Klagen über die Schule

Dummheit...

Die UnternehmervertreterInnen sind erschrocken über die Schreib- und Rechenkünste der SchulabgängerInnen und zukünftigen Auszubildenden. "Es ist verheerend, wie schlecht die Ergebnisse bei den Einstellungstests häufig ausfallen", zitiert die Rheinische Post am 4. November den Geschäftsführer der IHK Düsseldorf, Rudolf Tillmann. Als Beleg führt die Rheinische Post im Faksimile ein 97 Wörter umfassendes Diktat eines Düsseldorfer Hauptschülers (Muttersprache Deutsch) mit der Deutsch-Abschlussnote "befriedigend" an. Dieses Diktat enthält - wohlwollend betrachtet - 35 Fehler. Natürlich weiß die Unternehmerschaft auch die Gründe für die schlechte Qualität ihres lebendigen Rohstoffes. Die Zurichtung in der Schule läuft nicht wunschgemäß: Die Schüler bimsen nicht genug.

Was hätte man auch anderes von ordentlichen Kapitalisten erwarten können, die einerseits billigste Arbeitskräfte vernutzen, aber andererseits bestens qualifiziertes menschliches Material vorfinden wollen?

Dabei tut die staatlich organisierte Bildung ihr Bestes, um den Ansprüchen der Wirtschaft zu genügen. Sie hat ein Schulsystem eingerichtet, das systematisch eine ordentliche Menge Ausschuss produziert, der den Betrieben als Ansammlung billiger Arbeitskräfte zur Verfügung steht. Als Mittel dazu dient der Schule ein ausgeklügeltes Ausleseverfahren, das, mal fein, mal grob, mit Hilfe des Notensystems die zu weiterer Bildung und damit zu besseren Chancen im kapitalistischen Betrieb Berechtigten von denen trennt, die zukünftig die Drecksarbeit zu schlechten Konditionen zu erledigen haben. Die Letzteren erfahren die Bildungskonkurrenz als Ausschluss von sogenannter "höherer Bildung".

Es verwundert nicht, dass diejenigen, denen deutlich attestiert wurde, sie seien wohl zum Lernen nicht geeignet, sich irgendwann auch diesen Schuh mal anziehen und die Lernerei und damit die Schule als etwas ansehen, was ihnen feindlich gegenübersteht.

Die Unternehmerschaft wird mit ihren Klagen weiterleben müssen.

...und Gewalt

Wie den Zeitungsmeldungen zu entnehmen ist, haben die ausgemusterten Kids sich eine Alternativbeschäftigung ausgesucht. Angeblich sollen sie sich ständig gegenseitig die Rübe einschlagen. "Abzocken" wird das genannt. Dabei verlangt ein cooler Typ von seinem, meist schwächeren Gegenüber eine Leistung, die dieser oft nicht erbringen kann. Er solle nicht so blöd gucken oder so ätzend aussehen. Wagt es der notorisch Unterlegene, sich selbst mal in Szene zu setzen, indem er beispielsweise ein paar geile Turnschuhe von den Eltern erbettelt, kann es durchaus vorkommen, dass es ein paar auf die Nase gibt und die neuen Schuhe weg sind.

Die Fernsehprogrammbeilage "Prisma" berichtete nun in ihrer Ausgabe 44/2000 über ein Projekt an einer Düsseldorfer Gesamtschule, das der Gewaltprävention dient. Ein Streitschlichter-Projekt will "den Zoff" stoppen. "Die Streithähne selbst sollen gemeinsam eine Lösung finden. ... Immer geht es darum, eine sogenannte Win-Win-Solution herzustellen. Niemand soll das Gesicht verlieren, alle den einvernehmlich erzielten Kompromiss tragen." (ebd.)

Solche Streitschlichterprogramme greifen, das weiß jeder Berufspädagoge, nur in den Fällen, wo ein Interessenausgleich stattfinden kann. Und der ist in den oben bebilderten Fällen eben nicht möglich.

Ruth Fischer (die gibt es immer noch?), Sozialarbeiterin an der Hulda-Pankok-Gesamtschule Brinckmannstraße, kennt daher auch die Grenzen des Projektes, die im Artikel die Eigenschaft "natürlich" erhalten: "Bei gravierenden Übergriffen wie sexuelle Nötigung, Diebstahl oder massiver Körperverletzung müssen wir Psychologen einschalten und auch Strafmaßnahmen ergreifen." (ebd.) Dann hagelt es Klassen- und Lehrerkonferenzen, Unterrichtsausschlüsse und Schul-verweise - oder es wird gleich der Staatsanwalt eingeschaltet.

Dass die wildgewordenen Kids ihre ureigenen Produkte sind, ignoriert die Lehrerschaft geflissentlich. Jahrelang haben sie den Kindern beigebracht, dass es auf ihre Leistung ankomme, wenn sie es in dieser Gesellschaft zu etwas bringen wollen. Die Schulnoten seien die dazugehörigen Leistungsmesser. Verschwiegen hat man den Kids, dass es bei der Notengebung in erster Linie um den Vergleich der Schüler untereinander geht. (Das ahnt übrigens schon der Zweitklässler, der seinen Nachbarn schon beim ersten Diktat nicht abschreiben läßt.) Gute, mittelmäßige und schlechte Schüler haben sich entlang der Gaus-schen Normalverteilungskurve einzusortieren. Und da stehen die Verlierer - allerdings noch nicht personifiziert - quantitativ schon fest, bevor überhaupt eine Leistung erbracht worden ist.

Einige Kinder beziehungsweise Jugendliche ziehen aus ihren misslungenen Schmiedearbeiten am eigenen Glück den Schluss, in Zukunft den Kampf um die vorderen Positionen, um Überlegenheit nach eigenen Maßstäben zu veranstalten. Sie suchen sich Gelegenheiten, wo sie von vornherein als Sieger feststehen. Sie greifen sich "Prügelknaben", 'zocken' bei Schulkameraden unter Androhung von Gewalt Taschengeld ab, und zeigen, dass sie sich überhaupt nicht scheuen, fremdes Eigentum, wie das Pissoir der Schule, zu zerstören. All dies demonstrieren sie sich selbst und anderen, wo und wann es ihnen beliebt." (Huisken, S. 14)

Und da ist jede Streitschlichterkommission fehl am Platze. Hier greift die Staatsgewalt ein und versucht mit aller Gewalt, die Ergebnisse der staatlichen Erziehung und Bildung in die Schranken zu weisen.

Gelernt haben die ausgerasteten Kids die Techniken zur Selbstbehauptung von den eingerasteten Erwachsenen. Die glauben tatsächlich, dass die persönliche Leistung ein Garant für Erfolg ist, und lassen sich auch nicht durch Lohnkürzungen, Kündigungen etc. irritieren. Schließlich besitzen sie neben einer falschen Erklärung ihrer Bedeutung in der kapitalistischen Gesellschaft auch noch ein unerschütterliches Selbstbewußtsein, das sich auch durch die unangenehmsten Widrigkeiten des Lebens nicht aus dem Konzept bringen lässt.

Mit solchen Leuten läßt sich Staat machen.

Henrici

Der Autor dieses Artikels empfiehlt zu diesem Thema die Lektüre der Schrift "Jugendgewalt - Der Kult des Selbstbewußtseins und seine unerwünschten Früchtchen" vom Bremer Pädagogik-Professor Freerk Huisken. (VSA-Verlag Hamburg, 1996)