenland" aus der Reihe "Frauengeschichten - Frauengesichter", mit dem die AutorInnen Florence Hervé und Gerd Schumann die europäische Spurensuche nach weiblicher Geschichte fortsetzen. Aus der Perspektive seiner Bewohnerinnen heraus beschreiben sie ein Land und ein Volk, dessen Herkunft und Sprache bis heute unklar geblieben sind. Diese Aura das Rätselhaften umgab die Basken bereits im Mittelalter, als der Labourd zur "Brutstätte der europäischen Hexerei" erklärt wurde. Die Menschen sprachen dort eine merkwürdige Sprache, euskara, und die Frauen wurden als Kirchendiener beschäftigt, deren hornartigen Hauben die Bischöfe gar als phallische Symbole deuteten.

Die sprichwörtliche baskische Widerständigkeit spiegelt sich denn auch in den Frauenporträts aus dem Norden und dem Süden der Region, die von dem tragischen Ende glanzvoller Königinnen erzählen, von der ersten Schriftstellerin, die auf baskisch schrieb, und der temperamentvollen Catalina de Erauso, die dem Papst 1624 die Erlaubnis abtrotzte, offiziell Männerkleidung zu tragen.

Die jüngere Vergangenheit ist geprägt vom Kampf gegen den Faschismus und für nationale Eigenständigkeit. Eine Galionsfigur des baskischen Widerstands ist die legendäre Dolores Ibárruri, genannt 'la Pasionara', die als Mitbegründerin und Vorsitzende der Kommunistischen Partei nach dem Scheitern der Volksfront in die Sowjetunion emigrierte. Die AutorInnen trafen die baskische Résistance-Kämpferin Lucienne Saboulard, die als 'Nesthäkchen von Ravensbrück' das KZ überlebte, und die Senora de Arzanegi, die 1937 als Zwölfjährige den deutschen Bombenhagel auf die baskischen Schicksalsstadt Gernika miterlebte. Sie stellen uns die Schriftstellerin Eva Forest vor, die mit ihrem Roman "Unternehmen Menschenfresser" über dem tödlichen Anschlag eines Eta-Kommandos auf den Franco-Nachfolger Carrero Blanco 1973 das populärste illegale Buch der Franco-Zeit schrieb und dafür mehrere Jahre in den Knast wanderte.

Baskische Feministinnen erzählen von der Zeit unter Franco, als im südlichen Baskenland auf Schwangerschaftsabbruch noch Gefängnis stand und von der baskischen Frauenbewegung, die erst mit Verspätung Einzug ins Baskenland hielt, da unter der Diktatur jegliche Ansätze erstickt wurden. Frauen aus der ikastola-Bewegung, dem Kampf für baskische Schulen, berichten von ihrer Schulzeit, als sie noch stundenlang auf Maiskörnern knien mussten, weil sie die falsche Sprache sprachen. Und im Velodrom von San Sebastián machen wir schließlich Bekanntschaft mit Maialen Lujanbio, einer der wenigen weiblichen Bertsolariak, den baskischen Dichtersängern, die früher als Mittler von Neuigkeiten von Dorf zu Dorf zogen. Dazu gibt es zahlreiche Fotos, serviert mit kulinarischen und literarischen Spezialitäten aus dem Land der Baskinnen.

SBE

Baskenland
Frauengeschichten - Frauengesichter Gerd Schumann, Florence Hervé Fotos von Mundo Cal Karl Dietz Verlag Berlin
ISBN: 3-320-01985-6


