Nazis? Welche Nazis?

Zum Umgang der Stadt Düsseldorf und der Polizei mit „Corona-Demos“

Seitdem es Lockerungen des Lockdown gibt, demonstrieren Menschen gegen die Maßnahmen zur Prävention der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus – aus den verschiedensten Gründen. Mitunter ist die Mischung jedoch bizarr. Denn unter ihnen sind auch Verschwörungserzähler*innen und Nazis. Nicht selten sind gerade sie diejenigen, die auf den „Corona Demos“ vor Ort sichtbar die Initiative übernehmen. So auch in Düsseldorf.

Mittlerweile finden jeden Samstag (und in kleinerer Form auch montags) Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen statt, eine der bis jetzt größeren am 9. Mai. Etwa 300 Menschen, darunter „besorgte Bürger“, Verschwörungserzähler*innen und Rechte u.a. der AfD und der hiesigen extremen Rechten trafen sich am Burgplatz. Dutzende Personen gehören zweifellos zur „Bruderschaft Deutschland“. Bereits Tage zuvor war die Demonstration auf Messenger-Newskanälen und Facebook-Seiten als „Spaziergang“ angekündigt worden. Angemeldet bei der Ordnungsbehörde war dies jedoch nicht.

Vor Ort waren es vor allem – aber nicht nur! – Mitglieder der Nazigruppierung „Bruderschaft Deutschland“, die von Beginn an gegenüber anwesenden Antifaschist*innen und Vertreter*innen der Presse extrem aggressiv auftraten. Mund- Nasenschutz-Masken, wie sie momentan für jede Demonstration und Kundgebung in den Auflagen vorgeschrieben werden, fehlten bei den meisten. Auch das Abstandsgebot, das noch einmal verschärft als Auflage bei öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen (unter freiem Himmel) vorgesehen ist, wurde nicht eingehalten, wie zahlreiche Videos und Fotos belegen.

Die anwesenden Polizeibeamt*innen und Mitarbeiter*innen des städtischen „Ordnungs- und Servicedienstes“ (OSD) störte das jedoch nicht. Sie unternahmen nichts, um die Teilnehmer*innen auf die Gesetzeslage hinzuweisen bzw. die Auflagen durchzusetzen. Unter Führung der „Bruderschaft Deutschland“ zogen die Demon­strant*innen vom Burgplatz zum Landtag, locker begleitet von ein paar wenigen Polizeibeamt*innen. Vor Ort drangen zahlreiche Demo-Teilnehmende (wiederum in großer Zahl: die „Bruderschaft“) in die Bannmeile des Landtags ein. Anders, als es für das Handeln von Ordnungs- und Sicherheitsbehörden im Umgang mit jeder(!) Konstellation von Protesten im Nahumfeld des Landtagsgebäudes vorgesehen ist, wurde diese Gruppe weder angegangen noch verwarnt, nicht einmal aufgefordert, die „Tabuzone“ vor dem Landtag zu verlassen. Im Gegenteil: Ganz vertraut und freundlich unterhielt mensch sich miteinander, Polizei und „Bruderschaft“ schienen quasi „per Du“.

Die Ratsfraktionen der SPD und der LINKEN nahmen die Demonstration am 9. Mai zum Anlass, in der Ratssitzung am 14. Mai mit aktuellen Anfragen von der Verwaltung Auskunft über den Umgang der Ordnungsbehörden mit den hiesigen „Corona-Demos“ zu erhalten. Die (nahezu gleichlautenden) Antworten der Verwaltung lassen nun einmal mehr tief blicken.

Glatt gelogen

Berichtete die Stadtverwaltung doch nach Rücksprache mit Polizei und OSD im Wortlaut: Unter den Demonstrationsteilnehmer*innen vom 9. Mai „war eine Gruppierung mit rd. 50 Teilnehmern laut der Presse der ‚Bruderschaft Deutschland‘ zuzurechnen. Der Einsatzleiter der Polizei stufte diese Gruppierung als ‚Ansammlung‘ und nicht als ‚Versammlung‘ ein, da kein Skandieren von Parolen, kein Zeigen von Bannern oder Verteilen von Flyern festgestellt werden konnte. Die Kräfte des OSD teilten diese Einschätzung. Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung, insbesondere gegen das Abstandsgebot, konnten nicht festgestellt werden. Nach Ansprache durch die Polizei löste sich die ‚Ansammlung‘ gegen 17 Uhr zügig auf und zog dann in Gruppen zum Landtag. Dabei wurden die Personen durch Kräfte des OSD und der Polizei begleitet. Vor dem Landtag zerstreute sich diese Gruppierung. Eine Versammlung innerhalb der Bannmeile und damit ein Verstoß gegen das Bannmeilengesetz oder das Versammlungsrecht haben nicht stattgefunden. Gegen 17.30 Uhr hatten sich alle Personen entfernt.“

