Der Stachel im Arsch der Mächtigen sein

Impulse - Festival der freien Theaterszene

Was sich Claus Peymann bei seinem Antritt im Brechtschen Berliner Ensemble als Ziel vorgenommen hatte, war definitiv nicht das Motto der diesjährigen Impulse; dem Festival der freien Theaterszene. In Düsseldorf, Bochum, Köln, Mühlheim und Bochum stellten die verschiedenen Gruppen ihre neuesten Produktionen vor. Gleich am Anfang des Wettbewerbs hatten die OrganisatorInnen der verschiedenen Spielstätten und des Kultursekretariats NRW leider fast nur hochkarätige und längst etablierte Theaterleute über das Thema "Die Kunst und die Öffentlichkeit" diskutieren lassen. Schnell wurde dies zu "Steckt das Theater in der Krise?" und damit verbunden "Wie muß Theater sein, damit es die träge Masse in seinen Bann ziehen kann?". Peymanns flammende Antwort war für seine SchülerInnen und Fans keine Überraschung: "Es soll den Mächtigen die Maske herunterreißen, Theater der Aufklärung, der Helligkeit", mit einem Wort: politisch engagiert sein! Wenn man mit Joschka Fischer oder Helmut Schröder essen gehe, würden sie als nette Leute daherkommen, erzählte Peymann, und trotzdem "haben sie den Krieg angezettelt". Es sei heute schwerer als früher, die (politische) Wirklichkeit abzubilden, fand er, da die politischen Fronten nicht mehr so klar verteilt seien. Auch reiche es nicht, einfach nur ein gutes politisches Stück auf die Bühne zu bringen, wenn die gesellschaftliche Realität nicht damit korrespondiere. "Text und Wirklichkeit müssen zusammenfallen", meinte er. Als Beispiel für ein solches Zusammentreffen führte eine Aufführung von Don Carlos in den 30er Jahren, im deutschen Faschismus an. Bei der Stelle "Sire, geben Sie Gedankenfreiheit" habe das Publikum eine Minute lang applaudiert. Dabei ist das Rezept "mach politisches Theater und die Häuser sind voll" aber auch nicht immer anwendbar. Peter Handkes Der Einbaum oder das Stück zum Film zum Krieg (Besprechung s. TERZ 11/99) ist von der Öffentlichkeit auch deshalb vernichtet worden, weil es versucht habe, politisch Einfluß zu nehmen. Dies konnte man am Beispiel des Düsseldorfer Schauspielhauses gut sehen, wo man, als hätte man Angst vor der eigenen Courage bekommen, das Stück schnell wieder vom Spielplan heruntergenommen hat.

Die Deutschen geben ihr Schuldgefühl auf

In der Diskussion stellte der österrreichische Dramatiker Peter Turrini die These auf, das deutsche Theater der Nachkriegszeit sei deshalb so unterstützt worden, weil die Deutschen sich schuldig gefühlt hätten. Da sich heute niemand mehr schuldig fühle werde auch die Kultur nicht mehr in diesem Maße subventioniert und damit in ihrer Bedeutung tendenziell an den Rand gedrängt. In Österreich hingegen gebe es keine Marginalisierung des Theaters, da das Land "sowieso nichts besseres zu bieten habe, als sein Theater und seine Speisekarte". Leider gingen die Diskutanten nicht weiter auf die eminent wichtige und interessante Rolle des österreichischen Theaters im Widerstand gegen die Haider-Regierung ein.

Zu einer Vorstellung von einem Theater, das sich einmischen soll, erwiderte Turrini, daß es auch nicht Sinn der Sache sein könne, sich am Montag den Spiegel zu kaufen und danach ein Stück zu schreiben(das hatte aber auch niemand gemeint). Er und der Theaterkritiker der ZEIT Gerhard Jörder waren der Meinung, in der Gesellschaft gebe es schon ein "rituelles Demaskieren" schlechter Zustände. Es werde zuviel kritisiert auf deutschen Bühnen, klagte der zuvor arg von Peymann beschimpfte Jörder und fragte, warum denn nie die positiven Geschehen auf die Bühne gebracht würden. Daß es in einer Gegenwart, in der rassistisch motivierte Verbrechen fast schon an der Tagesordnung sind, Wichtigeres zu inszenieren gilt, ist dem armen Mann nicht eingefallen.

Sandra Strunz, als freie Regisseurin auf Kampnagel einzige Vertreterin der freien Theaterszene sah im Theater einen "Ort der Utopie in der Orientierungslosigkeit und der Poesie, wo Sehnsucht formuliert werden könne". Auch sie vertrat damit ein eher ein unpolitisches Theaterkonzept und zeigte so, daß (bis auf wenige Ausnahmen) auch auf jüngeren, freien Bühnen linkes politisches Theater nicht besonders gefragt ist. Bei aller Kritik darf aber nicht vergessen werden, was für ein Fortschritt es ist, daß das Düsseldorfer Forum Freies Theater überhaupt zu einem Ort geworden ist, wo die Impulse und damit auch solche grundlegenden Diskussionen stattfinden.

Ausnahmen in der eher unpolitischen Stückauswahl bilden Eggs on Earth und Kinder der Bestie. Ersteres hinterfragt mit differenzierten sprachlichen Mitteln, inwieweit der moderne Mensch nur noch das Produkt seiner Arbeit ist und ob ihm überhaupt noch Raum zur Entwicklung einer selbstbestimmten Identiät bleibt.

Das Stück Kinder der Bestie setzt den Roman des Israelis David Grossmann in Szene. Mit eindrucksvollen Bildern wird der Schrecken der Schoah vermittelt und die Frage behandelt, wie die zweite Generation nach dem Holokaust die Naziverbrechen verarbeitet.

Auf die Auswahl der Impulse 2001 darf mensch gespannt sein.

Julia