La Negra

La Negra ist der Kampfname von Luisa, der Brasilianerin. Nur durch Zufall ist sie zur kolumbianischen Guerilla, der ELN gestossen. Dort entwickelt sie sich zur Spezialistin für Sonderaufgaben. Doch es ist gar nicht so einfach, als einzige Frau innerhalb eines Haufens männlicher Bauernjungen zu bestehen. Und auch mit Ricardo, ihrem Kommandeur, hat sie es nicht leicht. Er entwickelt eine eigentlich wahnwitzige Idee. Ricardo plant einen Angriff auf die schwer bewachte Raffinerie der kolumbianischen Küstenstadt Barrancabermeja. Ein trostloser, heisser Ort, inden sich nur selten ein Tourist verirrt. Die Situation spitzt sich zu, da ist sich auch General Diez sicher, der Ungutes nicht nur für sich befürchtet. Und da ist auch noch Flacoloco, Elektrotechniker in Medellin, immer auf der Flucht vor den Häschern, die auch schon seine Mutter ermordet haben. Abends probt er mit Jugendlichen aus dem Viertel Dario Fo-Theaterstücke ein. Die stehen aber eher auf Soap Operas. Und auch seine Liebe zu Luisa, der er fiktive Briefe schreibt, scheint unerfüllt zu bleiben. Und sind die beiden Missionare, die auftauchen, nicht vielleicht Agenten des CIA?

Raul Zelik, Autor von "Friss und stirb trotzdem" (Nautilus Verlag) hat einen spannenden Politkrimi geschrieben. Die unterschiedlichen Stränge dieses Labyrinths aus Personen und Geschehnissen entwirrt er ausserordentlich übersichtlich. Seine profunden Kenntnisse der kolumbianischen Gegebenheiten gewähren interessante Einblicke in die dortige Realität. Sehr lebendig beschreibt er nicht nur Land und Leute, sondern auch das Knäuel aus Guerilla, Todesschwadronen, Militär, Politik und dem Leben der einfachen Menschen. Dass daraus ein so fesselnder, aber auch beklemmender Krimi wurde, ist umso überraschender, da er sich durchaus hart an der Realität entlang hangelt. In der dichten Erzählweise bleibt trotzdem genügend Raum für die Entfaltung der unterschiedlichen Charaktere, für eine Vorstellung der Landschaft und natürlich für die unerreichbare Liebe. In der Tradition der südamerikanischen Literaten erzählt Zelik bruchstückhaft die Geschichte, die sich erst langsam zu einem Gesamtwerk zusammensetzt. Natürlich geht nicht alles glatt, so ist eben das Leben. Oft entscheidet der dumme Zufall über Leben und Tod. Am Ende wird es einige Personen weniger geben. Das Ende der Geschichte ist dies jedoch nur in diesem Buch.

MEIKEL F

La Negra - Raul Zelik - Nautilus Verlag - 29.80 DM


Schöne, heile Welt?

Biomedizin und Normierung des Menschen

Der Traum eines idealen Menschen, einer Welt ohne Schmerz und Krankheiten ist ein altes Ideal. Wissenschaft und Forschung suggerieren, dass sie nun kurz davor stehen, diesen Traum zu realisieren. Bisherige Versuche endeten immer im Albtraum sozialrassistischer Praktiken. Während auf der einen Seite daran gearbeitet wird, das Leben zu beherrschen, wird auf der anderen Seite kräftig daran gearbeitet, auch den Tod zu beherrschen. Die Diskussion um den idealen Menschen bedeutet eine konkrete Gefahr für alle, die diesem Idealen nicht entsprechen, seien es Behinderte oder alte Menschen.

In verschieden kurzen Abhandlungen beschreibt das Buch die grosse Bandbreite des Themas. Es sind Vorträge, die u.a. während einer Tagung der Arbeitsstelle Neonazismus der FH Düsseldorf gehalten wurden. Die aktuellen Debatten über Genforschung, Biomedizin und Euthanasie werden leicht verständlich dargestellt. Es geht den Autoren und Autorinnen nicht darum, nur die aktuellen Entwicklungen darzustellen. Erst im Gesamtkontext erhalten die schon für sich ungemütlichen Beiträge ihre Brisanz. Unterteilt in die Bereiche "politische Ökonomie", "Visionen der Biomedizin", "Menschen nach Mass", "Sterbebegleitung und Euthanasie" und "Bioethik und deren gesellschaftlichen Akzeptanz" werden interdisziplinär aktuelle Entwicklungen vereint. In dieser Konstellation ein seltener Versuch, verschiedene Debatten in einem Buch zu vereinen.