Es dürfte deutlich geworden sein, es sei aber noch einmal ohne Schnörkel formuliert: In ihrer Auskunft gegenüber der Stadtverwaltung (die diese Auskünfte wörtlich zitiert) haben Polizei und OSD gelogen. Zahlreiche Videos und Fotos, die am 9. Mai vom Demonstrationsgeschehen etwa von Vertreter*innen der Presse gemacht wurden, beweisen das. Das Abstandsgebot wurde nicht eingehalten. Es waren Menschen, darunter zahlreiche Mitglieder der „Bruderschaft Deutschland“ in der Bannmeile versammelt. Punkt.

Hier ist aber vor allem das „wording“ der Polizei- und OSD-Auskunft – sagen wir: interessant. So subsummiert die Polizei die Gruppe der Nazis in voller Absicht der Form nach als „Ansammlung“. Mit Zustimmung des OSD bleibt die Polizei auch in ihrer Berichterstattung an die Verwaltung bei dieser durchsichtigen Schutzbehauptung: Eine „Ansammlung“, keine „Versammlung“ sei es gewesen, was sich da am Rheinufer zusammengefunden habe, obwohl bereits Tage zuvor Werbung zur Teilnahme am „Spaziergang“ vom 9. Mai gemacht worden war und die „Bruderschaft“ also mitnichten zufällig – „Du auch hier?“ – am Burgplatz und später am Landtag aufgetaucht sein dürfte.

Selbst wenn sich die „Brüder“ um den Anschein entspannten Rumstehens in lockerer Formierung bemühten, dürfte auch den „szene-(un)kundigen“ Beamt*innen aufgefallen sein, dass es sich um Personen handelte, die sich durchaus vertraut sind. Mindestens die Beamt*innen des polizeilichen Staatsschutzes, die die Versammlungslage am 9. Mai vor Ort beobachteten, werden die „Bruderschaft“ erkannt haben, auch wenn sie nicht wie sonst in einheitlicher Kleidung auftrat. Sogar ein nur wenig geschultes Auge dürfte mindestens Kai Kratochvil als Mitglied der „Bruderschaft“ vor Ort ausgemacht haben, legen er und seine „Bruderschaft“-Kumpels in ihrem äußeren Erscheinungsbild und Gehabe doch durchaus Wert auf ihre Wiedererkennbarkeit. Ein T-Shirt mit „Bruderschafts“-Logo, der geballten Faust plus Schriftzug, ist zur Identifizierung nachgerade überflüssig.

Winkelzüge

Zu ihrer Rechtfertigung, nichts getan zu haben, als die „Bruderschaft“ und andere am 9. Mai gegen das Versammlungsrecht und das Bannmeilengesetz verstießen, greifen Polizei und OSD nun zu einem simplen aber wirkungsvollen Trick. Der lässt sie zwar blöd aussehen, dürfte aber Erfolg haben, wenn es darum geht, Schande und Hohn gegenüber der Autorität der Strafverfolgungs- und Ordnungsbehörden abzuwenden und weitere lästige Nachfragen zur Kompetenz von Polizei und OSD abzubügeln: Wer nachträglich davon spricht, dass die „Bruderschaft Deutschland“ als zufällige „Ansammlung“ nur ganz aus Versehen in der Bannmeile des Landtages rumgestanden hat, wird wissen, wie wenig überzeugend das ist. Das Wort „Ansammlung“ aber ist genau die Spitzfindigkeit, mit der sich Polizei und OSD herausreden wollen. Es ist der „Hebel“, mit dem sie einen Dreh finden möchten, zu behaupten, alles richtig gemacht zu haben, als sie die „Bruderschaft“ und andere in der Bannmeile gewähren ließen. Konsequenzenlos, wohlgemerkt.

Es ist nachvollziehbar, dass sich Polizei und OSD in Düsseldorf nicht nachsagen lassen wollen, dass sie mit Nazis kuscheln. Dass von ihnen bemühte „Bannmeilengesetz oder das Versammlungsrecht“ aber dermaßen elastisch zu dehnen, bis sogar der Verstoß durch die „Bruderschaft Deutschland“ reinpasst, wird diesem Bemühen um den Anschein, alles im Griff gehabt zu haben, nicht gerecht.

Hufeisen-Virus

Linke haben bei „Ansammlungen“ ganz andere Erfahrungen mit der Düsseldorfer Polizei und mit der Dehnbarkeit des Versammlungsrechts zu machen.

Dass die hiesige Polizei mit zweierlei Maß misst, ist nichts Neues. Die Terz berichtet über solches Verhalten seit ihrer allerersten Ausgabe vor fast dreißig Jahren. In jüngerer Vergangenheit war dies aber zuletzt besonders offensichtlich bei den sogenannten „Dügida“-Märschen der Nazis: Antifaschist*innen, die gegen „Dügida“ auf die Straße gingen, wurden von der Düsseldorfer Polizei mit zahllosen Repressalien überzogen. Auch war sich die Polizei nicht zu schade, ein ums andere Mal Anzeigen zu fertigen, etwa weil Antifas am Rande der rechten Demo-Route Sticker verklebt hätten.

Wiederum mit Blick auf das Versammlungsrecht haben Linke wie selbstverständlich mit peinlich­ster Überprüfung und Erlass-Politik zu kämpfen. So sollte jüngst, im außergewöhnlichen Frühjahr 2020, eine Kundgebung linker Gruppen laut Versammlungsbehörde am 1. Mai nur mit 25 Personen stattfinden dürfen – dazu noch unter erheblichen, einschränkenden Auflagen. Ohne Pardon. Erst aufgrund eines richterlichen Beschlusses konnte die 1.-Mai-Kundgebung mit genehmigten 100 Personen stattfinden.

Ein kurzer Blick zurück – in den Corona-losen Normalzustand Düsseldorfer Verhältnisse – macht diese absurde Ordnungspolitik im Ganzen noch einmal klarer. Zur Erinnerung: Im Frühjahr 2018 sollte ein Aktivist mit einer Strafzahlung von 1.500 Euro belegt werden, weil er ein Jahr zuvor, im April 2017, alleine (!) gegen eine Veranstaltung in der Maxkirche protestiert hatte, bei der Vertreter*innen der AfD als Sprecher*innen auftraten. In trauter Dreisamkeit zeigten die Düsseldorfer Polizei, die Staatsanwaltschaft und die zuständige Richterin damals unbedingte Verfolgungslust (siehe TERZ 12.19).

Eine solche Rechtsauslegung dazu, was eine „Versammlung“ sei, muss sich mit den aktuellen Behauptungen von Polizei und OSD messen lassen – auch wenn Erhebungen zum Vergleich der Sehstärke von „linkem“ und „rechtem Auge“ von Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden, von Justiz und Politik grundsätzlich schwierig sind. Denn am Ende dürfte eine Forderung an den Staat, nach Rechtslage konsequent zu handeln, wenn Neonazis und extrem rechte Akteur*innen vor ihm stehen, für linke Positionen eine Reihe von Widersprüchen mit sich bringen, sich mindestens aber auf das hässliche Spiel der Extremismustheorie des „Hufeisens“ einlassen müssen.

Fest steht aber, dass eine Ordnungs- und Sicherheitspraxis von Polizei und kommunalen Ordnungsbehörden, die sehenden Auges das Geschäft von Neonazis und Akteur*innen der extremen Rechten unterstützen, ohne Zweifel dazu beitragen wird, dass sich eben diese in der Stadt besonders wohl fühlen. Können sie sich, mit freundlicher Unterstützung von OSD und Polizei, doch sicher noch lange an einen gelungenen Auftritt erinnern, auch wenn sie nur albern in der Sonne rumgestanden haben.

Dass sich die Stadtverwaltung die Lügen von OSD und Polizei zu eigen macht und bislang auch nicht bereit ist, eine eigenständige Meinung zu diesen verqueren Demonstrationen von Nazis und Verschwörungserzähler*innen zu entwickeln, lässt nichts Gutes für die Zukunft ahnen. Nur zur Erinnerung: Düsseldorf ist mittlerweile ein Hotspot der Nazis in NRW. 234 (2018: 194) polizeibekannte rechte Angriffe und strafrechtlich relevante Vorfälle gab es 2019 in Düsseldorf. Der Anstieg betrug damit knapp 21 Prozent. Es gibt also viel zu tun.

Zum Nachlesen:
Aktuelles zur „Bruderschaft Deutschland“ im Artikel „Gegen das bolschewistische Bollwerk. Ein Update zum Treiben der „Bruderschaft Deutschland“ auf der https://duesseldorf-rechtsaussen.de Anfrage der Die LINKE (14.5.2020) und Antwort der Stadtverwaltung auf der Homepage der Fraktion Die LINKE im Stadtrat unter https://www.linksfraktion-duesseldorf.de