Der Ausspruch des französischen Medizinprofessors Daniel Cohen brachte es schon 1993 auf den Punkt: "Nieder mit der Diktatur der natürlichen Auslese, es lebe die Herrschaft des Menschen über alles Leben!" Mit dem Argument der Freiheit der Wissenschaft wird versucht, jegliche Debatte über die Visionen der Mabuses zu verhindern. Einzelne angeblich genetisch bedingte Krankheiten werden benutzt, um die Notwendigkeit der Forschung zu demonstrieren. Aber auch die Formierung der Fun-Generation trägt zu dem jungen, schönen, sportlichen Idealbild bei. Die Forschung verspricht, zumindest für die zukünftigen Generationen, dies zu erreichen. Auf der Strecke bleiben alle, die diesem Idealbild nicht entsprechen. Mittlerweile ist das Gesundheitssystem Deutschlands, das immer mehr nach Kosten/Nutzen-Rechnung funktioniert, nur noch Mittelmass. Während die Ausgaben im Gesundheitsbereich immer weiter gekürzt werden, steigen sie in der Genforschung erheblich an. Argumentativ wird dies mit der zukünftigen Verhinderung und Heilung von Krankheiten begründet. Ein Widerspruch in sich.

Nicht viel Aufhebens gab es letztes Jahr, als heraus kam, dass in einem Heim für Behinderte ungefragt jahrelang Blutproben entnommen wurden. Die Täter sahen darin kaum ein Unrecht, schliesslich habe man dies für die Forschung getan.

Wie weit diese Diskussionen schon gediehen sind, zeigen mehrere Beiträge des Buches auf. Die aktuelle Debatte um die Bioethikkonvention wird fast ausschliesslich nur noch von "Fachleuten" geführt. Eine öffentliche Debatte findet kaum statt. Selbst die auf ethische Aspekte basierenden Äusserungen der Kirchen lassen zu wünschen übrig. Insofern ist es auch kaum mehr verwunderlich, dass Forderungen des Wissenschaftlers Singer nach Euthanasie mittlerweile nicht nur bei immer mehr Wissen-schaftlerInnen auf offene Ohren stossen.

Warum sich eine Arbeitsstelle Neonazismus mit dieser Thematik befasst, ist nach der Lektüre einleuchtend.

Ein Buch, das dringend zu empfehlen ist, da es nicht nur Entwicklungen aufzeigt, sondern auch notwendige Fragen stellt und eine Thematik anspricht mit der sich kritisch denkende Menschen beschäftigen sollten.

Schöne, heile Welt - Mürner, Schmitz, Sierck (Hg.) - VLA - 24 DM


Solianzeige

Dokumentation

"Freilassung für die politischen Gefangenen aus der RAF"

In der Broschüre geht es nicht um eine Analyse der Politik und der Aktionen der RAF, sondern darum , dass die immer noch Inhaftierten endlich freigelassen werden müssen. Es geht darum, dass Öffentlichkeit hergestellt wird, um die Gefangenen wieder in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.

Die Broschüre ist recht umfangreich; da zum Einen mehrere Gründe für die Freilassung der Gefangenen dargestellt werden und zum Anderen die damalige Zeit etwas ausführlicher beschrieben wird, weil viele Menschen, die heute politisch interessiert und aktiv sind, die Zusammenhänge und die Umstände damals selbst nicht erlebt haben und sich oft kein genaues Bild davon machen können, einfach weil viele damals noch nicht geboren waren. Dem wird unter Anderem durch die Darstellung politischer und sozialer Schlaglichter Rechnung getragen, die die Jahre 1960 bis 1980 zu veranschaulichen.

Desweiteren enthält die Dokumentation neben den Begründungen für die Freilassung, auch Portraits der Gefangenen und Texte zur Vernichtungshaft, sowie einen ausführlichen geschichtlichen Abriss, der zum Teil mit bisher unveröffentlichten Bildern unterlegt ist. Abgerundet wird die Broschüre durch Dokumente der Gefangenen zur Haftsituation und einer ausführlichen Bibliographie.

"Freilassung für die politischen Gefangenen aus der RAF" Eine Dokumentation der Roten Hilfe e.V., 68 Seiten, zu beziehen für 5.- Mark (zzgl. Versandkosten) beim Literaturvertrieb der Roten Hilfe e.V., Postfach 6444, D-24125 Kiel.